Trauerbewältigung in vielen Farben. Wieso Die bunte Seite des Mondes viel weiter geht als eine Reise zu einem weit entfernten Planeten und warum er im Kino fast noch besser aufgehoben wäre. Das und worum es geht, erfährst du in unserer Kritik zum neuen Animationsfilm.
vom Patrick Meerwald
25. Oktober 2020: Gibt es sie oder gibt es sie nicht? Das Mädchen Fei Fei ist fest davon überzeugt, dass die Mondgöttin Changa wirklich existiert. Das möchte sie nicht nur ihrem Vater und ihrer Familie beweisen, sondern auch sich selbst.
Netflix zeigt mit dem gerade erschienenen Film Die bunte Seite des Mondes eindrucksvoll, dass Animationsstreifen nicht unbedingt immer für die jüngsten Zuseher sein müssen. Wie sehenswert er ist und warum er sich im Kino noch besser gemacht hätte:
Fei Fei ist ein sehr neugieriges und aufgewecktes Kind. Ihre Eltern betreiben zusammen eine Bäckerei, die sogenannte Mondkuchen macht, die sich im ganzen Ort größter Beliebtheit erfreuen. Schon seit sie ganz klein ist, bekommt das Mädchen von ihrer Mutter die Geschichte der Mondgöttin Changa erzählt und was diese mit den jeweiligen Mondphasen zu tun hat. Die Geschichte fasziniert das Mädchen so sehr, dass sie einfach nicht genug davon kriegt und sie wieder und wieder hören möchte.
Selbst als sie schon zur Schule geht, ist sie von der Glaubwürdigkeit der Erzählung überzeugt. Als aber die Mutter stirbt, läuft ihr Leben aus den Bahnen. Bei einem familiären Abendessen wird die Mondgöttin-Geschichte wieder erzählt, doch Fei Fei merkt, dass ihre Verwandtschaft den Inhalt nicht so ganz ernst nimmt. Das nimmt das sehr intelligente Mädchen zum Anlass, selbst zum Mond zu reisen, damit sie beweisen kann, dass es Changa tatsächlich gibt. Die Reise glückt, doch vieles ist nicht so, wie sie es sich erwartet hätte.
Trauerbewältigung ist ein sehr zentrales Thema in Die bunte Seite des Mondes. Dass in Kinderfilmen auch Verwandte sterben ist an sich nichts Neues, Stichwort König der Löwen. Immer wieder werden die Charaktere daran erinnert, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken. Dadurch entsteht eine gewisse Schwere, die vielleicht für die jüngsten Zuseher den Tick zu viel sein könnte. Doch gibt der Streifen sich auf keinen Fall gänzlich dieser Dunkelheit hin. Bevor die melodramatische Stimmung zu sehr in den Vordergrund drängt, kommt oft ein auflockernder witziger Moment oder vor allem die Buntheit, wie zum Beispiel am Mond selbst ins Spiel. Sie bringt die Lockerheit zurück.
Während das Gros der vorkommenden Figuren einige Stereotypen bedient und bis zum Schluss eher eindimensional bleibt, haben sich die Macher bei Fei Fei und Changa schon mehr einfallen lassen. Die zwei Protagonistinnen haben in der Vergangenheit viel Schmerz erfahren. Zwar wirken die Beiden vielleicht grundverschieden, aber zum Schluss sind sie sich ähnlicher als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Umsetzung dieser Figuren gelang äußerst gut. Als Zuseher wird man in die jeweiligen Geschichten miteingesogen, trauert, hofft und bangt mit ihnen mit.
Viele Szenen im Streifen haben stark entwickelte Animationen, die visuell einiges hergeben. Da ist es schade, dass Die bunte Seite des Mondes ausschließlich nur auf Netflix verfügbar ist. Angefangen mit der sehr speziellen Darstellung des Lebens am Mond bis zu Passagen, in denen Erzählungen besonders in Szene gesetzt werden. Oft denkt man sich, um wie viel eindrucksvoller solche Momente auf einer Kino-Leinwand gewesen wären.
Besonders in Erinnerung bleibt bei Die bunte Seite des Mondes auch die Musik. Angefangen mit den musical-ähnlichen Songs, die stark an Disney-Produktionen erinnern. Sobald der Film richtig ins Rollen gerät, kommen dann Titel dazu, die damit gar nichts mehr zu tun haben. Sie orientieren sich an der aktuellen Popmusik. Elektro-Elemente und generell Material zum Abshaken stehen dann am Programm. Abgerundet wird die letztlich sehr vielseitige Musik mit einer sich förmlich aufdrängenden Ballade, die perfekt in den Kontext passt. Textlich sehr schön gemacht, von der Melodie etwas zu viel Pathos.
Verarbeitung von Trauer in einem Film für Kinder ist ein gewagtes Unterfangen. Dieser Mut macht den Streifen vielleicht für die allerjüngsten etwas zu heftig, aber es zahlt sich aus. So kann er umso mehr erwachseneres Publikum ansprechen. Da ist viel Tiefgang und ebenso Sensibilität in den Film geflossen. Auch für die erschaffene Welt haben sich die Macher mit Farbvielfalt und Detail-Verliebtheit ordentlich ins Zeug gelegt.
Alles in allem ist Die bunte Seite des Mondes ein erfrischender Animationsfilm, der weniger durch die Handlung selbst, sondern durch die behandelten Themen beeindruckt.
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Der Wiener Journalist ist seit 2016 Musik-Ressortleiter bei heldenderfreizeit.com, schreibt für diverse Musikfachmedien wie Stark!Strom berichtet dabei über Konzerte, Neuerscheinungen, führt Interviews und erstellt Besten- und Playlisten zu den Top-Liedern von Musikstars.