In ihrer jüngsten Doku hat Ruth Beckermann über drei Jahre eine migrantische Schulkasse in Wien Favoriten begleitet. Herausgekommen ist ein rührendes Plädoyer für mehr Verständnis und bessere Schulfinanzierung.
von Susanne Gottlieb, 19. 9. 2024
Favoriten, oft als gefährlich und zwielichtig verschrien, war einst ein klassisches Arbeiterviertel im Süden Wiens. Die Arbeiter sind immer noch da, aber heute hat etwa ein Drittel von ihnen seine Wurzeln im Balkan oder der Türkei. Ein Wiener Schmelztiegel, in dem selten Deutsch gesprochen wird und Integration noch oft eine Herausforderung ist.
Die gleiche Situation findet sich auch in den Schulen. Mehr als 60 Prozent der Volksschüler sprechen Deutsch nicht als Erstsprache. Das Schulssystem, das dem eigentlich gegensteuern sollte, leidet an einem Mangel an Pädagogen und finanziellen Mitteln.
Hier setzt Ruth Beckermanns neuester Dokumentarfilm Favoriten an. Von 2020 bis 2023 haben sie und ihr Kamerateam 25 Kinder und die Lehrerin Ilkay Idiskut von der zweiten bis zur vierten Klasse an der größten Volksschule Wiens begleitet. Das ist ein Zeitrahmen, der sie vom Spielen und Lesenlernen bis zum ersten großen Meilenstein in ihrem jungen Leben führte.
Was für eine weiterführende Schule steht für sie an? Wie gut werden sie die Sprache beherrschen? Bleiben sie als Nachkommen der zweiten Generation chancenlos oder können sie sich die Chancen verschaffen, die normalerweise der Mainstream-Gesellschaft vorbehalten sind?
Beckermann weiß, dass es nicht ausreicht, nur den Alltag von Klasse und Bildung zu beobachten, um diese Geschichte zu erzählen. Sie und ihr Kameramann Johannes Hammel tauchen in die Menge der Kinder ein, bewegen sich leise zwischen ihnen und beobachten sie.
Es gibt nur sehr wenige Aufnahmen, die über die Augenlinie der Kinder hinausgehen. Der Zuschauer begegnet ihnen auf Augenhöhe, als vollwertige Individuen. Ein kluger Schachzug des Filmteams war es auch, den Schülern Handys zu geben, damit sie sich selbst filmen konnten. Durch diese persönliche Auswahl dessen, was die Kinder von ihrem Leben zeigen wollen, entsteht eine enge Verbindung zwischen Zuschauern und Protagonisten.
Die große Anzahl der Schüler erlaubt es zwar nicht, sich mit jedem von ihnen einzeln zu beschäftigen. Der Film schafft es aber, die Konflikte und Themen anhand einiger weniger darzustellen. Ein Mädchen schimpft mit den anderen, wenn sie in der Klasse Türkisch statt Deutsch sprechen. Die Buben glauben, sie müssen den Mädchen vorschreiben, was sie anziehen dürfen. Es ist eine Gesellschaft voller Identitätsfragen, in der Kinder zwischen der Tradition daheim und österreichischer Integration pendeln.
Beckermann schafft es auch, die Bildungspolitik in Österreich, den Mangel an Geld und Personal und die drohenden Unzulänglichkeiten, die die Kinder dadurch erfahren werden, einzubauen, ohne dafür das Klassenzimmer zu verlassen. Ilkay Idiskut profiliert sich zwar mit ihrem dynamischen Unterricht, aber es ist schwer zu übersehen, dass sie allein in einem Klassenzimmer voller Kinder ist, die von zusätzlichem Lehrpersonal profitieren würden.
Auf einer Lehrersitzung verkündet der Schulleiter, dass es kein Budget für weitere Deutschkurse oder den Zugang zu Sozialarbeitern oder Psychologen geben wird. Es ist ein mangelhaftes System, vor dem die Politiker die Augen verschließen. Es ist schwer zu sagen, wohin das Leben die Kinder führen wird. Aber Beckermann bietet zumindest kurzweilig einen bewegenden Einblick in eine Welt, in der junge Menschen bereit sind, trotz aller Widrigkeiten den Kampf um ihre Selbstverwirklichung aufzunehmen.
Ruth Beckermann gelingt abermals eine eindrucksvolle und bewegende Doku, die einen der größten Brennpunkte für junge Menschen aufgreift: Die Vernachlässigung des Schulsystems, vor allem unter migrantischen Kindern.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.