In Staffel 2 findet Fleabag zu Gott. Kann er ihr helfen ihre Bindungs- und Beziehungsängste zur beseitigen? Unser Review zur Fortsetzung der bei uns auf Amazon zu sehenden BBC-Erfolgsserie.
von Christoph Geretschlaeger, 20. 5 2019
Fleabag ist eine junge Frau, lebt in London, und versucht die komplizierte Welt der Liebe und Beziehungen zu navigieren. Oft mit direktem Blick in die Kamera, aber nie ohne tiefschwarzen Humor.
Seit Freitag ist die zweite Staffel der BBC-Erfolgsserie hierzulande auf Amazon online. Wir haben sie bereits gesichtet und berichten in unserer Kritik, was du dir von der zweiten Staffel von Fleabag erwarten kannst und um was es geht, ohne zu viel zu spoilern.
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Unsere Hauptdarstellerin Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) ist eine Meisterin der emotionalen Selbst-Sabotage. Ungesunde, dysfunktionale Beziehungen bestimmen ihren Alltag. Fleabag hat einen Großteil ihres Erwachsenendaseins Sex verwendet, um von der gähnenden Leere in ihrem Herzen abzulenken. Man denke nur an den schüchternen Harry aus der ersten Staffel. Sie zwingt ihn sich auszuziehen, macht immer wieder mit ihm Schluss, behält aber was von seinen Sachen. Nur um ihn nach der kurzfristigen Trennung ebenso kurzfristig wieder zu umgarnen – obwohl er eigentlich nur sein Zeug zurückhaben will.
Mit ihrer besten Freundin Boo betreibt Fleabag ein Meerschweinchen-Café. Bis Boo der Aufmerksamkeit eines Mannes wegen unabsichtlich Selbstmord begeht.
Ihre Mutter ist seit ein paar Jahren tot, ihr Vater in einer Beziehung mit ihrer Godmother (Taufpatin). Die neue Flamme ihres Papas wird wunderbar bissig von Oscarpreisträgerin Olivia Colman (gewann für The Favourite – Helden-Kritik liest ihr hier) verkörpert. Eine Stiefmutter auf die Aschenputtel neidisch wäre. Von perfiden „Beobachtungen“ bis hin zu offenen Anfeindungen ist alles dabei. Hass und Verachtung gegenüber Fleabag sind nur dünn maskiert hinter strahlendem Lächeln und blitzenden Zähnen.
Fleabags Leben etwas Halt gibt das angestrengte, aber auf Grundvertrauen basierende, Verhältnis zu ihrer beruflich erfolgreichen Schwester Claire (Sian Clifford). Gemeinsam werden Feminismus-Vorlesungen und eher unfreiwillig, auf Initiative ihres Vaters, Silence-Retreats besucht. Für die sonst sehr gesprächige Fleabag keine gute Idee …
Ein Jahr nachdem die Ereignisse von Staffel 1 einen Keil zwischen Claire und ihre Schwester getrieben haben, beginnt die zweite Staffel in einem kleinen Rahmen. Es gibt etwas zu feiern: die Verlobung von Fleabags Vater und ihrer Godmother. Und ein besonderer Gast sitzt auch bei Tisch, der Priester, der die beiden vermählen soll. Ein fluchender und überraschend nahbarer Mann Gottes (meistervoll integriert: Andrew Scott, Moriarty aus Sherlock). Fleabags Interesse ist geweckt.
Im Verlauf der sechs Folgen kommt es zu Handgreiflichkeiten mit dem aalglatten, schleimigen, Ehemann Claires, hat Kristin Scott Thomas einen Kurzauftritt und Fleabag beginnt in der Bibel zu lesen. Überraschend erkenntnisreich ist auch der Besuch einer Psychotherapeutin (ein Geschenk ihres Vaters).
Was sich durch alle Folgen zieht sind die bissigen, scharfzüngigen, Dialoge und der schwarze britische Humor.
Fleabag büßt in seiner zweiten Staffel nichts von Originalität und Witz der ersten Staffel ein. Geht es in den ersten sechs Folgen eher um Sex-Eskapaden und zum Scheitern verurteilte Beziehungen, konzentriert sich die zweite Staffel voll auf das Seelenleben von Fleabag und ihrer Familie. Absolut sehenswert!
Findet Fleabag die große Liebe? Schafft es Claire sich von ihrem Mann, der Flasche, loszusagen? Fasst sich ihr Vater ein Herz und trennt sich von der manipulativen und aufdringlichen Godmother? Fragen die Fleabag bewusst nicht ganz beantwortet. Es gibt wohl keine hübsche Schleife, kein Happy End. Dafür ist das Leben zu komplex. Oder doch nicht?
Auch die, sonst oft vorhersehbar eingesetzte, direkte Anrede des Zuschauers birgt immer wieder Überraschungen und erlaubt zum Brüllen komische Szenen. Überhaupt ist, angesichts der Thematik, Fleabag ausgesprochen lustig. Aber eben nicht nur, andere Emotionen sind genauso willkommen, wunderbar rübergebracht vom grandiosen Cast.
Fleabag ist lustig, unterhaltsam, verrückt, emotional, traurig und scheut vor keinen Tabus zurück. Das macht die Serie erfrischend ehrlich, und absolut sehenswert.
Die Serienadaption des Bühnenprogramms von Phoebe Waller-Bridge (auch Hauptdarstellerin) ist mit der zweiten Staffel zu Ende, es sind keine weiteren Folgen geplant. Dadurch kann Fleabag seine Geschichte erzählen, braucht keine faden Füller-Folgen, kann einen Gedanken zu Ende denken, heutzutage leider eine Ausnahme.
Alle Fotos: © Amazon
Der Grafiker und Art Direktor (Helden der Freizeit, Styria Verlag) aus Wien ist ein absoluter Game- und Film-Kenner. Das zeigt das in seinen Tests und Bestenlisten.