Kabarettistin und TikTok-Star Toxische Pommes, die im wahren Leben Irina heißt, legt mit Ein schönes Ausländerkind ihren Debütroman vor. Mit Humor, aber auch der notwendigen Ernsthaftigkeit, erzählt sie die Geschichte eines perfekt integrierten “Ausländerkindes”. Die Untiefen der österreichischen Ausländerfeindlichkeit und die Absurdität und Komplexität eines Lebens zwischen den Zugehörigkeiten, werden hier aufgerollt.
von Peter Marius Huemer, 15. 5. 2024
Die namenlose Protagonistin hat in ihrem Leben immer die “richtigen” Entscheidungen getroffen, einen Doktortitel und arbeitet in einem angesehenen Amt im ersten Wiener Gemeindebezirk. Trotzdem fühlt sie sich leer, innerlich tot. Sie schläft im Büro unter dem Schreibtisch und scrollt durchs Internet anstatt zu arbeiten, was länger keinem auffällt. Irgendetwas, ein Schatten liegt über ihr und es ist nicht auszuhalten. Um den Grund zu finden, fällt der Blick auf die Vergangenheit. Die Eltern haben Kroatien auf dem Flucht vor dem Krieg mit Kind im Schlepptau verlassen.
Die österreichsiche Bürokratie und die Gesetze, die ihr zugrunde liegen, sind nicht selten Selbstzweck und Symbol zugleich. Aus ihrer Position als Beamtin führen sie ihre Erinnerungen logischerweise in eine Zeit zurück, da ihre Familie unter dieser Bürokratie litt. In Österreich angekommen darf die Familie im Haus einer überkandidelten Lehrerin namens Renate einziehen. Im Gegenzug muss die Mutter unter strenger Anleitung putzen und kochen (natürlich österreichische Küche) und der Vater sich um den Garten kümmern.
Den in Aussicht gestellten Job bekommt der Vater nicht, weil die Ausländerquote für dieses (und jedes Jahr danach) bereits erfüllt ist. Im Gegenzug für Sicherheit vor dem Krieg erfährt die Familie eine persönliche Abwertung. Die Eltern halten durch, leiden aber. Die Tochter stürzt sich in den Kampf gegen alle Widrigkeiten. Aber egal wie perfekt sie ist, bleibt sie doch in den Augen vielen nur ein “schönes Ausländerkind”.
Hier hakt der Roman ein, in diesem Gefühl ewiger Ablehnung und dem arbiträren Gefälle persönlichen Wertes. Diese Phänomene beschränken sich für die Protagonistin nicht nur auf Österreich. Auch in Kroatien gehört sie nicht mehr wirklich dazu. In beiden Ländern äußert sich das manchmal explizit und manchmal als diffuses Gefühl. Eine immergegenwärtige Verlorenheit.
Das Gefühl, das sie von Kindheit an treibt, sich immer überall voll reinhängen zu müssen, immer perfekt sein zu müssen, um irgendwann zumindest gleichwertig zu sein, erschöpft sich schließlich in seinem Ziel. Man hat es geschafft, hat alles gemacht und trotzdem hilft es nur an der Oberfläche. Die Eltern hatten Schwierigkeiten mit der Sprache und wurden beim Übertreten der Landesgrenze von vollen und konstruktiven Mitgliedern einer Gesellschaft zu Hilfsarbeitern, denen man mit Misstrauen und Vorwürfen begegnete. Sie selbst war beinahe von Anfang an Teil der Gesellschaft und trotzdem haftet das Fremde an ihr.
Dieses eigentlich schwere Thema wird im Buch aber vom direkten und humorvollen Stil aufgebrochen. Viele Szenen und Szenarien grenzen ans Satirische, kippen aber nie in die Absurdität. So ist beispielsweise die Beschreibung von Renates Haus, ihrem Verhalten und ihren Motivationen extrem und scheint humoristisch überzogen, wird aber von Satz zu Satz plausibler, weil die Überzeichnung die Essenz der Sache destilliert.
Gleiches gilt für die Beschreibung des Amtes am Beginn. Das Erzählte lehnt sich nie zu weit aus dem Fenster der Satire. Zu vieles weckt Assoziationen, die man in Österreich selbst schon so oder so ähnlich erlebt hat. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge wird der Blick auf die Missstände umso klarer. Hier wird nicht gejammert, sondern erzählt und das Erzählen verlässt sich anstatt auf Effektheischerei auf Geradlinigkeit und die Empathiefähigkeit der Lesenden.
Gleichzeitig ist das Buch keine reine Anklage, kein Vorwurf an die österreichische Gesellschaft. Vielmehl ließe es sich als konstruktive Kritik verstehen. Eine Geschichtsstunde und Gesellschaftsstudie aus einem Blickwinkel, wie er vielen fehlt. Zusätzlich gilt das Meiste wohl in groben Zügen nicht nur für Österreich, sondern für jedes Zuwanderungsland. Diese Bandbreite, das Fingerspitzengefühl, machen das Buch auch über Österreich hinaus relevant.
Ein schönes Ausländerkind ist ein vielseitiger Roman. Das Thema und die Motive des Buches drehen sich eng um ein gemeinsames Zentrum. Dies nutzt der Roman aber dazu, viele Gedanken weit zu denken ohne ein zu explizites Ergebnis vorzuschreiben. Der variable Stil, die gelungene Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern machen das Buch zu einem leichten Leseerlebnis ohne Gefahr zu laufen, je banal zu sein.
Ein schönes Ausländerkind von Toxische Pommes ist im März 2024 bei Zsolnay erschienen.
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Fotos (c) Muhassad Al-Ani, Zsolnay, heldenderfreizeit
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.