Das Wien Museum entführt aktuell auf eine Tour durch die Popgeschichte. Vom Strohkoffer zum Karlsplatz – das erwartet euch bei “Ganz Wien”.
13. Oktober 2017: Das Wien Museum beschäftigt sich nicht nur mit längst vergangenen Zeiten. Immer wieder wirft es einen Blick auf das Wien der Gegenwart. Zuletzt mit einer Ausstellung von Fotografien aus dem Falter-Archiv. Am 13. September wurde Ganz Wien eröffnet, eine Schau, die die Geschichte der Wiener Popmusik zum Thema hat. Die Helden der Freizeit waren vor Ort und erzählen euch, was euch dort erwartet:
Dass Popmusik im Wien Museum ihren Platz hat, ist nicht neu. Vor einiger Zeit war eine Ausstellung der Wiener Band Drahdiwaberl gewidmet. Auch das Archiv des empörenderweise viel zu früh verstorbenen DJs, Musikjournalisten und Labelgründers Werner Geier wurde gezeigt.
Für Ganz Wien – Eine Pop-Tour konnte Museumsdirektor Matti Bunzl Michaela Lindinger, Walter Gröbchen und Thomas Mießgang gewinnen. In zehn Stationen führt die Ausstellung durch die Geschichte der Popmusik in Wien. Das KuratorInnen-Trio ging bei der Konzeption von der Frage aus: Welche Orte waren für die Popmusik von Bedeutung?
Dabei fassen sie den Begriff Pop sehr weit und beschränken sich nicht nur auf populäre, also erfolgreiche Musik. Für Thomas Mießgang ist bereits der Drang zum Erfolg, zur öffentlichen Präsentation ein Kriterium für Pop. Lindinger fügt dazu auch noch die Komponente der Selbstermächtigung. So fanden auch Subkulturen wie die Szenen im Strohkoffer (im Keller der Loos-Bar) in den 50er-Jahren und im Flex in den 80ern und 90ern ihren Platz.
Die Ausstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Einerseits liegt es an der oben erwähnten Frage nach der Bedeutung. So wird vermutlich jede Besucherin und jeder Besucher Orte vermissen, mit denen persönliche Erinnerungen verbunden sind. Orte, die Michaela Lindinger in einem Statement bei einer Diskussion im Wien Museum auch individuelle Fluchtpunkte bezeichnete. (Meine persönlichen Top drei der nicht erwähnten Orte: der Club Hoffnungslos in der Prager Straße 20, die Volkshochschulen in Floridsdorf und der Stöbergasse und das Haus der Jugend in der Zeltgasse).
Auf der anderen Seite wurden im Wien Museum vor einigen Jahren in der Ausstellung Besetzt bereits einige Orte, die auch der Popmusik in Wien Platz boten, wissenschaftlich aufgearbeitet. Darum sind zum Beispiel die Arena und die besetzten Häuser in der Gasser-, Ägidi- oder Spalowskygasse nicht prominent vertreten.
“Ganz Wien” ist eine Ausstellung von und über Musik. Die Herausforderung dabei war, Musik auch sicht- und erlebbar zu machen. Die Architektur von Thomas Hamann bietet nicht nur Raum für über dreihundert Exponate. Es ist mit der Errichtung von zehn Videoboxen gelungen, die zehn ausgewählten Orte in einer fast intimen Atmosphäre zu präsentieren.
In den Boxen werden Filme und Videos gezeigt, die die Besucherinnen und Besucher von den Anfängen des Kabaretts der Nachkriegszeit in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts bis in die Gegenwart begleiten. Die Filme, meist aus dem Archiv des ORF, entführen in das Kabarett Simpl mit Helmut Qualtinger oder in den Star Club im Albert Sever-Saal, in dem Horst Winter, anmoderiert von Willy Kralik, einen Twist singt.
