Wenn wir nicht hinaus in die Welt können, muss die Welt eben zu uns kommen. Warum nicht einmal das Netflix Abo nutzen, um sich eine Scheibe „was es nicht alles gibt“ abzuschneiden und sich statt der neuesten Binging tauglichen Serie mal die besten Netflix Dokus reinziehen? Wir stehen euch mit Rat zur Seite und haben 12 Empfehlungen, die besonders sehenswert sind.
von Susanne Gottlieb und Paula König
Die Welt mag zwar in einer alles umklammernden Plage gefangen sein, aber deswegen muss man ja nicht immer aus dieser Realität entfliehen. Statt Eskapismus, warum nicht einfach einmal eine gute Doku schauen? Etwas über die Welt lernen. Wie sie war, wie sie ist und wie sie vielleicht noch sein kann. Und wie der eine oder andere Dokumentarfilm die Welt sogar nachhaltig geprägt hat. Und das ist ja letztendlich einer der Grundpfeiler des filmischen Geschichtenerzählens.
Wir präsentieren euch hier eine Liste von zwölf Netflix Dokus, die ihr unbedingt gesehen haben solltet. Von Dokus über die Natur oder spannenden Portraits, die uns Insidereinblicke gewähren bis zu Dokumentationen, die Missstände aufdeckten und damit sogar teilweise positive Dinge bewirkt konnten. Im Trend sind neben klassischen Dokumentarfilmen auch Limited Dokumentarserien mit eigenen Folgen als Kapitel. Auch diese haben es in unser Ranking geschafft!
Tipp! Hier gibt es unsere Liste mit den 10 besten True-Crime-Dokus mit Tiger King und Co.
Nachdem er jahrelang jeden Tag im eiskalten Ozean an der Spitze Afrikas geschwommen ist, trifft Craig Foster auf eine ungewöhnliche Lehrerin, eine junge Krake, die sich durch bemerkenswerte Neugierde auszeichnet. Er besucht ihre Höhle und verfolgt monatelang ihre Bewegungen. Schließlich gewinnt er das Vertrauen des Tieres und sie entwickeln eine noch nie dagewesene Verbindung zwischen Mensch und wildem Tier. Der Dokumentarfilm ist der persönliche Bericht eines Mannes, der zufällig von einer solchen Kreatur fasziniert wurde und ein Jahr lang ohne Neoprenanzug oder Sauerstoffflasche unter Wasser tauchte, um sie zu studieren, ihr Vertrauen zu gewinnen und sich um sie zu kümmern. Der Film hat den Oscar, den er 2021 gewann, wirklich verdient.
Ein Filmemacher, Ali Tabrizi, der sich leidenschaftlich für das Leben im Meer interessiert, macht sich auf den Weg, um zu dokumentieren, welchen Schaden der Mensch den Meerestieren zufügt – und deckt dabei eine alarmierende globale Korruption auf. Er verdeutlicht die universelle Korruption der Menschheit und die Notwendigkeit, die Meere zu schützen, die alle Arten von Fischen benötigen, um sich selbst zu erhalten. Während Tabrizi sich Asien nähert, hinterlässt Japans rücksichtsloses Abfischen von Haien wegen ihrer Flossen ein betäubendes Gefühl von Verschwendung und Grausamkeit. Die vielleicht bedrückendste Enthüllung ist die Zerstörung von Meereslebewesen und Lebensräumen durch die wachsende Menge an Plastik, das sich in kilometerlangen Kolonien ansammeln kann.
High Score ist eine sechsteilige Limited Doku-Serie, die sich mit der Entstehung von Videospiel-Typen aus verschiedenen Perspektiven auseinandersetzt. Sie zeichnet die Geschichte klassischer Videospiele nach und gibt Einblicke in die Arbeit der Entwickler:innen, die diese Welten und Charaktere zum Leben erweckt haben. Wer die Serie unkritisch genießen und sich mit erzählerischen Leckerbissen auseinandersetzen möchte, findet in High Score hinreichend Stoff zum Verweilen. Dazu trägt auch Charles Martinet als Erzähler (im Englischen) bei, dessen Stimme der eine oder die andere vielleicht als die von Super Mario und anderen berühmten Nintendo-Figuren kennt.
