Autumn de Wilde legt mit EMMA. ein fulminantes Regiedebüt hin. Sie verhilft Jane Austens Roman Emma zu neuem Glanz, der in den großen wie in den kleinen Dingen der Liebeskomödie enorme Strahlkraft entwickelt.
von Sophie Neu
6. März 2020: Sich der Verfilmung eines Jane Austen-Romans anzunehmen, ist nun nicht unbedingt ein revolutionärer Einfall. Doch Autumn de Wilde, die bisher eher für ihre Musikvideos für Stars wie Florence + The Machine bekannt war, schafft es in EMMA. eine noch nicht filmisch ausgeschlachtete Seite der Austen-Bücher zu explorieren. Denn vom opulenten Set in romantischen Pastelltönen bis hin zu den subtilen Andeutungen des Humors, für den Jane Austen so von ihren Lesern geschätzt wird, inszeniert de Wilde eine ebenso berauschende wie berührende Liebesgeschichte, die viel mehr als nur das ist.
Gerade ist der Film bei uns im Kino gestartet. Was wir an EMMA. besonders schätzen, lest ihr in unserer Kritik. Übrigens: Wer auf die Verfilmung solcher Literaturklassiker steht, sollte unbedingt auch einen Blick auf unsere Little Women Kritik werden. Denn das oscar-prämierte Werk läuft ebenfalls gerade im Kino und ist auch sehr zu empfehlen.
Die ebenso wohlhabende wie clevere Emma Woodhouse (Anya Taylor-Joy) versucht sich in ihrem verschlafenen Dorf Highbury lieber als Kupplerin und macht sich wenig Gedanken darum, einen eigenen Ehemann zu finden. Nachdem sie ihre Gouvernante Miss Taylor (Gemma Whelan) erfolgreich mit dem Witwer Weston (Rupert Graves) zusammengebracht hat, ist sich Emma sicher, dass sie ein unfehlbares Gespür in Sachen Beziehungen hat. Dementsprechend sucht sie sich gleich ihr nächstes Opfer in der naiven Harriet Smith (Mia Goth) und will sie dem jungen Vikar Elton (Josh O’Connor) schmackhaft machen.
So nachsichtig und milde ihr Vater (Bill Nighy) mit diesen Kuppelversuchen umgeht, so wenig freuen sie den jungen Mr. Knightley (Johnny Flynn). Als Freund der Familie und Stammgast im Haus der Woodhouses ist seine Meinung von Emma ebenso geschätzt wie gefürchtet. Denn im Gegensatz zum Rest ihres sozialen Zirkels nimmt er sich kein Blatt vor den Mund, wenn er sieht, dass Emma moralische Grenzen überschreitet. Doch trotz seiner warnenden Worte verrennt sich die verwöhnte Miss Woodhouse immer weiter in ihre Vorstellung, die perfekte Kupplerin zu sein und stürzt damit nicht nur ihr eigenes Leben ins Chaos.
Jane Austen sagte über Emma Woodhouse, dass sie einen Charakter schaffen würde, den vermutlich nur sie allein mögen könnte. Diesen Satz scheint sich auch de Wilde bei ihrem Film zum Vorbild genommen zu haben. Emma ist eigenwillig, arrogant und viel zu sehr von ihrem eigenen Können überzeugt. Dennoch fasziniert sie. Denn sie ist gut zu Freunden, wie Fremden. Und im Verlauf von EMMA. entwickelt sie sich weiter, ganz so wie im Roman. Damit ist Emma eine ebenso charmante Geschichte über innere Reife, wie es eine Liebeskomödie ist. Das ist nicht zuletzt Anya Taylor-Joy zu verdanken, die die vielen Facetten der Austen-Heldin mit ihrer Mimik und Gestik perfekt einfängt, ohne als Emma für den Zuschauer je anstrengend zu werden.
