The Girls are back in town – die nordirische Comedy Derry Girls geht auf Netflix in die zweite Runde. Auch diesmal muss sich die titelgebende Gruppe katholischer Schulmädchen mit allerhand Drama herumschlagen. Warum sich auch die zweite Staffel der Serie lohnt, erfahrt ihr in unserer Kritik.
2. August 2019: Wie fühlt es sich an, in den 90ern zur Zeit der nordirischen Troubles ein Teenager zu sein und sich zusätzlich zu Bomben und Bürgerkrieg mit ganz anderen Problemen herumschlagen zu müssen? Die Nordirin Lisa McGee, aufgewachsen im katholischen Teil Derrys, hat die Antwort. Sie schuf 2018 mit der ersten Staffel Derry Girls einen Überraschungshit für den britischen Sender Channel 4. Ein Erfolg, den sich auch Netflix nicht entgehen ließ. Der Streamingdienst bietet die Serie seit Dezember 2018 in seiner Bibliothek an, nun folgt die zweite Staffel, die in Großbritannien und Irland bereits im März gezeigt wurde.
Ab jetzt (2. 8.) ist sie online. Wir haben alle Folgen bereits gesichtet und verraten euch in unserer Kritik, warum es geht und wie gut Derry Girls Staffel 2 geworden ist. Noch mehr Netflix gefällig? Hier findet ihr unseren ultimativen Überblick mit allen Serien- und Filmneuerscheinungen im August.
Mit ihrer unverblümten, humorvollen Art hat McGee ein Kontrastprogramm zu dem entworfen, was die meisten mit den nordirischen Aufständen und dem historisch aufgeladenen Konflikt verbinden. IRA, Terrorismus, Bomben und hungernde Gefängnisinsassen stehen hier nicht im Mittelpunkt. Nicht nur, weil das Klima Mitte der 90er bereits entspannter war und das Land langsam dem Karfreitagsabkommen entgegensteuerte. Sondern auch weil Derry Girls zeigt, dass die Menschen trotz allem einen Alltag hatten und ihr Leben lebten. Und dass man in so einem gefährlich-komplizierten Umfeld auch einen gewissen makabren Sinn für Humor entwickeln muss.
Zuerst zur Ausgangslage (Achtung! Spoiler für alle, die Staffel 1 noch nicht kennen!): Als wir die Mädels und James (Dylan Llewellyn) das letzte Mal gesehen haben, fielen im bittersüßen Finale gerade die Tanzaufführung von Orla (Louisa Harland) und ein gravierendes Bombenattentat mit 12 Toten zusammen. Untermalt wurde die drastische Szene mit dem emotionalen Einsatz von Dreams von den Cranberries. Doch Tragik ist nun mal Alltag in Nordirland und für Orla, James, Erin (Saoirse-Monica Jackson), Michelle (Jamie-Lee O’Donnell) und Clare (Nicola Coughlan) stehen bereits neue Abenteuer bevor.
Da wären zum einem das “Friends Across Barricades” Friedensprojekt, in dem die Mädelsgruppe hofft auf attraktive Protestanten von der anderen Seite der Stadt zu treffen. Oder das Take That Konzert in Belfast, das es zu besuchen gilt, obwohl ein Eisbär frei durch die Stadt rennt. Dann ist da noch die neue Lehrerin, die ein paar alte Der Club der toten Dichter Erinnerungen anzapft. Ein hormongesteuerter Schulball. Eine Beerdigung und der historische Besuch von US-Präsident Bill Clinton. Das alles sorgt für reichlich Aufregung.
Aber es sind nicht nur die externen Umstände, die die Derry Girls beschäftigen. Freundschaften stehen auf der Kippe, Romanzen blühen auf und auch Zufalls-Derry Girl und Opfer zahlreicher Engländer Witze James muss sich entscheiden, ob seine Heimat in diesem nordirischen Schmelztiegel liegt oder doch in London.
