Österreichs Ultratrail-Ass Florian Grasel im großen Interview. Unser Held des Monats, der im Jahr 5.000 Kilometer und 250.000 Höhenmeter überwindet, über seine verrücktesten Rennen. Welche Höhen und Tiefen sein Sport mit sich bringt, wie das Laufen sein Leben verändert hat und der Niederösterreicher für seinen 85 Kilometer Auftritt bei der Heim-WM in Tirol zum “Sprintpferd” wird.
von Christoph König
Lauf, Florian, lauf! Der schier unzähmbare Bewegungsdrang, der wilde Rauschebart. Österreichs bester Ultratrailläufer erinnert ein bisserl an Forrest Gump, wie er rastlos über den halben Kontinent rennt. Die sonnengebräunten Fältchen rund um die Augen lassen im Chat mit den Helden der Freizeit die vielen Kilometer erahnen, die er in seinem Training abspult. Unglaubliche 5.000 sind es in einem Jahr. Unvorstellbare 250.000 Höhenmeter überwindet er dabei. Am 9. Juni um 6:30 Uhr startet Florian Grasel bei der Heim-WM im Berg und Traillauf in Innsbruck/Stubai (kurz WMTRC – hier das Programm) im Trail Long über 84,9 Kilometer.
Warum ihm das eigentlich viel zu kurz ist, wie er daneben noch seine eigene IT-Firma und seine 5jährigen Zwillinge schupft, wie ihn der Sport aus seinem Arbeitstunnel gerettet hat und welche schönsten und schlimmsten Momente so ein Extremlauf parat hat, verrät unser Held des Monats im Interview. Dazu haben wir auch hier einen Wordrap mit ihm gemacht – der war wegen der WM-Vorbereitung aber nur im Laufschritt möglich.
Ja, das klingt zwar blöd, aber stimmt definitiv. Meine Stärken kann ich am besten bei 120 bis 170 Kilometern und darüber hinaus ausspielen. Da sind die 85 dann doch zu kurz. Dafür sind die 5.500 bis 6.000 Höhenmeter nicht so schlecht. Das ist für die kurze Strecke recht super. Ich habe doch einiges in meinem Training auf die schnellere Distanz angepasst. Mal schauen, ob der alte Ackergaul noch zum Sprintpferd wird (lacht). Auf jeden Fall bin ich sehr motiviert für die Heim-WM, freut mich, dass ich dabeisein darf.
Bei Neustift gibt es da einen 1.200 Meter Anstieg, wo man schon 1.500 Höhenmeter in den Beinen hat. Die Kalkkögel sind dann sicher einer der schönsten aber auch anspruchsvollsten Teile der Strecke, weil es da auf über 2.000 Metern Höhe recht lange und kontinuierlich bergauf und bergab geht.
Das war nicht unbedingt die beste Idee meines Lebens
Florian Grasel über seinen 1000 Kilometer Lauf von Wien nach Kopenhagen
Von den Rennen auf jeden Fall der Eiger250, den ich zusammen mit Tom Wagner gewonnen habe. Das war auch das längste. Mit 250 Kilometern und 20.000 Höhenmetern Nonstop. Von den eigenen Projekten: Als ich in 20 Tagen 1.000 Kilometer von Wien nach Kopenhagen zu einer Microsoft-Konferenz gelaufen bin – zu einem Arbeitstermin. Ich hab mir das super ausgemalt, so am Radweg entlang der Donau. Aber da hat mich im Jänner dann ein Wintereinbruch erwischt und ich musste auf Hauptverkehrsrouten ausweichen, weil nur die halbwegs geräumt waren. So bin ich kerzengerade über Tschechien rauf. Das war nicht unbedingt die beste Idee meines Lebens, weil das war recht gefährlich als Läufer auf Straßen, wo der Fernverkehr durch das Schneetreiben braust.
Mein Hauptziel ist, dass ich mit meinen Kindern auch mit 60 noch auf den Berg gehen kann. Ich will mich da auf keinen Fall vorher gesundheitlich umbringen, meine Knie kaputt machen oder so etwas. Ich will es nicht auf Kosten meines Körpers immer höher schneller und weiter treiben, aber natürlich schauen, wie weit mich meine Füße noch tragen. Da gäbe es noch den Tor des Geants, den Giganten Trail, in Italien mit 330 Kilometern. Das lasse ich mir noch offen. Ich will mich da noch nicht einschränken.