Und so wird Miss Woodhouse in EMMA. zu mehr als nur der verwöhnten und arroganten Kupplerin, die sie in manch anderen Adaptionen ist. Denn der große Fokus der Verfilmung liegt nicht etwa auf Emmas eigenen romantischen Verflechtungen. Er wird stattdessen von de Wilde darauf gesetzt, wie sie in ihrer Freundschaft mit Harriet immer wieder mit ihren eigenen Fehlern und den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert wird und daran wächst. Natürlich gibt es ein Happy End für sie, aber dafür muss sie erstmal stark an sich arbeiten und sich von ihren Vorurteilen und ihrem Stolz befreien. Dadurch bleibt Emma trotz einiger übereifriger Eskapaden sympathisch.
Doch auch ihr Counterpart, Johnny Flinn, der den Mr. Knightley spielt, trägt mit seiner ausdrucksstarken Schauspielarbeit ungemein dazu bei, dass in EMMA. das typische Jane-Austen-Flair aufkommt. Ganz der Gentleman ist er in den meisten Szenen absolut kontrolliert. Doch wann immer Emma in der Nähe ist, entgleisen ihm die Gesichtszüge.
Allgemein kann man am starken Fokus auf die Mimik und Gestik in EMMA. erkennen, dass Jane Austens genauer Beobachtungsgabe Respekt gezollt wurde. Vom Augenzucken bis zur ausdrucksstarken Tanzszene beweist de Wilde, dass es im Medium Film nicht immer Worte braucht um sich auszudrücken.
Nicht minder fantastisch ist Bill Nighy als alternder Mr. Woodhouse, der sich mit seinen vielen (meist eingebildeten) Wehwehchen plagt. Mit großem körperlichen Einsatz und einer ordentlichen Portion Nörgelei sorgt er für die nötige Auflockerung in angespannten Situationen. Springt er in der einen Sekunde noch putzmunter die letzten Treppenstufen hinunter, konsultiert er sich im nächsten mit seinem Hausarzt, der auf sein Geheiß täglich in Anwesen antreten muss.
Insgesamt ist der Cast hervorragend gewählt. Kenner der Netflix-Serie Sex Education könnten übrigens das ein oder andere Gesicht wiederkennen.
Doch auch abseits der Schauspieler ist EMMA. ein wahrer Genuss. Vor allem die Augen erfreuen sich an den opulenten Sets. Man merkt de Wilde ihre Vergangenheit in der Musikvideo-Branche hier ganz stark an, denn jedes Detail ist bis ins Letzte ausgeklügelt und mit symbolischer Bedeutung geladen. Angefangen von den Pastelltönen, in denen der ganze Film gehalten ist, bis hin zum letzten Törtchen, das zum Tee serviert wird.
Als wäre das nicht genug, kredenzt de Wilde pointierte Dialoge, die reichhaltig mit Zitaten aus dem Ursprungsmaterial gespickt sind. Trotz des Alters des Originalwerks sind die Gespräche in EMMA. erfrischend und leicht. Jeder Charakter hat seine ganz eigene Weltauffassung, die er auch gerne kundgibt. Von Mr. Knightley, der sich gern mal als Welterklärer gegenüber Emma gibt, bis hin zur naiven Harriet, die blind auf das Urteil ihrer reichen Freundin vertraut und ihr zunächst unsicher alles nachplappert. Die Adaption für die große Leinwand ist Drehbuchautorin Eleanor Catton mehr als gelungen, die Protagonisten haben nichts von ihrem Charme eingebüßt.
EMMA. ist das perfekte Kinoerlebnis für alle Fans von Jane Austen. Aber genauso für all jene, die es noch werden wollen. Die charmanten Charaktere, die flotten Dialoge und die opulenten Sets sind ein berauschendes Erlebnis und werden dem Ausgangsmaterial in jeder Hinsicht gerecht. De Wilde hat hier ein Regiedebüt hingelegt, das auf eine vielversprechende Zukunft in der Filmindustrie deutet.
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Bilder: © Box Hill Films / Focus Features
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.