Es geht wieder zurück nach Winden. Eineinhalb Jahre nach dem Überraschungserfolg der deutschen Serie Dark auf Netflix geht die Produktion nun in die zweite Staffel. Und sie beweist, dass sie trotz kleinerer Abzüge noch immer spannend und atmosphärisch sein kann. Warum, lest ihr in unserem Review – schon vor Start der Fortsetzung am 21. Juni.
Die Zeitreise gehört zu den faszinierendsten Plotelementen, die in Science-Fiction-Filmen verarbeitet werden. Fast alles ist erlaubt, die Zeit-Raum-Paradoxe werden ein kreativer Spielball der Handlungsbögen. Die erste Staffel Dark verlegt so ein Zeitreise-Element ausgerechnet in eine fiktive Kleinstadt in Deutschland, in der die Bewohner in Tunneln unter einem Atomkraftwerk 33 Jahre in die Zukunft und die Vergangenheit reisen können. Eine ungewöhnliche Idee, die nun ab Freitag (21. Juni) auf Netflix in die zweite Staffel geht.
Lest in unserer Kritik, warum der Ausflug sich noch immer lohnt. Und noch ein Tipp: Hier gibts unser Urteil zur Nachfolgeserie 1899.
Darum geht’s: Als wir Winden das letzte Mal verlassen hatten war Jonas (Louis Hofman) in einer dystopischen Zukunft im Jahr 2052 gelandet, in der die Überlebenden einer Apokalypse vom 27. Juni 2020 ums Überleben kämpfen. Jonas versucht verzweifelt in seine eigene Zeit zurückzukehren, aber das erweist sich nicht als einfach. Die Mittel per Tunnel zu reisen gibt es nicht mehr. Als er doch einen Weg findet, landet er jedoch nicht im Jahr 2020, sondern im Jahr 1921, wo er auf den mysteriösen Noah (Mark Waschke) trifft.
Ungleich der ersten Staffel bekommt Noah dieses Mal einen größeren Handlungsbogen. Der teuflische Priester, der nie altert, wird als junger Mann im Jahr 1921 vorgestellt. Hier ist er noch kein Zeitreisender, aber bereits Mitglied der geheimen “Sic Mundus” Organisation. Deren Mitglieder arbeiten auf eine Prophezeiung hin, die sie ins Paradies führen soll. Mit dem Eintritt der Apokalypse innerhalb der nächsten Tage soll zudem ein dritter Zyklus entstehen, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erneut ineinandergreifen.
Noch recht wenig Ahnung was vor sich geht haben die Bewohner in Winden im Jahr 2020, acht Monate nachdem Jonas verschwand. Doch die ältere Claudia (Lisa Kreuzer) hat begonnen ein paar Mitglieder der älteren Generation einzuweihen. Nach und nach verbreitet sich die Kunde des Zeitreisens unter den Bewohnern. Und dann taucht auch der erwachsene Jonas (Andreas Pietschmann) wieder auf, um diesmal die Zukunft entgültig zu verändern.
Erfreulich: Die Autoren Baran bo Odar und Jantje Friese graben die Mythologie ihrer Serie noch tiefer, heben die mysteriösen Einzelfälle in eine zusammenhängende Kausalität. Mit dem Einführen der Sic Mundus Organisation und dem Ausweiten der Hintergrundgeschichten von Figuren wie Claudia, Charlotte oder Jonas verdichtet sich die Handlung und wirft neue Fragen auf. Man kann nur hoffen, dass beide Autoren im Gegensatz zu den Lost-Schreiberlingen einen genaueren Plan haben, wo ihre übernatürlichen Begebenheiten letztendlich in der geplanten letzten dritten Staffel hinführen werden.