Bis 30 hab ich für meine IT-Firma Tag und Nacht nur gearbeitet, programmiert usw. Teilweise 80 Stunden in der Woche. Dann gab es dieses Erlebnis, dass ich nach einer Konferenz nicht mehr aus der Parkgarage rausgekommen bin, weil alle meine Kreditkarten maßlos überzogen waren. Da wusste ich, ich muss was ändern an meinem Leben, so kann es nicht weitergehen. Ich hab mit dem laufen begonnen, was am Anfang aber sehr mühsam war. Ich wollte beim ersten Mal nur von Wiener Neustadt nach Bad Fischau laufen, so 5 Kilometer. Als es dann im Wald ein bisschen bergauf gegangen ist, konnte ich nicht mehr und ich musste mich von meiner Frau abholen lassen. Das war ein Augenöffner. Deshalb hab ich dann richtig mit dem Sport und trainieren angefangen. Das hat mir auch für meine Arbeit sehr geholfen.
Da wusste ich, ich muss was ändern an meinem Leben, so kann es nicht weitergehen.
Grasels Arbeitssucht hatte ihn in eine Sackgasse befördert
Absolut richtig. Überhaupt nicht gut.
Genau. Ich hab mir mehr Gedanken gemacht, was meine Ziele für mich selber sind und warum ich das Ganze mache. So hab ich wieder eine bessere Strategie in die Firma einbauen können und es ging ihr dann besser. Mit dem Laufen hab ich es dann natürlich auch maßlos übertrieben (lacht). Ich hab meine Arbeitssucht in eine Laufsucht umgewandelt. Dann kamen vor fünf Jahren meine Zwillinge auf die Welt, genau als ich mit dem 9. Platz beim UTMB (Anmerkung: Der Ultra Trail du Mont Blanc ist der wichtigste Ultralauf der Welt) meinen größten Erfolg gefeiert hab. Trotzdem war ich damals nicht zufrieden, denn meine Gedanken waren nie da, wo ich gerade war, sondern immer irgendwo anders. In der Arbeit hab ich ans Laufen und die Kinder gedacht. Beim Laufen an die Kinder und die Arbeit und daheim an die Arbeit und das Laufen.
Ich hab von meinen Kindern gelernt, denn ein Kind lebt immer im Moment. So hab ich für mich eine #lifeworktrailbalance entwickelt – natürlich ist nicht immer alles in Balance und Happy Beppi. Aber, wenn jetzt einer der drei Säulen Überhand nimmt, versuche ich das wieder auszugleichen – oder meine Frau weißt mich dezent darauf hin, dass es wieder in Balance zu bringen ist (lacht).
Laufen ist mein Recharging (…) ohne das Laufen wäre ich wahrscheinlich längst im Burnout gelandet.
Grasel lädt mit 20 Stunden Training in der Woche seine Batterien auf
Es klingt vielleicht blöd, aber das Laufen ist mein Recharging, aus der Natur draußen ziehe ich die meiste Energie. Deshalb ist das Schlimmste für mich ein Training im Fitnessstudio oder am Laufband. Das mache ich nur im Notfall. Das Traillaufen draußen ist immer der wichtige Ausgleich für mich, damit ich Abschalten kann und funktioniere. Auch wenn es anstrengend ist, beruhigt es meinen Geist. Viele können das nicht nachvollziehen. Aber ohne das Laufen wäre ich wahrscheinlich längst im Burnout gelandet.
In der Buckligen Welt zum Beispiel. Auch als Flachland-Tiroler kann man Höhenmeter machen. 250.000 sind es im Jahr und die meisten hier bei mir in der Gegend. Natürlich bin ich oft am Wechsel, am Schneeberg oder auf der Hohen Wand. Oft kombiniere ich das mit Radfahren hin und zurück. Weil die schlimmste Zeitverschwendung ist für mich, wo lange mit dem Auto hinzufahren.
Durch den Schlafentzug fangen irgendwann die Halluzinationen an
Grasel über Extremsituationen bei seinem Eiger250-Sieg
Beim Eiger250 ist klar, dass durch den Schlafentzug irgendwann die Halluzinationen anfangen. Da springt dich ein Löwe an und dabei ist es nur dein Schatten. Wir haben in den 50 Stunden, die wir gelaufen sind, nur 10 Minuten geschlafen. Dazu kommen Hitze, Kälte und diese Höhenmeter. Da fahren Körper und Geist einfach runter. Aber ich würde das nicht als schlimm bezeichnen, weil du stellst dich darauf ein. Und dass es irgendwann schmerzhaft ist, ist auch klar. Aber du weißt, dass auf schlimme Momente wieder gute folgen.
Weil der Lauf so extrem ist, bist du bei diesem Rennen in Zweierteams unterwegs. Das ist super, weil dann geht es immer einem besser, auf den du dich verlassen kannst. So bleibt die Gefahr überschaubar. Die ganze Strecke war auch nicht markiert. Du hast selbst navigieren müssen. Da verläufst du dich auch ab und zu.
