Statt vom Tellerwäscher zum Millionär diesmal vom Knappen zum König. Amazon Prime erzählt die Geschichte eines der größten spanischen Nationalhelden und präsentiert dabei leicht verdauliche Ware für entspannte Streamingabende.
von Susanne Gottlieb
18. Dezember 2020: Es muss nicht immer britische Historie sein. Während die meisten Fans historischer Kostümschinken wohl schon die Geschichte der Insel auswendig herunterbeten können, beginnen Streamingdienste langsam oder doch auch die Legenden und Helden des Kontinents auszugraben. Von Barbaren auf Netflix, über Vikings bis hin nun zu den Spaniern und ihren El Cid. Amazon Prime hat dafür eine Riege an spanischen Darstellern, von Jaime Lorente, Star des Netflixhits Haus des Geldes, bis hin zu Carlos Bardem, Bruder von Javier verpflichtet.
Herausgekommen ist dabei eine durchaus akzeptable Massenware, die einem erlaubt das eingerostete Schulspanisch ein wenig aufzufrischen, die moderne Befindlichkeiten geschickt anspricht ohne anachronistisch zu wirken und die mit eine paar ordentlichen Sets daherkommt. Für die Feiertage und den Streamingfrust genau die richtige Ware.
Der junge Rodrigo Díaz de Vivar (Jaime Lorente), genannt Ruy, dient am Hofe des Königs Fernando I (José Luis García Pérez) von Kastillien und Leon als Knappe für dessen Sohn und Kronprinzen Sancho (Francisco Ortiz). Sein Vater war Jahre zuvor im Krieg der Brüder Fernandos um die Königreiche gefallen. Und auch wenn Ruy wenig Liebe für Fernando übrig hat, schwört er seinem Hof zu dienen.
Diesen Schwur muss er auch früher einlösen als geplant. Zum einen intrigieren die Königin Sancha (Elia Galera), der Graf von Leon (Carlos Bardem) und der Priester gegen den König, der sich Jahre zuvor die Krone unrechtmäßig erstohlen hatte. Zum anderen versuchen sich auch Prinzessin Urraca (Alicia Sanz) und Prinz Alfonso (Jaime Olías) des Königs sowie des Thronfolgers zu entledigen. Ruy selber wird von den Verschwörern gesucht, da er einen ersten Anschlag auf den König vereitelt hat. Und die arabischen Einwohner von Saragossa, dessen Festung Fernando gegen die Angriffe seines Bruders, König Ramiro de Navarra (Ginés García Millán) verteidigen muss, sehen in ihm einen von höheren Mächten Gesandten, der entscheidend in den Lauf der spanischen Geschichte eingreifen wird.
Die Serienschöpfer haben bei El Cid offensichtlich ihre Hausaufgaben gemacht. Die Serie ist ruhig, zusammenhängend und stilsicher inszeniert, erfreut mit wilden Schlachten und tragischen Hofintrigen. Zudem hat man auch versucht möglichst authentisch der damaligen Zeit entsprechend auszustatten. Die Hallen und Zimmer sind mit bunten Wandbildern übersäht anstatt hier den sonst so populären grauen dreckigen Look des Mittelalters zu inszenieren.
Normalerweise könnte es gegen die Serie sprechen, dass die Machart, die Handlungsentwicklung und die Dialoge einem so bekannt vorkommen. Aber El Cid versteht den Wiedererkennungseffekt zu seinem Vorteil zu nutzen. Als Zuschauer fühlt man sich dem Geschehen seltsam vertraut, auch wenn man als Nicht-Spanier schnell einmal ob der Figurenkonstellation verwirrt werden kann. So wird sehr wenig Zeit darauf verwendet, die Handlung und Agierenden zeitlich einzuordnen. Als Zuseher außerhalb Spaniens, der mit dieser Geschichte wenig vertraut ist, tut man sich die ersten zwei Episoden schwer, wirklich zu verstehen, was der tiefere Konflikt ist. Zudem kommt die Serie nur langsam in die Gänge. Erst in Folge vier beginnt El Cid wirklich seinen Heldenstatus zu zementieren.
Was der Serie außerordentlich gut gelingt: Sie baut geschickt moderne Notwendigkeiten in die Handlung ein. Gemäß der Historie hat Urraca auch hier ihre Finger im Spiel, wenn es um den Tod von Herrschern und Nachfolgern geht. Aber ihre Rache kommt aus einem Eck der Frustration, einem Hass als Frau und Prinzessin, rein zum Gebären zu existieren und ohne jegliche Aussicht auf die Krone. Urraca ist eine Frauenfigur, wie sie öfters geschrieben werden sollte. Nicht sympathisch. Aber nachvollziehbar. Und mächtig innerhalb der ihr von den Männern so beschränkten Mittel.
Ebenso greift die Serie den Religionskonflikt, vorrangig zwischen dem Islam und dem Christentum, auf. Spanien, das im Mittelalter in weiten Gebieten von Arabern bewohnt war, dient als Kommentar über blinden Fanatismus, unreflektierte Gläubigkeit und die Idiotie im Kampf um “die einzig wahrhaftige Wahrheit”. Dabei erhebt die Serie aber abermals nicht den Zeigefinger, sondern entblößt die Figuren selbst. So versuchen die christlichen Armeen, beinahe komikhaft absurd, das tägliche Gebet der Muslime Richtung Mekka mit ihren eigenen Versen zu übertönen. Als ob Gott auf Geschrei stehen würde.
El Cid ist gute Unterhaltung zum Nebenher-Schauen, die das Vergnügen mit ein wenig Geschichtsunterricht verbindet. Dabei sticht sie nicht besonders heraus, man kann sich mit ihr aber prima über die Feiertage berieseln lassen.
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Bilder: © 2020 Amazon Prime
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.