In Der Brutalist kommt ein jüdischer Kriegsflüchtling nach Amerika, doch der Traum eines neuen Glücks scheint sich nicht zu bewahrheiten. Regisseur Brady Corbet schwingt sich zum seriösen Award-Kandidaten auf.
von Susanne Gottlieb, 29. 1. 2025
Einst war er als Schauspieler, unter anderem in Michael Hanekes US-Version von Funny Games, zu sehen. Dann begann er Regie zu führen und legte mit Vox Lux, einem Musikdrama über vererbete Traumata und mit Natalie Portman in der Hauptrolle, ein beeindruckendes Debüt hin. Nun kehrt Brady Corbet mit Der Brutalist zurück, das er wieder gemeinsam mit seiner Partnerin Mona Fastvold geschrieben hat. Erneut entfaltet sich hier ein Drama erster Güte über die Folgen von Generationentraumata, und die inharente Xenophobie einer Gesellschaft.
Warum ihr den Film also nicht verpassen solltet, das erfährt ihr im Detail hier.
Der ungarisch-jüdische Holocaust-Überlebende László Tóth (Adrien Brody) kommt 1947 nach Amerika, um ein neues Leben anzufangen. Seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) und seine verwaiste Nichte Zsófia (Raffey Cassidy) haben zwar überlebt, hängen aber noch in Europa fest. László will sie bald zu sich holen, muss aber erst einmal selber in Amerika Fuß fassen. Unterschlupf findet er in Philadelphia bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) und dessen Frau. Durch die Arbeit in dessen Möbelgeschäft ergibt sich die Gelegenheit, auf Geheiß von Harry Lee Van Buren (Joe Alwyn), die Bibliothek seines Vaters, des reichen Industriellen Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce), neu zu gestalten.
Dieser freut sich zunächst gar nicht und weigert sich zu zahlen, zudem beschuldigt Attila László, sich an seine Frau heran gemacht zu haben. Als eine Architektengemeinschaft jedoch die von László designte, modernistische Bibliothek lobt, und sich herausstellt, dass er in Europa ein erfolgreicher Vertreter des Bauhaus-Stils war, sucht Harrison ihn erneut auf. Er soll ihm ein Gemeindezenttrum gestalten und bauen. Dafür beschleunigt er auch die Einwanderung von Erzsébet, nun im Rollstuhl, und Zsófia, die nicht mehr redet. Doch der amerikanische Traum entfaltet sich nur bedingt für die Familie. Wiederholte Konflikte mit den Lee Van Burens, Drogenkonsum, die Krankheit Erzsébets, sowie eine Gesellschaft, die Leute wie László nicht will, schaukeln sich langsam zu einem dramatischen Höhepunkt auf.
Antisemitismus, kapitalistische Gier, die Einwanderungserfahrung, amerikanisches Business im Gegensatz zu europäischer Kultur und deren Untergang. Es steckt viel in diesem Film, den Brady Corbet mit so viel pompöser Gewalt umgesetzt hat. Dessen Geschichte er mit viel Direktheit, aber auch einer gewissen Leichtigkeit sowie monumental gestalteten Bildern erzählt. Bereits an diesem Punkt ist zu empfehlen, sich diesen Film wie in Venedig und auch auf der Viennale in 70mm analog anzusehen, um sich ganz dieser Erfahrung hinzugeben.
Corbet hat das Buch erneut mit seiner Partnerin Mona Fastvold geschrieben und wieder setzen sie sich mit den Folgen menschlicher Traumata auseinander und einer Gesellschaft, die diese vermarktet, verpönt oder gar attackiert. Corbet gelingt dabei auch der Glücksgriff, Adrien Brody und Guy Pearce ganz entlang ihrer individuellen Stärken zu besetzen.
Brody, der schon in Der Pianist den jüdischen Holocaust-Überlebenden spielte, gibt László eine Schärfe und Leidenschaft, die ihn zu einem Überlebenden und Optimisten, aber auch einen Pragmatiker seiner Umgebung macht. Sein Genie wird nur von seinem Hochmut und schnellen Temperament überragt, sein Hang zu Drogen immer prägnanter. Pearce hingegen brilliert als der schmierige Industrielle, der seine eigene Mittelmäßigkeit zu verstecken versucht, das Talent Lászlós erkennt, aber in seiner Egozentrik kaum Raum für ehrliche Anerkennung findet.
Diese Begegnung des europäischen Künstlers mit dem amerikanischen Plutokraten wirkt von Beginn an problematisch. Wie sehr, um nicht zu spoilern, muss man sich dann im Film selber noch einmal überzeugen. Die drei Stunden Laufzeit eilen nur so dahin, am Ende verlässt man den Saal leicht benommen, aber wie in Ekstase. Vielleicht keine euphorische, aber doch eine emotionale.
Ein beeindruckender Abgesang auf die europäische Künstlerszene und den amerikanischen Traum, der auch bereits beste Chancen hat, bei den Oscars im März groß abzuräumen.
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Aufmacherfoto: (c) Universal Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.