Wenn Lakers-Star Kobe Bryant den Basketball in den Korb stopfte, sah es aus wie ein Kinderspiel. Dunken wie er, das war mein Bubentraum. Doch zwischen Los Angeles und dem Wienerberg lagen drei unüberwindbare Meter.
von Superwolfi
„So hoch ist es nicht! Drei Meter! Das schaffst du!“ Ich renne los. Die Sonne knallt mir auf den Kopf. Ich ignoriere den Schweiß, der mir in die Augen rinnt. Mit dem Mut der Verzweiflung springe ich ab. Im Kopf habe ich bereits das Bild vor mir, wie ich den Ball gekonnt in den Korb stopfe. Ich schraube mich in die Höhe. Aber keine Rede von einem Dunk! Der Ball knallt gegen das Brett und springt zurück auf den Boden. Ich war zwar gefühlte zwei Meter in der Luft, doch in Wahrheit waren es doch eher 30 Zentimeter.
So weit ist es nicht. Nur drei Meter. Das schaffst du!
Eigentlich bin ich zum Basketball aus Verlegenheit gekommen. Da ich als begeisterter, aber vollkommen untalentierter Fußballer gelte, habe ich mir ganz einfach eine andere Sportart gesucht. Aus dieser Verlegenheit ist schnell eine Leidenschaft geworden. Ein Wunsch steht wie in Leuchtschrift über dieser Passion: EINMAL DUNKEN!
Wie mich Bryant inspirierte
Normal entstehen Wünsche langsam und man weiß gar nicht genau, wann und warum. Bei mir ist es anders. Meiner hat sich am 9. Februar 1997 im meinem Kopf manifestiert. Damals war das „NBA All Star Weekend“ und Kobe Bryant hat dabei den sogenannten “Slam Dunk Contest“ gewonnen. Der heuer zurückgetretene NBA-Superstar hat die gut drei Meter zum Korb mit so einer Eleganz und Lockerheit gemeistert, dass ich es nur mit offenem Mund beobachten konnte. Beim Jubelsturm nach seinem besten Dunk und seinem selbstbewussten Blick, war es um mich geschehen. Das wollte ich auch!
In Interviews erzählte er, wie sich sein Leben nach seinem ersten Dunk verändert hat. Das wollte ich auch! Der Flügelspieler galt als Zukunftshoffnung der NBA. Mit seinem 6-Jahres-Vertrag cashte Kobe bei den LosAngeles Lakers gleich 70 Millionen Dollar ab. Das wollte ich auch! Dem 1,98 Meter Hünen lief fast die gesamte weibliche Hollywood- Prominenz hinterher. Das wollte ich auch! Mir war klar, der Weg zum Erfolg ist nur 305 Zentimeter lang – den Ball einfach so sensationell wie möglich in den Korb stopfen. Das wollte ich auch! Konnte es aber noch nicht.
Am Boden der Realität
Gleich am Tag nach seinem Auftritt beim Allstar-Weekend habe ich begonnen zu trainieren. Kobe ist zwei Jahre älter als ich. Mit 16 Jahren dachte ich mir also, ich habe noch mehr als genug Zeit, um die Basketball-Welt zu erobern. Ich war sicher, mit 1,84 Metern sei ich groß genug. Spudd Webb hat den „Slam Dunk Contest“ in den 80er Jahren gewonnen, und er ist lediglich 1,68 groß. Dass er fast nur aus Muskeln bestand, wischte ich in meinem Enthusiasmus genauso weg wie, dass Kobe seit dem Kindergartenalter dem Ball hinterherjagte und auch sein Vater schon in der NBA spielte. Ohne Trainer und ohne Plan begann ich also, an mir zu arbeiten. Frei nach dem Motto „Learning bei doing“. Ich stand in diesem Sommer beinahe täglich auf dem Basketball-Platz und gab alles! Die Motivation und der Ehrgeiz waren enorm.
Vom Dunken war ich trotzdem weit entfernt. Um ehrlich zu sein, war ich selbst unter den Burschen, mit denen ich spielte, na ja, sagen wir gutes Mittelmaß. Daher kam es, wie es kommen musste: Kaum wurde es kälter wurde auch meine Begeisterung geringer. Zwar verließ mich in den folgenden Jahren nie der Wunsch, wie mein kalifornisches Idol zu spielen, aber ich hatte immer seltener ernsthaft einen Ball in der Hand.