Die Doku befasst sich mit Michael Jordans beeindruckender Karriere und den Three-Peat-Repeat Erfolg der Chicago Bulls. Die Netflix Produktion begleitet Jordan mit altem Footage bei seiner letzten Saison mit den Chicago Bulls in den Jahren 1997/98. Abseits bekannter Szenen nutzt sie aber auch bislang unveröffentlichtes Material und Interviews mit ehemaligen NBA Stars wie Larry Bird, Dennis Rodman und Scottie Pippen. Für Sportfans ein absolutes Muss. Auch, weil sie Jordan nicht verklärt, sondern auch durchaus kritisch seine unglaubliche Erfolgsbesessenheit zeigt. Und weil sie darstellt, welch höchst unterschiedliche Typen um ihn herum diese legendäre Mannschaft ausgemacht haben.
Noch ein heißer Tipp, der nicht nur Basketballfans begeistern wird. Am Community College in East LA versucht ein wilder Haufen Talente die letzte Chance auf den Durchbruch und ein Stipendium an einem Top-College zu ergreifen. Am Weg zum angepeilten Staatsmeistertitel stehen sie sich vor allem selbst im Weg und werden vom tiefgläubigen, erbarmungslos ehrgeizigen, aber auch herzensguten Trainer John Mosley von Sieg zu Sieg gebrüllt. Die 8 Folgen zu knapp einer Stunde sind eine intensive hochemotionale Achterbahnfahrt durch die Psyche junger Athleten, die teils mit sehr harten Lebensgeschichten zu kämpfen haben. Sie zeigen die unglaublichen Opfer, die Sportler (aber auch Trainer) auf sich nehmen müssen, wenn sie nur eine Chance auf eine Topkarriere haben wollen. Erstaunlicherweise schmälert es den Schauwert nicht, dass die letzte Folge wegen COVID-19 ganz anders verläuft als gedacht.
Die alltäglichen Hoffnungen der Afroamerikaner:innen wurden in August Wilsons 10 Stücke umfassendem American Century Cycle dramatisiert. Dieser Dokumentarfilm begleitet nun den alljährlichen August-Wilson-Monolog-Wettbewerb und die Tausenden von High-School-Schüler:innen, die an dem Wettbewerb teilnehmen, um am Broadway auftreten zu können. Der ermutigende Bericht geht näher auf diesen Wettbewerb ein und verdeutlicht, wie das Vermächtnis des Dramatikers eine neue Generation inspiriert. Interviews mit den Schauspielerinnen und Schauspielern Viola Davis, Denzel Washington und Stephen McKinley Henderson werden zwischen den Segmenten eingefügt, die die Jugendlichen bei der 2018er Auflage des Wettbewerbs begleiten.
Einen interessanten Einblick in das Musikbusiness gewährt die Taylor Swift Dokumentation von Lana Wilson. Sie zeichnet das Leben der Sängerin über den Lauf ihrer Karriere nach, sowie die noch umfassendere Erkenntnis Swifts, nicht nur Sängerin zu sein, sondern auch ein weiblicher Trendsetter und gesellschaftlicher Influencer. Miss Americana bietet einen zumeist ungeschönten Look auf das Powerhouse Swift und begleitet sie filmisch zwischen ihrer Konzerttour 2018 bis hin zum Release ihres Albums Dotter 2019. Der Film generierte viel positive Buzz bei seiner Veröffentlichung beim Sundance Film Festival 2020 und ist bis dato einer der erfolgreichsten Netflix Dokus überhaupt.
