In der Spieleindustrie ist angekommen, was die Filmindustrie schon Mitte der 2000er erreicht hat: Die Lust zur Neuauflage. Immer mehr Game-Klassiker bekommen eine Frischzellenkur und werden entweder remastert oder völlig neu gemacht. Aber ist dieser Remake-Hype eher Fluch oder Segen?
von Peter Huemer
18. Juli 2020: Remakes und Remasters können im besten Fall die Nostalgie der Spieler wecken, das Spiel grafisch in die Moderne führen und gleichzeitig dem Original treu bleiben. Das ist allerdings ein heikler Balanceakt. Lies hier, welche aktuellen Game-Remakes gelungen sind, welche nicht und warum und warum – anhand von 6 prominenten Beispielen.
Wenn man sich auf ein Remake eines weltbekannten Klassikers einlässt, dann sollte man sich der Größe einer solchen Aufgabe bewusst sein. Die Entwickler bei Blizzard waren das sicher. Das Problem lag wohl eher auf Seiten der Führungsriege. Zu wenige Ressourcen wurden in das lang erwartete Projekt gesteckt und gleichzeitig die Erwartungen im Vorfeld zu hoch geschraubt. Heraus kam ein Spiel im neuen und teilweise umstrittenen Grafikgewand, dem essenzielle Features fehlten und das mit unzähligen Bugs daherkam. Warcraft 3 – Reforged war also nichts als Fassade.
Optisch sah es ganz gut aus (wie ein Strategiespiel aus dem Jahr 2014) und als Spieler im Herbst 2019 die Beta zu spielen bekamen, dachte man sich noch nicht Schlimmes. Etwas unfertig noch, aber wenn die fehlenden Teile im finalen Produkt dazu kämen, würde es sicher gut. Aber als der Release kam, musste man feststellen, dass kaum etwas verbessert worden war. Keine Spielerprofile, kein gerankter Multiplayermodus, keine neuen Cut-Scenes und jede Menge Bugs sowie Serverprobleme. Noch dazu kam, dass das Original von da an nicht mehr verfügbar war. Und das Ganze wurde durch die schleppenden Updates der letzten Monate kaum verbessert.
Einen echten Klassiker zu erneuern ist eine große Verantwortung. Vor allem, wenn es sich dabei um ein E-Sport Game handelt, das noch aktiv bei Turnieren gespielt wird. Das Remake war in allen Belangen bis auf die Grafik (und auch da gehen die Meinungen auseinander) ein Downgrade. Spieler und E-Sportler waren zurecht außer sich. Fazit: Wenn man nicht bereit ist, es richtig zu machen und auch genug Aufwand und Geld hineinzustecken, sollte man die Finger von Game-Remakes lassen.
Das Resident Evil 2 Remake von 2019 war ein Musterstück für die perfekte Neuauflage – hier nachzulesen in unserem RE2-Test. Von Steuerung über das Level-Design bis hin zur Stimmung lag das Game nahe am Original, ohne alles eins zu eins zu kopieren. An allen Ecken und Enden wurden unnötige Kanten abgeschliffen. Die Charaktere bewegen sich flüssiger und realistischer, das Inventar ist leichter zu bedienen und die Waffen fühlen sich an, wie in einem modernen Horror-Game. Um diese Neuerungen aufzuwiegen, damit das Spiel nichts an Schwierigkeit und Grusel einbüßt (im Original und Spielen dieser Zeit waren es oft die absichtlich sperrigen Mechaniken, die viel zum Horror beitrugen), sind die Zombies unberechenbarer und gefährlicherer. An keiner Stelle wurde mehr verändert als unbedingt nötig, und wo es Leerstellen um Design gab, wurden diese stimmungsvoll und mit Vorsicht aufgefüllt. Das Ganze noch in ein grandioses Grafikgewand gehüllt und schon ist das perfekte Remake fertig.
Capcom hat verstanden, was Resident Evil 2 ausmacht und was nicht. Das ist essenziell für ein gutes Remake. Vor allem im Horror-Genre ist die Balance zwischen Spielvergnügen und kalkulierten Einschränkungen der Spieler wichtig, um ein Gefühl von Gefahr zu erhalten. So bekamen wir eine Version des Klassikers, der seine Essenz bewahrt und sich von den technischen Einschränkungen des Originals befreit. So wird’s gemacht. Das Resident Evil 3 Remake (hier unser Review) ist zwar auch gut, kann mit dem Vorgänger aber nicht ganz mithalten.
Beim Final Fantasy 7 Remake gab es noch eine ganz andere Herangehensweise. Was, wenn man ein riesiges Epos in mehrere Teile teilt und einzelnen Kapitel davon die Tiefe verleiht, die sie verdienen. Während die Kämpfe jetzt actionreicher sind, entspricht die Story dieses Game-Remakes im Grunde dem ersten Abschnitt des Originals. Wo man damals noch nur einige Stunden verbrachte, erlebt man nun eine richtig ausgestaltete Handlung, deren Charaktere mehr Tiefe und noch mehr Emotionen mitbringen. Das allein hätte wohl zu keiner Kontroverse geführt. Aber bei Square Enix hat man beschlossen die Handlung an einigen Stellen anzupassen, ohne die Grundausrichtung zu verändern. Diese Anpassungen betrafen aber emotionale Kernpunkte der Story und haben unter einigen Fans für Unmut gesorgt. Ob ein solcher Eingriff gut oder schlecht ist, bleibt Glaubensfrage. Es zeugt aber definitiv von Mut und Kreativität, einer so alten Story neue Aspekte abzugewinnen, sie neu zu erfinden und einer neuen Generation zugänglich zu machen.
