Der abgesagte Song-Contest kann heuer doch stattfinden, wenn auch nur in fiktionaler Form – als Netflix Comedy mit Multitalent Will Ferrell. Er und Rachel McAdams rücken in Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga als exzentrische isländische Künstler ins Finale des Wettbewerbs vor. Ob sich der ESC-Film auf alle Fälle lohnt (die Musik! die Musik!), erfahrst du in unserer Kritik.
von Susanne Gottlieb
24. Juni 2020: Es gibt in Europa wohl niemanden, der nicht schon einmal den Eurovision Song Contest geschaut hat. Der eigentümliche Musikwettbewerb, bekannt für seine kuriosen Musiknummern, genderfluiden Künstler und durchgeknallten Bühnenshows, ist ein Fixpunkt des schrillen Fernsehgeschmacks. Außerhalb des Kontinents eher missverstanden, sieht man einmal von Superfan Australien ab, der seit ein paar Jahren ebenfalls am Start ist, bot sich das Event nicht gerade zum Verwursten seitens amerikanischer Filmemacher an.
Doch wenn man einen Komiker vom Kaliber von Will Ferrell braucht, dann ist er zur Stelle. Ferrell, der mit einer Schwedin verheiratet ist, deren Land ja ein Schwergewicht in Sachen ESC-Dominanz ist, wird wohl im Laufe seiner Ehe mit dem Song Contest Bekanntschaft geschlossen haben. Offenbar reichte die Begeisterung, um sich dem Thema in seiner neuesten Komödie für Netflix anzunehmen. Ob auch wir vom Film begeistert sind, liest du in unserer Kritik.
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Seit jener schicksalshaften Nacht, in der ABBA mit Waterloo den Song Contest gewannen, will der junge Lars Erickssong (als Erwachsener Will Ferrell) den ESC gewinnen. Zusammen mit seiner Gesangspartnerin Sigrit Ericksdottir (Rachel McAdams), mit der er sehr wahrscheinlich nicht verwandt ist, bemüht er sich Jahr für Jahr. Doch als bei einem tragischen Bootsunfall alle isländischen Kandidaten (unter anderem Demi Lovato als Katiana) ums Leben kommen, scheint die große Stunde von Lars‘ und Sigrits Band Fire Saga gekommen.
Mit dem Spott des isländischen Fernsehsenders und unter den düsteren Brauen von Lars‘ „lächerlich gut aussehendem“ Vater Erick (Pierce Brosnan) reisen die beiden nach Edinburgh zum Finale (der wohl beste Scherz des Films: Großbritannien richtet den Song Contest aus). Dort sind zunächst die Antennen stur auf Sieg gestellt. Aber so kommt nun mal kein Film zusammen und die beiden müssen sich nicht nur mit katastrophalen Probe Sessions auseinandersetzen, sondern auch mit allerlei Ablenkungen und Erkenntnissen.
Sigrit wird von dem reichen, exzentrischen russischen Sänger Alexander Lemtov (Dan Stevens) umschwärmt, der sie zu seiner künftigen Gesangspartnerin machen möchte. Gleichzeitig muss sie auch erkennen, dass Lars‘ getriebenes Ego und Schielen auf Anerkennung ihre heimliche Liebe zu ihm dauerhaft sabotieren könnte. Und Lars muss sich die Frage stellen, was wirklich seine Prioritäten im Leben sind.
Wer Will Ferrell und seine Filme kennt, der wird von der narrativen Struktur und dem Humor nicht mehr allzu sehr überrascht werden. Wie immer zieht er die Lacher aus infantiler Männlichkeit, Mannskindern, Witzen über Schamregionen oder Stereotypen. Allein die Gags auf Kosten von genderfluiden, leicht homosexuellen Anspielungen fügen sich diesmal nahtlos in den Plot ein, weil immerhin, das ist der Song Contest.
Dennoch beweist Ferrell wie so oft ein geübtes Auge für Sonderlichkeiten und Details der Welt, in die er abtaucht. Da wäre zum Beispiel der Cameo des irischen Showmasters und Kommentators Graham Norton, der berühmt ist für seine trockene Kommentierung des Events für die BBC. Auf dem Soundtrack finden sich ein paar alte ESC Persönlichkeiten. Und gedreht würde übrigens auf der 2019 Edition Bühne in Tel Aviv.
Somit verzeiht man Ferrell schon auch mal zu vorhersehbare Irrungen und Wirrungen und die teilweise altbackenen Dialoge. Die Kostüme stimmen, das Flair stimmt, aber der wahre Star ist die Musik.
Der Film funktioniert am besten wenn er die Rahmenhandlung hinter sich lässt und sich voll und ganz auf den Eurovision Wahnsinn einlässt. Wer vorab schon Volcano Man auf Youtube gehört hat, wird sich bereits gewundert haben, wie perfekt die Songschreiber den Geist des ESC darinnen eingefangen haben. Aber es kommt noch mehr. Double Trouble, Lion Lover, Ja Ja Ding Dong – sie alle gehen einem tagelang nicht mehr aus dem Kopf.
Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga ist kurzweilige Unterhaltung, die nicht mit der originellsten Handlung punktet, aber einer punktgenauen liebevollen Persiflage auf das Original und Hammer Songs. Der Trash-Sommer ist gerettet.
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Alle Fotos: (c) Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.