Lewis Capaldi wurde im September 2022 mit dem Tourette-Syndrom diagnostiziert. Dieser intime Dokumentarfilm zeigt den Weg des Sängers von einem rüpelhaften Teenager mit einer viralen Performance zu einem Grammy-nominierten Popstar. Der schottische Sänger wurde mit Songs wie Someone You Loved und Hold Me While You Wait berühmt. Neben seiner Karriere spricht der Schotte auch darüber, wie er mit dem Tourette-Syndrom umgeht. Auch wenn der Film aus der Perspektive eines Stars erzählt wird, zeigt er deutlich die Ängste und die daraus resultierenden Veränderungen im Leben, die sich auch in der normalen Welt ereignen können.
Die oscarprämierte Doku von Steven Bognar und Julia Reichert porträtiert die chinesische Fabrik Fuyao, die sich in Moraine, einer Stadt nahe Dayton, Ohio niedergelassen hat. Die Hoffnungen der lokalen Bevölkerung, aus der verlassenen General Motors Anlage wieder eine Hochburg an Jobs zu machen, endet in einem Clash der Kulturen. Die amerikanische Arbeiterklasse und ihre Traditionen treffen auf die High Tech Mentalität Chinas. Produziert wurde der Film übrigens als Premiere von Barack und Michelle Obamas Produktionsfirma Higher Ground Productions. Ein Film – ein Oscar. Die Obamas sind einfach gut.
Eine weiterer Film, der von den Obamas finanziert wurde. Ausgehend von dem Sommercamp Camp Jened für Menschen mit Behinderung im Jahr 1971, organisieren sich dessen Teilnehmer Larry Allison, Judith Heumann, James LeBrecht, Denise Sherer Jacobson und Stephen Hofmann über die Jahre zu Aktivisten für die Sache. Im Zentrum des Films: Ihr Kampf für die Gleichstellung körperlich und geistig Behinderter und das Ziel, die Barrierefreiheit gesetzlich zu verankern. Den Film findet ihr in vollständiger Länge übrigens oberhalb.
Es muss nicht immer ein Spielfilm sein, warum nicht auch einmal ein Kurzfilm. Die britische Doku Die Weißhelme, ebenfalls ausgezeichnet mit einem Oscar, begleitet die freiwilligen Rettungsarbeiter einer syrischen Zivilistengruppe. Im Fokus stehen drei Freiwillige, der Film begleitet sie zunächst in Aleppo, und später quer über das Land verteilt. Es werden auch Trainingseinheiten der Gruppe in der benachbarten Türkei gezeigt. Eine kurze aber beeindruckend schmerzhafte Erinnerung, was sich im Mittleren Osten selbst zu diesem Zeitpunkt noch abspielt. Unser verlinkter YouTube-Link ist übrigens der komplette Film und nicht nur der Trailer.
Eigentlich kein Film sondern eine Serie, zeichnet der Vierteiler mit erschreckenden Details den jahrelangen Missbrauch des Multi-Millionärs Jeffrey Epstein nach. Zeugenaussagen und verstörende Fotos zeigen, wie er und seine Freundin Ghislaine Maxwell einen Prostitutionsrings zur Ausbeutung Minderjähriger aufzogen, und wie die Behörden und die Polizei jahrelang Augen und Ohren verschlossen. Und wie die, die die nötigen finanziellen Mitteln haben, sich auch noch in Momenten, in denen das Gesetz sie eingeholt hat, irgendwie immer noch rauswinden können.
Weitere Doku-Tipps! Robbie Williams lässt uns auf Netflix 4 Stunden an seinen schlimmsten Abstürzen teil haben – hier unsere Kritik. Arnold widmet sich der verblüffenden Karriere des Arnold Schwarzenegger und bringt auch seine Schwächen zum Vorschein – Details hier in unserer Kritik.
Dann schaut doch in unserem Seher-Bereich vorbei. Da findet ihr Reviews zu Neuerscheinungen, Rankings der besten Netflix-Titel und eine Übersicht zum gesamten Netflix-Jahr 2024:
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Aufmacherfoto: (c) Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.