Kobe studieren
Mal ein Spiel dort gegen Freunde, mal ein paar Körbe im Park. Der Traum zu dunken war natürlich immer da, wenn ich einen Ball streichelte – aber nur träumen, ist eben nicht genug. Dafür habe ich mich als angehender Student der Sache intellektuell genähert. Als ob es etwas bringen würde, habe ich über Mr. Kobe Bean Bryant alles verschlungen, was ich in die Finger kriegen konnte.
So weiß ich etwa, dass er Kobe heißt, weil seine Eltern auf einer Speisekarte etwas über ein Kobe-Steak gelesen hatten. Außerdem beobachtete ich seine Leistungen in der NBA: Seine vier Meistertitel, die er mit den Lakers sammelte, seine 81 Punkte in einem Spiel, seine olympische Goldmedaille, die er mit den USA holte, und sogar seinen Vergewaltigungsprozess. Ich nehme es vorweg: Auch das Studium seines Lebens hat bei meinen Ambitionen nichts geholfen.
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Im Wohnzimmer der 24
Doch es gab zwei Ereignisse, die meine Leidenschaft wieder zum Lodern brachten. Ich hatte plötzlich die Chance, einmal die Woche in einem Hobbyverein zu spielen. Das Niveau und die Geschwindigkeit des Vereins „Spät berufene Basketballer“ kamen nicht ganz an die NBA heran, aber ich stand regelmäßig auf dem Platz. Fast genau zehn Jahre nach dem für mich schicksalhaften Dunking-Contest hatte mich das Basketball-Fieber plötzlich wieder schlimmer denn je erwischt. Ich besuchte Kobe sogar in seinem Wohnzimmer.
Schlaflos vor Aufregung
Es ist nicht so, dass ich meinen dreiwöchigen Kalifornien Urlaub nur machte, um ein Spiel der Lakers zu besuchen. Aber natürlich spielte der Heimspiel-Kalender bei meiner Reiseplanung eine Rolle. OK, der Gegner war mit den LA Clippers nicht besonders attraktiv und auch mein Platz war nicht der Allerbeste. Trotzdem konnte ich in der Nacht vor dem Match aus lauter Vorfreude nicht schlafen. Schon Stunden vor Spielbeginn war ich beim legendären Staples Center. Die Veranstaltungshalle mitten in Los Angeles ist nicht nur eine Kathedrale des Sports, sondern oft auch Schauplatz für Konzerte der Extraklasse. Die Begräbnisfeierlichkeiten für Michael Jackson haben hier stattgefunden.
Kobe-Bierdeckel & Lakers-Kondome
Wie ein geborener US-Amerikaner ließ ich mich von der Stimmung sofort anstecken. Der Hype um die Basketball-Millionäre ist enorm. Das Marketing wird auf die Spitze getrieben. Dinge, die mir unter normalen Umständen vielleicht lächerlich erscheinen würden, waren für mich dort völlig in Ordnung. Vom Kobe-Bierdeckel bis zum gelben Lakers-Kondom. Vor dem Spiel bekommt der interessierte Fan alles, was das Herz begehrt. Mir reichte ein T-Shirt im knalligen Style der Lakers. Mehr wollte ich nicht kaufen, sondern nur so schnell wie möglich auf die Tribüne und meinem Idol nahe sein. Schon beim Aufwärmen machte er Dinge mit dem Ball, die für Normalsterbliche unmöglich sind. Trotz seiner knapp zwei Meter war Kobe leichtfüßig und schnell. Ich betrachtete ihn mit großen Augen und weichen Knien und war aufgeregt wie ein Kind vor dem Christbaum.
Objektivität beim Eingang abgegeben
Die unterhaltungssüchtigen Kalifornier inszenieren ein Basketballspiel wie eine dreistündige Sport-Show. Von der ersten bis zur letzten Minute wird Musik, Action und Spaß geboten. Schon der Einzug der Athleten vor Spielbeginn ist ein Ereignis. Als die riesige Halle abgedunkelt wurde, aus den Boxen die Lakers-Hymne dröhnte und Kobe aufgerufen wurde, klatschte ich wie ein Besessener mit. Der Flügelspieler war der ungekrönte König von Los Angeles und im Staples Center wurde ihm gehuldigt. Als Sportreporter kann ich mit Fug und Recht behaupten, schon bei einigen aufregenden Sportveranstaltungen gewesen zu sein: Von Champions-League-Spielen über den Ski-Weltcup bis zu MotoGP-Rennen. Doch schon nach der Vorstellung der Lakers-Spieler war mir klar: So etwas Spektakuläres habe ich noch nie erlebt! Meine journalistische Objektivität hatte ich längst beim Eingang abgegeben.