Autorin McGee schafft es wieder den Charme der ersten Staffel heraufzubeschwören und ihre Mädels von einem Fettnäpfchen ins nächste zu stoßen. Wer glaubt die Serie hätte sich schon in der ersten Staffel an allen gängigen Klischees oder Eckpunkten nordirischer Ethnostreitereien abgearbeitet, der irrt. Vor allem die erste Folge, in der die Gruppe Gemeinsamkeiten mit ihren protestantischen Mitbürgern suchen soll, sprüht vor lauter Lust an alten Stereotypen, die die Figuren zunächst zickig um sich werfen. Kenner des Irland-Konflikts werden beim Anblick der gesammelten Aussagen auf der Tafel übrigens besonderen Spaß haben.
Doch es geht nicht immer nur um Extreme. McGee versteht es einen feinen Bogen zu spannen zwischen den Momenten, in denen sie die Situation genüsslich ausweidet und jenen, in denen sie die historische Entwicklung der Region kommentiert. Niemand käme je nach Nordirland, weil man sich doch immer versuche gegenseitig umzubringen, bemerkt eine trotzige Erin, als ihre Mutter ihr zunächst das Take That Konzert verbieten will. Gleichzeitig betont die Serie aber auch die Bedeutung des Waffenstillstands der IRA, der erste wichtige Schritt zum Karfreitagsabkommen. Menschen ziehen jubelnd durch die Straßen, Fahnen werden geschwenkt und mit Scotch angestoßen, während erneut die Cranberries aus den Boxen dröhnen.
Die Serie bietet auch in Staffel 2 eine hervorragend kuratierte Auswahl an 90er Songs (unter anderem auch auf Spotify zum Nachhören verfügbar) und Nostalgie induzierende Kostüme und Popkultur. Sie umschlingt ihr historisches Setting, fetischiert es aber nicht, um diese Nostalgie auszuweiden. Die Zeitperiode mag spezifisch sein, die Themen hinter den Episoden sind aber zeitlos.
Mit dem Erscheinen der ersten Staffel wurde die Gruppe Mädels plus James gerne mit dem britischen The Inbetweeners verglichen. Nicht nur ist die Ausgangslage, das schwierige Heranreifen vom Jugendlichen zum Erwachsenen, ein gemeinsames Thema, auch die Figuren teilen einige Charaktereigenschaften. Doch Derry Girls beweist abermals, dass es mehr ist als nur ein weibliches Inbetweeners. Die Gruppe findet ihren Platz in einer Welt, die begonnen hat zu erkennen, dass auch Frauen witzig und brachial sein können. Michelle darf wie gewohnt ordinär sein, Erin hochnäsig und egozentrisch, Orla lebt in ihrer eigenen Welt und Clare ist die hyperventilierende Spaßbremse. Und wenn es darauf ankommt, sind sie immer alle für einander da.
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Derry Girls unterhält wie gewohnt mit scharfem Humor und emotionalen Momenten. Und mit einer Welt, die vielleicht nicht idyllisch war, aber doch Verlangen aufkeimen lässt, Derry nicht so bald wieder zu verlassen. Gerade in Zeiten des Brexits und der nordirischen Frage ist die Serie aktueller und relevanter denn je. Fans dürfen sich auf jeden Fall freuen. Channel 4 hat bereits eine dritte Staffel angekündigt. Und auch die werden wir wohl auf Netflix sehen können. (sg)
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After Life (Staffel 1)
Better Call Saul (Erste 33 Folgen)
Black Mirror (Staffel 5)
Black Summer (Staffel 1)
BoJack Horseman (Staffel 5)
Dark (Staffel 2)
Der Pate von Bombay (Staffel 1)
Disenchantment (Staffel 1)
Dogs of Berlin (Staffel 1)
Élite (Staffel 1)
Glow (Staffel 1 und 2)
Happy! (Staffel 1)
Haus des Geldes (Staffel/Teil 3)
Jessica Jones (Staffel 2)
Jessica Jones (Staffel 3)
Maniac (Staffel 1)
Orange is the new Black (Staffel 6)
Orange is the new Black (Staffel 7)
Sex Education (Staffel 1)
Stranger Things (Staffel 1 und 2)
Stranger Things (Staffel 3)
The Innocents (Staffel 1)
The Kominsky Method (Staffel 1)
Turn up Charlie (Staffel 1)
Umbrella Academy (Staffel 1)
Bilder: © Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.