11 Jahre ist es her, dass im Hause Blizzard ein echtes Diablo das Licht der Welt erblickte. Die Vorzeichen standen schon gut für Diablo 4, die Trailer sahen Klasse aus und die Hypemaschine kam gut ins Rollen. Aber wird das Spiel den hohen Erwartungen gerecht? Wir haben es für euch getestet und uns tief ins Charakterbau-System gefuchst. Außerdem liefern wir euch gleich noch praktische Diablo 4 Tipps zu jeder Klasse.
von Peter Huemer
7. Juni 2023: Lilith, die Tochter des Hasses, ist nach langer Verbannung zurück und bringt ihre diabolischen Pläne ins Rollen. Die so und so schon blutige Welt wird noch gewalttätiger und es braucht neue Held:innen, um die abertausenden Dämonen, Untote, Wildtiere, Banditen und was es sonst noch gibt, zu schlachten. So weit, so Diablo.
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Die Story von Diablo 4 ähnelt auf dem Papier den Vorgängern, aber die Präsentation derselben unterscheidet sich doch gewaltig vom dritten Teil. Viel düsterer, brutaler und auch deutlich besser geschrieben kommt die Handlung daher. Obwohl sich die Plotpunkte nicht groß von der Konkurrenz und den Erwartungen abheben, ist es das Wie und nicht das Was, das eine gute Diablo-Story ausmachen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Diablo 3 damals seinen Plot so uninspiriert, neutral und verharmlost abspulte, dass die Diablo 4 Story, obwohl sie ein Amalgam gängiger Horror- und Fantasy-Klischees ist, derart erfrischend entfesselt wirkt.
Da wird in den ersten Minuten ein Priester von seinen Kirchengängern zu Tode geprügelt, Kinder von den Eltern in Folterkeller gesperrt, Männer von Verführerinnen gehäutet etc. Die übliche AAA Focus-Group getriebene Selbstzensur wegen der Vermarktbarkeit scheint angenehm abwesend. Das erlaubt der Erzählwelt, obwohl die Handlung selbst nicht allzu überraschend ausfällt, ihre Wurzeln wieder zu finden und verleiht dem Ganzen eine narrative Authentizität, die Blizzardspiele seit gut einem Jahrzehnt schmerzhaft vermissen ließen.
Die Story macht aber in einem Action-RPG wie Diablo nur einen kleinen Teil des Spielvergnügens aus. Viel wichtiger ist das Gameplay, das Progression-System, Loot und die langfristige Motivationsstruktur. Das Gameplay, wie sich das Schlachten anfühlt, ist auf jeden Fall gelungen. Die Animationen sind großartig, das Feedback saftig und die zumindest grundlegend (einzelne Werte und Synergien bedürfen noch Nachjustierung) gelungene Spielbalance erlaubt einem, das Spiel mit jeder Klasse annähernd gleichberechtigt zu bestreiten. Beim Level- und Dungeondesign gibt es noch Verbessungsbedarf, während die freie Spielwelt nahtlos und trotz der zurückhaltenenden Farbpalette interessant und abwechslungsreich gestaltet ist.
Die Story-Dungeons sind richtig schön in Szene gesetzt,dabei aber recht linear und einfallslos gestaltet. Die Nebendungeons, die vor allem zum Leveln und Looten da sind, sind leider sehr gleichförmig. Immer wieder findet man die gleichen Bausteine, ähnliches Layout, einfallslose Aufgaben und auch die am Ende angetroffenen Nebenbosse wiederholen sich. Diese Dungeons erfüllen ihren Zweck, sind eine neutrale Beilage zum Rest des Spiels. Aber da es über hundert davon gibt, hätte man sich etwas mehr Kreativität gewünscht. Positiv hervorstechen dagegen aber die in der Spielwelt verstreuten Strongholds. Diese sind immer vom Level her höher als der Spieler, bieten eine größere Herausforderung, erzählen jeweils ihre eigene tragische Geschichte und warten immer wieder Mal mit eigenen Mechaniken und einzigartigen Bossen auf.
Jetzt aber zum Kern eines jeden Action-RPGs: Charakterbau! Wie steigern wir die Durchschlagskraft unserer Charaktere und wie viel Entscheidungsfreiheit erlaubt uns das Spiel dabei? Die Antworten auf diese Fragen bestimmen, wie langlebig Diablo 4 sein kann und es auch noch nach hunderten Stunden Spaß machen kann. Das auf den ersten Blick recht simple System entpuppt sich bei genauerer Analyse als vielschichtiger als erwartet.
