Sechs Jahre ist es her, dass Walter White und Jesse Pinkman zuletzt ihr blaues Meth kochten. Walters Geschichte fand damals einen würdigen Abschluss. In El Camino ist Jesse an der Reihe. Braucht es dieses zweite Ende? Und ist es sehenswert? Unser Review zum Breaking Bad Film.
12. Oktober 2019: Breaking Bad ist eine der besten Serien aller Zeiten. Auch das Spin-Off Better Call Saul ist für viele zum Kult geworden. Vince Gilligan, Schöpfer und Mastermind des Serien-Universums, war aber mit dem Ende noch nicht ganz zufrieden. Auf Netflix erhält er nun die Chance, das zu ändern. Ob er mit El Camino – A Breaking Bad Movie, der seit 11. Oktober verfügbar ist, die Geschichte noch einmal richtig abrundet, lest ihr in unserer Kritik.
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Erstaunlich. Der Plot von El Camino setzt wirklich exakt am Ende von Breaking Bad an. Nach einer ganz kurzen Rückblende steigen wir direkt in Jesses Schrei der Befreiung ein, mit dem die finale Folge damals endete. Obwohl er endlich seiner Gefangenschaft entkommen ist, hat Jesse einen Haufen Probleme. Die Polizei ist auf der Suche nach ihm, er weiß nicht, wohin er gehen soll und wer noch alles hinter ihm her ist.
El Camino dreht sich ganz um Jesse Pinkman. Es geht um den Abschluss seines Charakterbogens und darum, zu zeigen, dass Walter ihn zwar befreit hat, aber damit noch lange nicht alles gelöst ist. Die Handlung, die sonst recht einfach ist (Jesse braucht Geld und muss raus aus Texas), wird immer wieder von Rückblenden unterbrochen, die uns Einblick in Jesses Geist bieten und uns ein Wiedersehen mit so manchem wichtigen Charakter erlauben.
Schnell wird klar: El Camino ist ein Film, der für Fans von Breaking Bad gemacht ist. Zwar ist die Handlung recht simpel und selbst jemand, der noch nie etwas von der Serie gehört hat, kann bestimmt die großartige und auch eigenartige Regie, das nuancierte Schauspiel und die interessanten Dialoge genießen, aber den vollen Wert des Filmes können nur Fans erkennen.
El Camino ist genau betrachtet einfach eine zusätzliche lange Episode, die man auch einfach ans Ende der letzten Staffel anhängen hätte können. Es ist verständlich, wie sich damals das Finale gestaltete, aber irgendwie wurde man das Gefühl nicht los, dass Jesse etwas vernachlässigt wurde.
El Camino ist die Jesse Pinkman Show. Dies ist seine Geschichte, seine endgültige Emanzipation von Walter White, und er wächst über ihn hinaus. Die Kraft, die in der ständig gespaltenen Figur steckt, stellt Aaron Paul auch in El Camino herausragend dar. Er wandelt immer an der Linie zwischen Dreistigkeit und Nervenzusammenbruch. Dazu kommt in diesem Film noch ein weiteres Trauma.
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Mehr InformationenEine der vielschichtigsten Figuren der Fernsehgeschichte bekommt noch einmal eine weitere Facette spendiert. Die Hölle, durch die Jesse bei Breaking Bad gegangen ist, hat ihn taffer und erwachsener gemacht. Wieder sieht er sich mit einer scheinbar ausweglosen Situation nach der anderen konfrontiert. Doch diesmal ist er nicht mehr wie in der Serie vor allem das naive Opfer, das im Inneren zu gut ist für die Gangsterwelt.
Die “Ich habe nichts mehr zu verlieren”-Mentalität und smarte Härte, mit denen er so manchem Gegenspieler in El Camino entgegentritt, erinnert frappant an Walter White – auch wenn ihm die Verschlagenheit und Intelligenz fehlt, die seinen Chemielehrer so gefährlich machte. Doch gleichzeitig treten auch die Gegensätze zu seinem Ex-Mentor weiterhin stark hervor: Er hat mehr Skrupel und Gewissen als Heisenberg – jemand umzubringen ist immer noch die letzte Option. Dieser innere Kampf ist es, der den Zuschauer bei El Camino fesselt. Und da tut es gut, dass die Kamera praktisch in jeder Szene tief in die Gefühlswelt von Pinkman blickt – denn Aaron Paul versteht es, in seiner Paraderolle durchgehend zu glänzen.
Erfreulich. Auch andere Figuren kehren in El Camino zurück. Nicht nur in Rückblenden, sondern auch im Verlauf der Haupthandlung, gibt es so manches Wiedersehen. Der Film schafft es, mit unserer Nostalgie zu spielen, ohne sich nur darauf zu verlassen. Die Art und Weise, wie alte Charaktere eingesetzt werden, ist nie umsonst, sondern dient immer der Handlung oder Charakterentwicklung von Jesse.
Nicht nur hat Vince Gilligan das gesamte Breaking Bad Serien-Universum geschaffen, sondern er hat auch selbst bei vielen Episoden (meistens bei den wichtigen letzten einer Staffel) die Regie übernommen. So auch bei El Camino. Seine gefühlvolle und manchmal unwirkliche Regie mit kreativen Kameraeinstellungen und stets perfektem Spannungsaufbau ist es, was Breaking Bad und auch diesen Film auf ein Niveau hebt, das über die reine Handlung hinaus geht. Er schafft es stets echte Bedeutung zu kreieren.
El Camino ist ein Baustein, und zwar genau der eine Stein, der noch gefehlt hat. Die Mauer stürzt ohne ihn nicht ein, aber er macht sie erst makellos. Dieser Film gibt Fans von Breaking Bad einen angenehmen Nachschlag, ohne die Story auszuschlachten. Das bedeutet auch, dass El Camino nichts Weltbewegendes hinzufügt. Und dass er für sich allein stehend und für Leute, die die Serie nicht kennen, wohl weitaus weniger mitreißend ist.
Das muss er aber nicht. Der Film ist genau, was er sein sollte. Ein würdiges Ende für einen der besten Serien-Charakter aller Zeiten. (ph)
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Alle Fotos (c) Netflix
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.