Wer eine “Tödliche Vorahnung” hat, besitzt das gelungenste in den Grafiksand gesetzte Stück Videospielgeschichte. Warum aus Hass, Liebe wird.
von Christoph König
Wer dieses Game nicht gespielt hat, hat ein Stück Videospielgeschichte versäumt. Wie oft habe ich dieses bedeutungsschwangere Satzerl in Videospiel-Reviews schon gelesen. Auf keinen Titel trifft das allerdings mehr zu als auf Deadly Premonition. Es ist gleichzeitig das mieseste und schönste Stück Spielesoftware.
Im Guinness-Buch der Rekord
Keine Übertreibung, denn als bei den Kritikern am ärgsten polarisierendes Spiel steht es sogar im Guinness Buch der Rekorde (Gamer’s Edition). Seit 2013 gibt es eine etwas aufpolierte, mit ein paar weiteren Cutscenes gepimpte Director’s Cut-Version. Die konnte daran freilich wenig ändern. Ich hab mich durch das Original gekämpft. (Übrigens: Hier gibt es unseren Test zu Teil 2).
Grafik zum Wegschauen
Und ich gestehe sofort. Mein erster Eindruck war: WTF? Selten hat man so eine fürchterliche Grafik auf einer Xbox 360 gesehen. Ein Flashback fast ins Playstation1-Zeitalter. Ein düsterer Waldweg präsentiert sich als vorgegebener Pfad, denn man befindet sich in einem Polygonschlauch. Die Menüführung könnte auch ein C64 so ausspucken. Okay, ein Amiga500, ich will ja nicht übertreiben. Auch die Steuerung ist eine mittlere Katastrophe. Ehrlich, nach den ersten paar “Action-Spielminuten” wollte ich das Ding sofort wieder meinem Second-Hand-Tandler zurückgeben. Aber macht euch selbst ein Bild:
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenViel Spaß trotz Textur-Gatsch
Doch mit der Zeit passiert etwas, das so schwer zu erklären ist, wie die komplexe, abgedrehte Story. Das Game zieht einen so in den Bann, dass man über die allgegenwärtigen grafischen Mängel hinwegsieht. Ja, man amüsiert sich immer mehr darüber. Spätestens, wenn plötzlich der beklemmende, gut abgemischte Soundtrack in ein fröhliches Pfeifgedudel übergeht, der Hauptcharackter York (oder besser Zack ,-) mit seinem zweiten Ich spricht und man mit einem Auto, das kaum fahrbar ist durch grauslige Texturlandschaften düst, zieht es einem ein Grinsen auf.
Und man merkt: Die Entwickler haben sich selbst nicht ganz ernst genommen. Leider auch bei der Gestaltung der Nebenquests, die daraus bestehen Spielkarten der Charaktere (okay) und lebensgroße Medaillen (im Ernst?) einzusammeln. Da wird maximal der Super Mario neidisch.
Der erste Sandbox-Mystery-Action-Horror-Krimi
Wer über die langweiligsten Autofahrten im Videospielgenre hinwegsehen kann, hat schon das Schlimmste überstanden. Dem entblättert sich etwas Fantastisches. Ein “Sandbox Mystery Action Horror Krimi”. Mal schießt man sich durch Zombies, mal ermittelt man in der Rolle des FBI-Agenten, mal angelt man, mal versteckt man sich vor einem Axtkiller im Spind, mal bewundert man die extrem gelungenen Charaktere in den Zwischensequenzen, die aneinandergefügt einen tollen Film ergeben.
David Lynch und Stephen King lassen grüßen
Um was geht es? Zuviel will ich gar nicht verraten. Aber wem der Anfang: “Ein engagierter, hochintelligenter FBI-Agent kommt in einen kleinen Ort inmitten von Wäldern, um einen Mord an einem jungen Mädchen aufzuklären …” bekannt vorkommt, der weiß, dass hier Fans von Twin Peaks oder Stephen King Büchern voll auf ihre Kosten kommen. Die Anspielungen der japanischen Macher sind so offensichtlich, dass ich mich als Fan von David Lynch Filmen sofort wie zuhause fühlte. Nur: Im Gegensatz zu Agent Cooper versteht sich Agent Morgan so überhaupt nicht mit dem Dorfsheriff.
Umso mehr mit seiner Assistentin Emily Wyatt, die offensichtlich eine virtuelle Nachbildung von Mulholland-Drive-Schönheit Naomi Watts ist. Eine sehr gelungene, wie ich beifügen möchte. Emily und Naomi – Ähnlichkeiten sind wohl nicht rein zufällig. So schön und lustig das Spiel teilweise ist, so verdammt gruslig, psychodelisch, verstörend, brutal und blutig ist es. Ekel, Gänsehaut und Schockmomente sind ständiger Begleiter – ein Qualitätssiegel für einen Horrorthriller, keine Frage. Und die Endgegner. Hehe, da soll sich jeder selbst ein Bild machen.
Titel: Deadly Premonition
Entwickler: Rising Star Games, 2010
Plattform: Xbox360, Ps3 (nur in Japan)
Genre: Survival Horror Open World Comedy Thriller
Neuauflage: Director’s Cut 2013
Altersempfehlung: ab 18 Jahren (auch für PC/Steam)
Fazit: Deadly Premonition passt in keine Schublade und lässt sich auch in keinem Testbericht vernünftig mit Noten oder Spielspaßprozenten bewerten. Man muss es einfach erlebt/gespielt haben. Ich halte es dabei ganz wie Erasure. Deadly Premonition – I love to hate you!
Inzwischen ist eine Fortsetzung für die Switch erschienen – lies mehr hier in unserer Kritik zu Deadly Premonition 2
Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.