Die erste Schicht bildet der Fähigkeitenbaum. Mit jedem Levelaufstieg dürfen wir einen Skillpunkt verteilen. Der Fähigkeitenbaum ist in mehrere Kategorien unterteilt beginnend mit Basic-Skills bis hin zu ultimativen Attacken. In jeder Kategorie gibt es mehrere Fähigkeiten, aus denen ausgewählt werden kann, von denen jede wiederum in ihrer grundlegenden Funktion adaptiert werden kann und auch upgegraded. Ungefähr 65 Fähigkeitspunkte kann man erlangen, was bedeutet, dass nie der ganze Fähigkeitsbaum ausgefüllt werden kann. Die Kombination macht es aus und die Querverbindungen der Fähigkeiten können deren Kraft um ein Vielfaches steigern, wenn man umsichtig auflevelt.
Die zweite Ebene bildet die Ausrüstung. Ausrüstungsgegenstände verbessern unseren Charakter nicht nur, indem sie mehr Rüstung, Schaden, Mana etc. verleihen, sondern können, so sie denn legendär sind, unsere Fähigkeiten verbessern, aufleveln, ganz neue Fähigkeit hinzufügen oder Fähigkeiten grundlegend transformieren. Das geht so weit, dass der gesamte Spielstil auf den Eigenschaften eines oder mehrerer legendärer Ausrüstungsgegenstände fußen kann. Glücklicherweise kann man die Eigenschaften eines Gegenstandes durch dessen Zerstörung auf einen anderen übertragen. Diese Eigenschaften nennen sich Aspekte und können auch einzeln und wiederverwendbar gefunden werden. Das ergibt eine große Zahl an Kombinationsmöglichkeiten. Außerdem kann man mithilfe von Edelsteinen noch zusätzlich kleinere Boni an Ausrüstungsgegenständen anbringen.
Die letzte Ebene bildet das Paragon-System. Sobald man Level 50 erreicht hat, bekommt man pro Level 3 Punkte, die man auf verschiedenen Spielbrettern verteilen kann. Diese Punkte verbessern, je nach dem, wie man sich auf den Brettern verteilt, unterschiedliche statistische Werte des Charakters, und mithilfe von Runen kann man diese noch weiter spezialisieren. Diese kurze Erklärung wird der Tiefe des Systems kaum gerecht, sollte aber zeigen, dass es dem Spiel nicht an Komplexität fehlt. Ob diese Komplexität auch zu langfristigem Spielvergnügen führt, wird das Endgame zeigen, zu dem sich zu diesem frühren Zeitpunkt aber nicht viel sagen lässt. Außerdem wird natürlich die Spielbalance eine große Rolle spielen und zeigen, wie viele Optionen das System wirklich hergibt. Wenn sich zu schnell optimale Punkteverteilungen herauskristalisieren, gäbe es schnell nur noch ein Spielen nach Schablone.
Eine Sache, die man defintiv im Auge behalten sollte, sind die Micro-Transactions. Diablo 4 ist kein billiges Spiel. Die günstigste Version kostet rund 80 Euro, um up to date zu bleiben, kommen zukünftig Seasonpässe und noch dazu soll es klassische kostenpflichtige Erweiterungspacks geben. Wenn also ein solches Spiel auch noch Skins für 20 Euro anbietet, dann muss man schon die Nase rümpfen. Dann ist da plötzlich der sauere Nachgeschmack der katastrophalen, fast schon lachhaft raffgierigen letzten zwei Blizzard-Spiele, Overwatch 2 und Diablo: Immortal. Diablo 4 bewegt sich also auf sehr dünnem Eis.
Für einen guten Einstieg ins Spiel geben wir euch noch kurz ein paar Tipps zu jeder Klasse, die euch beim Aufleveln eurer Charaktere gute Dienste leisten sollten, weil sie nicht immer so offensichtlich sind.
Als Barbar willst du immer an forderster Fronst stehen und alles kurz und klein schlagen. Leicht bist du verführt, dich voll und ganz offensiv zu skillen. Aber eine der stärksten Waffen im Arsenal eines Barbaren sind nicht die Arme, sondern die Stimmbänder. Die Kriegsschreie, die man als Barbar zu Verfügung hat, sind zwar optisch nicht so beeindruckend, setzen aber (vor allem in Kombination) gewaltige Potenziale frei. Noch mehr gilt das im kooperativen Spielen, weil die Effekte der Schreie alle nahen Verbündeten beeinflussen. Aber auch solo solltest du die Cooldowns regelmäßig einsetzen.
