Kein Rennspiel hat sich im Laufe der Jahre so oft neu erfunden wie die Dirt-Reihe: Ursprünglich aus den Colin McRae Spielen der 90er entstanden, war der erste Teil (2006) ein lässiger Mix aus Simulation und Arcade. Dirt 5 ist nun bereits der achte Ableger und alle Vorgänger schwankten zwischen den Extrempolen hin und her. Von Dirt Rally, das sich voll dem Realismus verschrieb, bis zu Dirt 3, das auf Entertainment setzte und einigen Kompromissen dazwischen. Dirt 5 driftet jetzt voll in die Arcade-Ecke ab. Wie gut dem Spiel das steht, liest du in unserem großen Test.
von Peter Huemer & Christoph König
3. November 2020: Spritzender Schlamm, splitternder Schotter und matschiger Schnee. Selten war der Name Dirt so Programm, wie bei Teil 5. Hier rasen die Rally-Wagen über jeden noch so fahrzeugfeindlichen Untergrund. Ein Racing-Experte muss man trotzdem nicht sein, um mit Dirt 5 seinen Spaß zu haben, denn mit einer komplexen Rally-Simulation kann das Spiel nicht dienen – maximal mit einem Realismustouch.
Ob die arcadige Ausrichtung und die spektakulären Effekte die fehlende Tiefe aufwiegen können? Wir durften Dirt 5 bereits ausgiebig testen, das am Freitag für Xbox One, Playstation 4 und PC erscheint – und dank Smart Delivery (Xbox Series X) und Aktualisierung (Playstation 5) auch auf den neuen Konsolen laufen wird.
Mit Dirt 5 setzt Codemasters ein klares Statement – es liefert unterhaltsame Arcade-Action ohne Kompromisse. Und lässt darüber von Anfang an keinen Zweifel aufkommen. Normalerweise würde man über Menüs und Musikuntermalung bei einem Rennspiel wenig Worte verlieren. Hier drängt es sich aber auf: Denn in diesem Punkt macht Dirt 5 alles richtig. Hier wird geklotzt statt gekleckert. Der treibende rockige Soundtrack, der uns hier empfängt, passt ebenso genial ins Gesamtbild, wie die wunderschön bunten und stylisch gelayouteten Menüs. Fette Schriftzüge statt Mini-Schriften, die bei vielen anderen Spielen fast unlesbar sind. Das Ganze verbreitet Spaß pur und sorgt dafür, dass wir vor dem ersten Rennen schon im Playground-Streckeneditor und an einem schrillen Lackdesign unseres Autos rumbasteln.
Diese schrille Buntheit und Effekthascherei setzt sich bei den abwechslungsreichen Locations in Dirt 5 wunderbar fort. In China rauschen wir durch Bambuswälder, in New York auf Eis unter Brücken und an Schiffen vorbei, in der Wüste von Marokko geraten wir in einen Sandsturm und in Norwegen oder Nepal fetzt uns der Schnee entgegen. Auch hier wird geklotzt statt gekleckert und das steht dem Spiel wunderbar. Perfekt dazu passen die fantastischen Wettereffekte und Tageszeiten. Mal geht es durch ein fürchterliches Gewitter fast im Blindflug durch die Nacht. Dann blendet uns die orange Abendsonne und sorgt für schöne Spiegelungen in den Pfützen. Sowohl Wetter als auch Tageszeit können sich während eines Rennens schnell ändern. Das hat zwar vor allem was die Tageszeit betrifft nichts mit Realismus zutun, macht aber Spaß. Und Spaß steht bei Dirt 5 ohnehin im Vordergrund.
Das Spiel ist ein bisschen ein schöner Blender. Im Positiven, wie im negativen Sinn. Die Partikeleffekte sind super inszeniert. Schlamm, Wasser, Schnee und Schotter werden von den Fahrzeugen in die Luft geschleudert und haften an Lack und Scheiben. Nach einem Rennen im Matsch ist der strahlende Lack schonmal unter einer Schlammschicht verschwunden. Die Untergründe fahren sich durchaus unterschiedlich, allerdings lange nicht so wie bei einer Simulation. Und man sollte auch nicht genauer hinsehen, denn abseits der Strecke fährt sich das Auto auch durch Büsche und hohes Gras genauso problemlos, weshalb Abkürzer im Rennen kein Problem sind. Solange kein Baum oder Felsen im Weg steht.
Das Fahren selbst ist nicht ganz so abwechslungsreich wie es scheint. Denn die meisten Rennarten (bis auf ein paar Ausnahmen, mehr dazu später) sind ein Rally Cross gegen 11 Gegner. Die Strecken sind bis auf wenige Engstellen sehr breit und bieten auch abseits der Straße oft Auslaufzonen. Dann aber folgt die Streckenbegrenzung. Ein heftiger Aufprall darauf hat bis auf optische Schäden kaum Folgen. Wir werden minimal gebremst und in der Spur gehalten. So fühlen sich die Strecken leider sehr schlauchartig an. Und: So ist das Fahren sehr fehlerverzeihend. Bei einer scharfen Kurve zu spät gebremst? Egal, mein Freund die Leitplanke ist für mich da.
Ebenso verhält es sich mit den Gegnern. Die lassen sich taktisch gut einsetzen, indem man sie als Bremsklötze missbraucht, die einen in der Kurve halten. Das Ganze ist zwar wenig realistisch, sorgt aber dafür, dass Dirt 5 nicht schwer und sehr einsteigerfreundlich ist – und für aufregende Rad-an-Rad-Duelle, bei denen man sich im Nascar-Stil nach Lust und Laune rammen kann. Frustmomente halten sich in Grenzen. Und hier kann man sein Unwesen treiben, denn die Schäden beschränken sich auf optische. Die Gegner agieren auf Augenhöhe, mit einem guten Schuss gesunder Aggressivität und so sind die Rennen oft ein cooles Auf und Ab – bei einem Fahrfehler von Platz 5 auf 11 durchgereicht, zwei Kurven später schon wieder Siebenter. Da wird einem so schnell nicht fad, außer man fährt komplett hinterher oder vorne weg.
