Faszination Vienna – ein Fan erzählt, was den Kult um den ältesten Fußballklub Österreichs ausmacht. Eine Geschichte, in der Macho-Kultur und Diskriminierung keinen Platz haben. Dafür aber Freundschaften, Vielfalt und lange Abende im Vienna Stüberl.
von Lelo
Ich gestehe. Ich bin ein Spätberufener. In Wien-Favoriten aufgewachsen war meine Kindheit violett. Mit 10 stand ich schon am Horr-Platz und jubelte Friedl Koncilia zu. Mit der Pubertät kamen die Mädchen und die Musik und ich verlor das Interesse am Fußball im Allgemeinen, und an der Austria im Speziellen.
Durch die Ära Stronach war der Rest an Sympathie dahin. Ich war offen für neue Impulse. Diese kamen von meinen Labelpartner bei Wohnzimmer Records, Peter. Er schwärmte mir immer wieder von diesem obskuren Klub aus Wien-Döbling vor. Den kannte ich bis dahin nur vom Namen: den First Vienna Football Club 1894.
2003 hatte er Kerstin, die dritte im Wohnzimmer-Verbund, und mich schließlich weichgekocht. Wir wagten uns beim Derby gegen den Wiener Sportklub erstmals auf die Hohe Warte. Das Stadion war mit mehreren tausend Fans für ein Regionalliga-Spiel erstaunlich gut gefüllt. Wobei “gut gefüllt” relativ ist. Fasste die Hohe Warte in den 1920er Jahren doch bis zu 80.000 Besucher und galt damals als größte Naturarena Europas. Zu meiner Überraschung traf ich unter den Anhängern beider Vereine viele bekannte Gesichter. Insbesondere aus der Musik- und Lokalszene.
Das Verhalten der Fans – ein positiver Schock
Am meisten beeindruckte mich aber das Verhalten der Fans zueinander. Natürlich spürte man die sportliche Rivalität. Im Gegensatz zum großen Wiener Derby gab es aber keinerlei Aggressionen und Beschimpfungen. Ein positiver Schock für mich. War ich doch von klein auf an “Tod und Hass”, wahlweise “schwule”, “schwarze” oder “grüne Sau” gewohnt. Hier waren die Fangesänge hingegen charmant, witzig und oft auch selbstironisch. Nach dem Spiel endete alles in einer riesigen, vereinsübergreifenden Party.
So dauerte es nicht lange und ich stand selber Woche für Woche im Fanblock der Vienna und sang aus Leibeskräften mit. Wenn es die Zeit erlaubte ging es auch mit dem Fanbus zu den Auswärtsspielen. Glücklicherweise sind die Distanzen ab der Regionalliga abwärts relativ klein. Bald schon durfte ich mich zum losen Fankollektiv Döblinger Kojoten zählen. Als Kerstin dann mit ihren Freunden die PlüschPonyBande gründete, musste ich da unbedingt auch dabei sein. Ich konnte mir keinen passenderen Namen vorstellen, um sich über die testosteronschwangere Macho-Kultur lustig zu machen, die sonst auf den Tribünen vorherrscht.
Punks und Anzugträger, Studenten und Pensionisten
Anders hier. Da lob ich mir, dass es beim First Vienna FC noch problemlos möglich ist, mit der ganzen Familie zum Fußball zu gehen. Überhaupt macht ja die Vielfältigkeit des Fanblocks den Charme auf der Hohen Warte aus. Da findet man Punks, Pensionisten, Anzugträger, Studenten und alles dazwischen. Und Edi liefert mit seinem mittlerweile legendären Dudelsack den Soundtrack dazu.
So kann es schon passieren, dass Abende an denen man “nur mal kurz aufs Match gehen will”, erst Stunden später im ans Stadion angeschlossenen “Vienna Stüberl” enden. Oder, dass sie bei Schönwetter am Stadionvorplatz unter den Augen der Karl-Decker-Büste verplaudert werden. Oder man gibt – euphorisiert von einem glorreichen 0:0 – sein letztes Bargeld am von Roli betreuten Fancontainer ab. Für das 47. blaugelbe Shirt oder den fünfzehnten Schal in der persönlichen Sammlung.
Durch den Konkurs des Hauptsponsors schlitterte die Vienna 2017 in die Insolvenz. Es folgte der Zwangsabstieg in die fünfte Liga. Mittlerweile gelang zwar der Wiederaufstieg in die viertklassige Wiener Stadliga, um an die Erfolge der Glanzzeiten des Vereins anzuschließen, ist der Weg aber noch weit.
Getreu dem Motto “wahre Liebe kennt keine Liga” ist es für mich aber eigentlich nebensächlich, wo sich die Vienna gerade aufhält. Die Hauptsache ist, dass es sie weiter gibt. Und mit ihr ihre Spielstätte, das Stadion Hohe Warte. Denn, so blöd es klingt. Es gibt wenige Orte an denen ich mehr gelacht, mehr gelitten, mehr gejubelt und mehr Freundschaften geschlossen habe als hier. Auf diesem Platz auf dem – wie vor einigen Jahren die Fans in riesigen Lettern an die Tribünenwand gemalt haben – “kein Platz für Diskriminierung” ist. Er würde mir sehr fehlen.
Auch sehr lesenswert! Was die Faszination Wiener Sportclub ausmacht, könnt ihr in unserer Story Wie ich als Piefke lernte, Dornbach zu lieben nachlesen.
Aufmacherfoto und alle weiteren Fotos: (c) Clemens Franke
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