Versteife dich nicht auf ein Element. Zauberer können Feuer, Blitze oder Eis entfesseln und die Elemente haben durchaus offensichtliche Synergien, die du beim Aufleveln ausnutzen solltest. Aber bei genauerer Betrachtung ergeben sich die mächstigsten Kombination in der Verwendung unterschiedlicher Elemente miteinander. Vor allem im Verzauberungssystem, das einem erlaubt, die Effekte von Fähigkeiten als passive Boni auf andere zu übertragen. Oft können unscheinbare Effekte, wie ein Schutzschild, das man von einem Skill eines Elements von außerhalb der eigentlich elementaren Synergien bekommt, eine Voraussetzung für massive Schadensboni sein. Generell sind Schadensboni, die unterschiedlichen Konditionen entspringen, häufig multiplikativ, während mehrere Bonusschadenquellen basierend auf der gleichen Voraussetzung (beispielsweise, wenn das Ziel vereist ist) additiv sind.
Zögere als Totenbeschwörer nicht, für manche Boni auf den ein oder anderen Untoten Schergen zu verzichten. Das Totenbuchsystem erlaubt es dem Totenbeschwörer, die Fähigkeiten befreundeter Skellette, Skellettzauberer und Knochengolems zu modifizieren oder alternativ ganz auf den knöchernen Untertanen zu verzichten, um für andere Skills Boni zu erhalten. Vor allem den Verzicht auf den Knochengolem, der zwar beeindruckend aussieht, aber nicht unbedingt notwendig ist, sollte man zur Schadensoptimierung in Betracht ziehen. Bonustipp: Der Totenbeschwörer verfügt über keine echten Mobilitätsfähigkeiten. Deshalb solltest du zusätzliche Bewegungsgeschwindigkeit zur Priorität machen.
Überwältige deine Gegner. Erlaube ihnen keinen Freiraum. Die Overpower-Mechanik von Diablo 4 gibt dem Spieler eine kleine Prozentchance, massiven Bonusschaden anzurichten. Der Jäger ist prädestiniert, sich das zu Nutze zu machen, weil ihm noch mehr als anderen Klassen zusätzliche Verbesserungen der Prozentchance und des resultierenden Bonusschadens zur Verfügung stehen. Außerdem bestehen Jäger Fähigkeiten oft aus vielen kleinen Schadensinstanzen, was die Prozentchance weiter erhöht. Ist Overpower einmal ausgelöst, gilt es für alle Schadeninstanzen einer Fähigkeit, was aus kleinen Schlägen plötzlich massive Hämmer machen kann.
Gib nicht auf! Auf niedrigem Level fühlt sich der Druide unheimlich langsam an. Wenig Schaden und erstaunlich zerbrechlich können größere Feindesansammlungen schnell überwältigend werden. Das gilt für alle möglichen Fähigkeitskombinationen. Ob als Werwolf, als Werbär, mit Sturm oder Erde, alles braucht seine Zeit. Es gibt aber einen Moment, wenn man genug Fähigkeitspunkte verteilt hat, in dem es auf einmal Klick macht, wenn die Synergien greifen und die Feinde, vom Zombie bis zum Dungeonboss, fallen wie die Fliegen. Um diesen Punkt zu erreichen, sind für den Druiden vor allem legendäre Aspekte wichtig, die beispielsweise einen Sturmzauber auf dem Papier zum Erdzauber machen, was auf einmal eine Synergiekaskade auslöst.
Diablo 4 hat einen richtig guten Start hingelegt. Das Spiel fühlt sich gut an, sieht gut aus, macht Spaß und hat für einen frisch erschienenen Titel erstaunlich wenige Bugs. In diesem frühen Stadium seines Lebenszyklus kommt Diablo 4 in Sachen Komplexität, Tiefgang und Spielbalance noch nicht an den aktuellen Genre-König Path of Exile ran, ist dafür aber sehr einsteigerfreundlich. Die beeindruckend rohe Präsentation der Story und die grausam schöne Ästhetik des Spiels sind ein weiterer großer Pluspunkt. Die überteuerten Microtransactions sollte man im Auge behalten. Ansonsten scheint Blizzard mit Diablo 4 endlich wieder etwas Gutes gelungen zu sein.
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Alle Fotos (c) Blizzard Entertainment
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.