Mit dem Einführen neuer Figuren, wie dem Sic Mundus Anführer Adam oder Noahs Schwester, weitet sich die Verwicklung der Ereignisse aus. Das Hinzufügen von zwei neuen Zeitepochen in der Zeitreise spannt ein paar weitere rote Fäden auf. Vor allem der Ausbau Noahs, einer der faszinierendsten Figuren der ersten Staffel, ist ein Gewinn für Dark. Solchen Charakteren allzu viele biographische Fakten zu geben macht sich nicht in jeder Serie bezahlt. Im Fall des düsteren Priesters kommt aber eine vielschichtige und zweifelnde Person zum Vorschein. Als Zuschauer möchte man automatisch mehr erfahren.
Odar und Friese gelingt es mit den neuen Verwicklungen eine klare Linie zu verfolgen und sich nicht unweigerlich zu verknoten. Dennoch macht es sich die Serie oft ein wenig zu leicht, die Entwicklung der Figuren und ihr Wissen weiter zu tragen.
Uhrenmacher Tannhaus fragt Claudia auf einem ihrer Besuche in seiner Werkstatt, ob sie wisse, was ein Bootstrap Paradox sei. Diese kausale Zeitschleife, in der Information aus der Zukunft die Vergangenheit beeinflusst, so dass die Information irgendwann keinen Ursprungsort mehr hat und einfach existiert, ist nichts neues. Der erste Terminator ist ein berühmtes Beispiel, und auch die J.J. Abrams Star Trek Filme bedienten sich gerne dieses Phänomens.
Leider verlassen sich Odar und Friese zu oft auf dieses Paradox, um die Handlung schnell weiter zu treiben. Die Figuren müssen seltener selber etwas herausfinden. Sie beginnen vermehrt mit ihren eigenen oder anderen vergangenen und zukünftigen Versionen der Bewohner Windens zu interagieren. Ein Mittel, das in der ersten Staffel noch sehr behutsam eingesetzt wurde. Manche dieser Interaktionen sind dabei auch leider auf Seifenoper-Niveau geschrieben.
Ein Problem, das bereits die erste Staffel von Dark hatte und hier leider noch immer nicht gelöst wurde, ist die Sinnhaftigkeit der Jugendlichen im Jahr 2020. Bis auf Jonas hat noch keiner von ihnen entscheidend in die Handlung eingegriffen. Der Zuschauer wird erneut mit einem Schwall von Teenie-Problemen konfrontiert, bevor die Gruppe rund um Magnus, Martha und Franziska das erste Mal selbst Nachforschungen anstellt. Es bleibt zu hoffen, dass die Autoren vor dem Ende der Serie hier noch einen umfangreicheren Handlungsbogen geplant haben.
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Dark vermag es den Zuschauer auch mit seinem zweiten Auftritt in die dunklen Abgründe von Zeitparadoxen und stimmigen Szenenbildern zu ziehen. Die Serie schlägt jedoch zwangsweise konventionellere erzählerische Wege ein, um ihrer Handlung einen größeren Spielraum zu geben, und lässt so bereits erste Ermüdungserscheinungen der Geschichte erkennen. Man kann nur hoffen, dass dies ein Nebenprodukt ist, und kein Indikator für die künftige letzte Staffel. (sg)
Ihr wollt wissen, welche Netflix-Serien sich lohnen? In unseren weiteren Reviews findet ihr die Antwort:
After Life (Staffel 1)
Better Call Saul (Erste 33 Folgen)
Black Mirror (Staffel 5)
Black Summer (Staffel 1)
BoJack Horseman (Staffel 5)
Der Pate von Bombay (Staffel 1)
Disenchantment (Staffel 1)
Dogs of Berlin (Staffel 1)
Élite (Staffel 1)
Glow (Staffel 2)
Happy! (Staffel 1)
Jessica Jones (Staffel 2)
Maniac (Staffel 1)
Orange is the new Black (Staffel 6)
Sex Education (Staffel 1)
Stranger Things (Staffel 1 und Vorschau Staffel 2)
The Innocents (Staffel 1)
The Kominsky Method (Staffel 1)
Turn up Charlie (Staffel 1)
Umbrella Academy (Staffel 1)
Fotos: © Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.