Eifersüchtig auf Jack Nicholson
Während des Spiels war ich mindestens so konzentriert wie Bryant und so angespannt wie die Trainerlegende der Lakers: Phil Jackson. Ich wollte unbedingt etwas vom Spieler mit der Nummer 24 lernen; Tricks abschauen, Bewegungen kopieren und natürlich studieren, wie er den Ball in den Korb stopft. Doch das war unmöglich. Das, was er mit dem Ball machte und was ich kann, wirkte wie eine andere Sportart. Trotzdem zog er mich komplett in seinen Bann. Nicht einmal die Lakers Cheerleader konnten mich ablenken. Lediglich Film-Bösewicht Jack Nicholson sorgte für eine kurze Eifersuchtsattacke. Da die Mannschaft eine lange, erfolgreiche Geschichte hat, sind die Lakers die Lieblinge Hollywoods. Auch bei der Partie gegen die Clippers waren unzählige Celebrities im Publikum.
Nicholson nahm ausgerechnet dort Platz, wo ich sitzen hätte sollen – neben der Lakers Ersatzbank. Unglaublich aber wahr: Während des Matches plauderte er sogar mit meinem Vorbild. Was hätte ich dafür gegeben? Aber der kurze Ärger verpuffte schnell. Kobe belohnte uns alle mit spektakulären Ball-Kunststücken. Wie der übergewichtige Amerikaner neben mir biss ich in meinen Burger und genoss die Flugeinlagen. Kobe Bryant war einmal mehr der Unterschied und führte sein Team zu einem 106 zu 88 Sieg. Obwohl ich nach dem Duell wie elektrisiert das Staples Center verließ, war etwas Wehmut dabei: Bei meinen Bemühungen, den Ball wenigstens einmal zu stopfen, hat mir der NBA-Besuch nicht geholfen. Insgeheim war mir jetzt klar, wie weit ich von meinem Ziel noch entfernt war.
Der belächelte “Wien-Kobe”
Zurück in Wien baute ich als braver Fitnessstudiobesucher wieder mehr Übungen zur Steigerung der Sprungkraft in mein Training ein. Bei meinem wöchentlichen Spiel erschien ich nur noch im T-Shirt der Lakers aus dem Staples Center. Die leisen Lacher, wenn ich es wieder einmal versuchte und nicht schaffte, kaonnte ich damit einfach besser ignorieren. Auf youtube bestaune ich noch immer Dunks und lass mich auch nicht von Postings demotivieren, die von 13-Jährigen kommen und beschreiben „… wie cool das erste Mal war“.
Doch seit ich Kobe Bryant bei seinem Sieg beim „Slam Dunk Contest“ bejubelte sind 19 Jahre vergangen. Der Multimillionär hat seit damals bis zu seinem Rücktritt 2016 noch tausende Male mit seinen Dunks das Publikum in Ekstase versetzt. Ich hingegen habe es noch kein einziges Mal geschafft. Seitdem ich in Los Angeles den ersten Kobe-Dunk mit eigenen Augen gesehen habe, erscheinen mir die 305 Zentimeter zum Korb noch etwas weiter als früher – fast unendlich! Der Teenager, der ohne Plan das Unmögliche lernen will, steckt aber weiterhin in mir. In unbeobachteten Momenten träume ich auch noch immer vom klassischen Sportfilm „Made in Hollywood“: Ein spätberufener Underdog, dem niemand etwas zutraut, arbeitet hart an sich. Zirka zehn Minuten vor Filmende verblüfft er dann alle. Da ich schon immer an Happy Ends geglaubt habe, werde ich bald wieder auf dem Platz stehen und murmeln: „So weit ist es nicht! Es sind nur drei Meter! Das schaffst du!“
Im Staples Center von Los Angeles, Heimstätte der LA-Lakers und LA-Clippers (Fassungsvermögen: 19.000) steigen neben Basketballspielen auch Eishockeymatches, Konzerte und Boxkämpfe.
Ticket je nach Spiel und Kategorie: etwa 30 – 300 Euro,
erhältlich auf der Lakers-Homepage
Es war einfach ein unvergessliches Erlebnis einmal Großmeister Kobe Bryant bei der Arbeit zuzusehen.
Aufmacherfoto: Adidas
Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.