Wir waren fünf Stunden vor den Zweiten. Dabei sind wir lange bis Kilometer 200 zirka ähnlich schnell gelaufen – nur am Schluss rauswaren wir ziemlich gut unterwegs. Wir haben 50 Stunden und 47 Minuten gebraucht.
Offiziell 20.000, laut unseren Uhren waren es um die 17.000. Der Unterschied kann daran liegen, dass wir das GPS ein bisschen zurückdrehen mussten, damit die Akkus der Uhren so lange halten.
Das ist wirklich Trainingssache. Natürlich ist es die größte Belastung. Ich hab aber glücklicherweise schon als Kleinkind gelernt, wie ich flüssig bergab laufen und am besten auftreten kann. Dazu kommt das Training mit den 250.000 Höhenmetern im Jahr. Gott sei Dank hab ich keine Kniebeschwerden. Wenn du es richtig machst, nicht übertraubst und es gezielt aufbaust, kann das schon helfen.
Nach jedem UTMB sagst du, du wirst es nie wieder im Leben machen
Aber nach kurzer Zeit ist es schon wieder vergessen.
Das Beste ist ja, je mehr man läuft macht man immer mehr die Erfahrung: Egal, wie schlimm es ist, es kommt danach auch immer wieder ein Hoch. Das kann innerhalb von 5 bis 10 Minuten schwanken von zu Tode beträubt auf Himmelhoch jauchzend. Außerdem kommst du nach jedem UTMB an und sagst, du wirst es nie wieder machen. Nach den Glücksgefühlen im Ziel fährt der Körper gleich runter, du hast überall Schmerzen, einen Wolf und sagst: Nie im Leben tu ich mir das nochmal an. Aber Gott sei Dank funktioniert der Verdrängungsmechanismus beim Mensch sehr gut und es bleiben die schönen Erinnerungen.
Auf jeden Fall Kilian Jornet. Weil das ist bei uns der Trailrunning-Gott. Wirklich ein Übermensch, was der schafft von den kurzen bis zu den ultralangen Distanzen. Ich bin ja auch in den Bergen unterwegs und hab schon einige Expeditionen gemacht. Was da früher Pioniere wie Reinhold Messner oder Peter Habeler gemacht haben, diesen Abenteuercharakter find ich schon immens cool.
(überlegt sehr lange). Nein. Nicht wirklich viel. Nur anderen Ausgleichssport wie Tourenski, Radfahren oder Klettern.
Auf jeden Fall die Wetterkapriolen bei langen Distanzen – von 30 Grad und Dehydrierung bis zu Gewittern, Kälte und Schnee. Da kann die komplette Bandbreite dabei sein. Solange du in Bewegung bist und damit Wärme erzeugst, reichen Wind und Regenjacke aus. Wenn du aber müde bist und nicht weiterkommst, weil du dich überschätzt, hast du wirklich ein Problem, wenn du da auf 2000 Metern oben festhängst.
Beim Rennen nicht, beim Training schon des öfteren. Zum Beispiel sitzt da am Schneeberg oben jemand auf der Hütte fest, der zu schlecht ausgerüstet ist, um oben zu bleiben, durch das Wetter aber nicht mehr herunterfindet. Dem helfe ich dann ins Tal zu kommen.
Selbst Kilian Jornet brauchte auf seinem Hausberg schon einmal die Bergrettung.
Auch für die größten Traillauf-Ikonen bleibt ein Restrisiko.
Ich übe im Training mit bestimmten Gefahrensituationen umzugehen. Deshalb gehe ich auch mal bei extrem schlechten Wetter auf den Berg, damit ich weiß, was auf mich zukommt. Mit zusätzlicher Ausrüstung oder nur in einem Terrain, wo ich jeden Stein kenne, wie am Schneeberg. Da weiß ich, egal, was da vom Wetter los ist, wie ich in gut 15 Minuten wieder herunten bin, solange ich mir keinen Fuß breche. Und selbst am Hausberg lernst du, gibt es Situationen, wo du durch Nebel oder Schneetreiben auf einmal gar nichts mehr siehst und du dir mit dem GPS den Weg suchen musst. Natürlich kannst du dich nicht auf alles vorbereiten. Selbst Kilian Jornet musste sich auf seinem Hausberg, dem Mont Blanc, schon mal von der Bergrettung holen lassen.
Wenn du die Nacht durchgelaufen bist, mit allen Höhen und Tiefen. Und dann geht die Sonne zum ersten Mal auf. Das ist ein wahnsinnig schöner Moment. Beim ersten UTMB bin ich gerad übers Col Ferret gelaufen, als die Sonne aufgegangen ist. Das wird mir immer in Erinnerung bleiben.
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Alle Fotos: © Damiano Levati/Storyteller Labs
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