Viel Spaß macht auch das Driften. Denn das geht sehr leicht von der Hand und es gibt viele lange Kurven, die dazu einladen. Auch die Unterschiede zwischen den Automodellen, unter denen man in den verschiedenen Rennklassen die Wahl hat, sind nicht so gewaltig. Performance und Handling werden in vier Stufen (C, B, A und S) unterteilt. Dennoch bleiben die Rennen spannend. Mit einem etwas besseren Auto fährt es sich nur etwas leichter zum Sieg. So kann man selbst den Schwierigkeitsgrad jedes Rennens noch leicht adaptieren.
Helden-Tipp! In der Cockpit-Perspektive sind die Rennen nochmal spektakulärer. Und durch das gutmütige Gameplay kommen mit ihr auch Anfänger gut zurecht.
Bei den Spielmodi gibt sich das Game etwas minimalistisch, punktet aber in den Spielvarianten mit Umfang. Neben einer Karriere und Einzelfahrten im Arcademodus (auch nur gegen die Zeit) kann man online gegeneinander antreten. Dazu lockt ein Playground Streckeneditor. That’s it! Singleplayer-Herzstück von Dirt 5 ist der Karriere-Modus. Der besteht zwar aus sehr vielen Rennen (70 Kurse an 10 Orten) und ist sehr umfangreich, dafür ist er aber ziemlich linear und mit der Zeit ein wenig repetativ. Man absolviert ein Rennen nach dem anderen, um ein bis drei goldene Stempel zu sammeln und am Ende eines großen Abschnitts an einem Main-Event teilnehmen zu können, bei dem man zumindest aufs Podest fahren muss. Die Rennen lassen sich nach Belieben wiederholen, sollte man es nicht auf die nötige Punktezahl geschafft haben. So geht es von einem Kapitel zum nächsten.
Das Spiel wechselt dabei Rally-Varianten ab, bei denen man jeweils eine von 13 Rennautoklasse nützt und hier zwischen mehr oder weniger Modellen (je nachdem, was man schon freigeschalten hat) wählt. Es gibt Rennen auf Eis, über kurze Strecken mehrere Runden, Etappen oder Sprints auf Mini-Rundkursen. Das Prinzip ist hier immer das selbe – es geht im Rally-Cross-Style gegen 11 CPU-Gegner. Für etwas mehr Abwechslung sorgen die Gymkhana-Contests bei denen du alleine in einer Arena mit Tricks wie Driften oder Donuts Punkte sammelst. Und die Pathfinder Events. Hier gilt es alleine einen schnellen Weg durch extrem schroffe und felsige Landschaft zu finden. Die Schwierigkeit ist hier die Orientierung nicht zu verlieren und sein Fahrzeug unter Kontrolle zu halten. Gerade falls einem eine Art von Strecke, Event oder Autokategorie nicht gefällt, ist es toll immer eine Auswahl zu haben. So kann man unliebsame Events umschiffen.
Für gute Plazierungen und bestimmte Achievements gibt es Geld vom Sponsor. Der lässt sich zwischen den Events wechseln oder aufleveln. Mit dem Geld können neue Autos angeschafft werden. Außerdem werden mit aufsteigendem Levels Sticker und Lackierungen freigeschalten, mit denen sich die Gefährte gegen ein paar In-Game-Kröten umstylen lassen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich für sogenannte Throwdowns zu qualifizieren, in denen man sich spezielle Duelle liefert.
Alle in der Karriere enthaltenen Rennarten können auch im Arcade-Modus mit Freunden im Splitscreen (sogar im 4er Splitscreen!) gefahren werden. Das Spiel lässt einen dabei alle Parameter (Ort, Tageszeit, Wetter) nach eigenem Gusto einstellen. Der Arcademodus enthält auch einige coole Partygames.
Dirt 5 ist ein reinrassiger Arcade-Rally-Racer. Und diese klare Positionierung steht dem Spiel gut. Von der coolen stylischen Aufmachung, bis zu den bunten Rennstrecken, neuem Strecken-Editor, Autodesigns und dem gutmütigen Fahrverhalten – der Spaß steht im Vordergrund. Das Gameplay ist sehr einsteigerfreundlich und sorgt für launige Duelle ohne viel Frust. Fette Sprünge, lange Drifts und harte und spannende Rad-an-Rad-Infights zaubern einem, verbunden mit den extrem lässigen Wetter- und Lichteffekten, schnell ein Lächeln ins Gesicht.
Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Spiel in einigen Bereichen an Tiefe fehlt. Sei es, die fehlende Abwechslung bei den Rennarten im Karriere-Modus (den die meisten sind nur Varianten eines Rally Cross), die überschaubaren Spielmodi, die schlauchigen Streckenbegrenzungen oder das arcadige und gutmütige Fahrverhalten und Schadensmodell. Alles ist ein wenig simpel. Freunde von Rallysimulationen warten daher besser auf das nächste Dirt Rally. Wer aber nach kurzweiliger Arcade-Unterhaltung sucht und sich rassige, unkomplizierte Duelle online und offline liefern will, wird mit Dirt 5 viel Freude haben.
Im November erscheinen die Xbox Series X und die PlayStation 5 – und mit ihnen eine Reihe toller neuer Spiele:
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Alle Fotos: (c) Codemasters
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