Weitere Stationen sind unter anderem das Funkhaus (zu sehen ist hier neben Heinrich Walchers Gummizwerg ein großartiges Video von Novaks Kapelle), der Folkclub Atlantis oder das Flex. In einer weiteren Box ist das Studio von Peter Kruder aufgebaut. Die letzte Box ist dem Karlsplatz gewidmet. Einerseits zeigt sie den Ort, an dem seit Jahren das Pop Fest stattfindet. Auf der anderen Seite ist er auch ein Synonym für die Situation der gegenwärtigen Popmusik, die sich nicht mehr an einem Platz verorten lässt. Pop passiert in Wien zur Zeit in vielen Mikrokosmen, vor allem aber auch im Internet.
Und wie wird die Musik abseits der Videos sichtbar? Natürlich durch das Ausstellen von Erinnerungsstücken. Unzählige Plattencover sind zu sehen, manche davon werden sich auch in den Sammlungen der interessierten Besucherinnen und Besucher wiederfinden. Vor allem in der Zeit des Beats stößt man auf Namen, an die sich vermutlich nur mehr wenige erinnern können. Die Ausnahme bilden hier wohl neben Bands wie den Beatniks, The Sirs, The Bushidos oder Sunset Four The Hubbubs. (Genau, die aus Tanzmusik auf Bestellung mit ihrem Hit Hello, Mr. Sir …)
Außerdem zu sehen sind Autogrammkarten, Bühnenoutfits, Verträge, Konzertplakate, Eintrittskarten und Instrumente. In Hörstationen finden sich nicht nur Wiener oder österreichische Künstler, sondern auch internationale Acts, die mit ihren Auftritten die Szene in Wien belebten. Zu hören (und manchmal auch zu sehen) sind unter anderem Jimi Hendrix im Konzerthaus, Placebo im Radiokulturhaus und Nirvana in der Arena.
Ein Aspekt, der in der gesamten Ausstellung gegenwärtig ist, ist jener der Sprache. Das Besondere, das die Wiener Popmusik von ihren Pendants aus Deutschland, England oder Amerika unterscheidet, ist der literarische Zugang zu den Texten. Über die Anfänge im Kabarett von Helmut Qualtinger oder Pirron und Knapp über die Dialektsongs der Worried Men Skiffle Group, die sich unter anderem der Lyrik von Konrad Bayer und anderen Künstlern der Wiener Gruppe angenommen haben bis hin zu Falco, Wanda oder Bilderbuch wandte sich die Popmusik immer wieder der Alltagssprache, dem Dialekt zu.
Neben der Ausstellung bietet das Wien Museum auch ein umfangreiches Rahmenprogramm an. Der Bogen erstreckt sich dabei von Stadtexpeditionen zu den Orten der Wiener Popmusik wie der Camera oder dem Voom, über die Präsentationen von Büchern (Wolfgang Kos) oder CDs (Novaks Kapelle), Konzerten und Gesprächen bis hin zu einer Videonight, an der auch Stefan Ruzowitzky mitwirken wird. Zum Abschluss ist ein Konzert mit Jack Grunsky geplant.
Begleitend zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, neben den Abbildungen vieler Exponate auch mit Texte, unter anderen von Doris Knecht, Robert Rotifer, Heinz R. Unger und den KuratorInnen. Der Katalog ist im Metroverlag erschienen und kostet 19 Euro.
Ganz Wien – Pop-Tour verzichtet bewusst auf die großen Namen des Austropop. Es wird kaum Mainstream präsentiert, es ist eher ein Überblick über die alternative Popszene. Jeder Besucher wird sich in bestimmten Exponaten wiederfinden, aber sicherlich auch etwas vermissen. Die Ausstellung ist eine großartige Möglichkeit, sich mit der eigenen Popgeschichte auseinanderzusetzen. (rou)
Bei den Helden der Freizeit findet ihr aktuelle Vorschauen auf Events in Wien und die besten Konzerte. Und natürlich Storys über unsere legendärsten Musiker:
Aufmacherfoto: Heribert Corn, Tomas Degen, Privatsammlung Anna und Karl Retzer (Montage)
Der Chefredakteur der Wiener Alszeilen verfasst für heldenderfreizeit.com Buch-, Musik- und Spiel-Rezensionen, ist Video-Redakteur von CU TV und schreibt für das Musikmagazin Stark!Strom. Dazu berichtet er von Konzerten, Sport- und anderen Kulturevents und führt Interviews mit Stars und spannenden Persönlichkeiten.