Manche Game-Remakes hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Das trifft definitiv auf die Neuauflage von Mafia 2 zu. Der zweite Teil ist das erste der drei Mafia-Spiele, die alle in diesem oder nächstem Jahr eine Neuauflage bekommen sollen. Dabei ist Mafia 2 noch gar nicht mal so alt und auch heute noch im Original einwandfrei spielbar. Über die optische Aufhübschung kann man sich natürlich nicht beschweren, aber diese hatte einen Preis. Das Spiel ruckelt und stottert und aus irgendeinem Grund ist der Audiomix ein einziger Graus. Immer wieder kann man Dialog nicht verstehen und dann schreien einen die Charaktere förmlich an. Was da genau hinter den Kulissen passiert ist, kann man nicht sagen, aber vermutlich hat man ziemlich gehudelt. Es scheint, als habe man eine schöne Fassade auf eine Struktur gehängt, die sie nicht tragen konnte. Dass man es aber dann so veröffentlicht hat, ohne sich noch ein wenig Zeit zu nehmen, ist nicht entschuldbar.
Hoffen wir, dass man fürs Mafia 1 Remake daraus lernt. Denn im Gegensatz zu Mafia 2 hat Mafia 1 eine Neuauflage dringend nötig. Aus den bisherigen Bildern lässt sich glücklicherweise schließen, dass in dieses Projekt mehr Arbeit und Zeit geflossen ist.
Manchmal genügt schon ein kleines bisschen Farbe, um etwas wie neu aussehen zu lassen – oder zumindest wie gut erhalten. Im Falle des Command and Conquer Remasters trifft das auf jeden Fall zu. Um das Spiel aus dem Jahre 1996 wirklich in ein modernes Gewand zu hüllen, hätte man es von Grund auf neu aufbauen müssen. Das zahlt sich eher in Fällen von storylastigen Games aus, deren epische Handlung man für die Zukunft bewahren möchte. Im Falle von Command and Conquer war die trashy Handlung, das übertriebene Schauspiel und das klassische Gameplay der einzige Grund, sich auch heute noch damit befassen zu wollen. Anstatt also Ressourcen aufzuwenden, um alles zu überholen, hat man sich damit begnügt, das Game auf modernen Systemen spielbar zu machen und der unscharfen Grafik ein HD-Gewand umzuhängen. Das ist eine völlig legitime Herangehensweise. Das mag nicht sein, was sich heutige Spieler von einem Strategiespiel erwarten, aber dafür bräuchte es wohl einfach ein neues Spiel in der Reihe.
Age of Empires 2 zeigt wie’s richtig geht. Strategiespiele sind besonders heikel, weil der Multiplayer-Modus und die damit einhergehende Spiel-Balance kaum echte Gameplay-Änderungen erlauben. Sonst ist es schnell nicht mehr dasselbe Spiel. Noch schwieriger ist es, ein Spiel, das in 2 Dimensionen funktioniert, ins 3D Zeitalter zu bringen. Age of Empires 2 Definitive Edition gelingt das. Grafisch wurden 3D Bilder auf 2 Dimensionen projiziert. Die 3D Designs sind fast perfekte Annäherung an das, was die pixeligen 2D Figuren im Jahr 1998 darstellen sollten. Das gilt für das gesamte Spiel. Nach ein paar Minuten vergisst man fast, dass es einmal anders ausgesehen hat. Es wirkt optisch so, wie es sich damals anfühlte. Aber bei einer grafischen Aufbesserung belässt man es nicht. Seit dem ersten HD-Release des Spiels werden stetig neue Zivilisationen, Einheiten und sogar Kampagnen hinzugefügt. Das sind hunderte Stunden an Content. Aus einem fast vergessenen Game wurde so ein modernes und lebendiges Spiel – ein verewigter Klassiker.
Die Frage danach, wie ein Remake am besten zu machen ist, kann nicht pauschal beantwortet werden. Jedes Genre verlangt andere Ansatzpunkte. Actiongames müssen gut laufen und vor allem schön aussehen. Story-Games müssen dem Quellmaterial treu bleiben, dürfen sich aber erlauben, kreativ zu sein, die Handlung zu erweitern und im Detail anzupassen. Strategiespiele müssen im Gameplay authentisch bleiben und sollten sich auf grafische und quality-of-life Änderungen beschränken. Aber auch all diese Regeln können sich von Fall zu Fall verschieben.
Auf alle Fälle ist aber ein würdiges Videospiel-Remake immer ein großes Unterfangen. Ein Entwickler, der nicht bereit ist, viel Zeit und Arbeitskraft zu investieren, wird scheitern und läuft Gefahr, eine große und treue Fangemeinde zu verärgern. Es braucht Liebe zum Original und ein Verständnis dafür, was es besonders macht.
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Alle Screenshots (c) Microsoft Game Studios, Square Enix, Capcom, Take Two Interactive, Blizzard Entertainment
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.