Black Lives Matter – inmitten der größten Proteste und Zivilaufstände der letzten Jahrzehnte gegen Rassismus und Diskriminierung in den USA erscheint fast wie maßgeschneidert zur Debatte das Vietnam-Ddrama von Spike Lee. Vier schwarze G.I.s kehren in den Dschungel von Vietnam zurück, um ihren toten Kameraden zu bergen. Und das ein oder andere Geheimnis. Wir verraten euch, warum sich der Film auf jeden Fall auszahlt.
von Susanne Gottlieb
14. Juni 2020: Eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen. Spike Lees neuestes Werk Da 5 Bloods war als Premiere am glamourösen Cannes Film Festival geplant. Außer Konkurrenz natürlich. Spike Lee war immerhin zum Präsidenten der Jury berufen worden – als erster Afroamerikaner. Nun, wie wir wissen, kam dann alles ganz anders. Corona suchte auch die Côte d’Azure heim, und das Festival wurde abgesagt.
Aber statt Geschichte mit Lees Berufung zu schreiben, schreiben gerade die Menschen in den Straßen der USA und auch sonst um den Globus Geschichte. Nach dem Tod von George Floyd, das jüngste Glied in einer ewigen Kette an Gewalt gegen schwarze Menschen in den USA, gingen die Menschen erneut auf die Straße. Die jahrhundertelange Wut über Diskriminierung, Ungerechtigkeit, den von der Polizei so wenig geschätzten Wert von schwarzem Leben – sie bestimmen gerade den Alltag des Landes. Und wenn einer sich seit Jahrzehnten filmisch mit der Diskriminierung seiner Landsleute auseinandersetzt, dann ist es Lee.
Statt also eine fancy Cannes Premiere gibt es dieses gekonnte Aufdecken von systematischen Rassismus und jeglichen Mangel an Wiedergutmachung für die schwarze Minderheit im Land seit 12. Juni auf Netflix. Wir verraten euch, warum sich der Film lohnt.
Die vier Vietnamveteranen Paul (Delroy Lindo), Otis (Clarke Peters), Eddie (Norm Lewis) und Melvin (Isiah Whitlock Jr.) kehren nach Jahrzehnten in das Land ihres Kriegstraumas zurück. Die offizielle Motivation ist es die Gebeine ihres gefallenen Kommandanten und Vorbildes Norman (Chadwick Boseman) aus dem Dschungel zu holen und nach Hause zu bringen. Aber insgeheim ist da noch mehr. Während eines Einsatzes erbeutete der Platoon eine Kiste voller Gold, mit denen die CIA eigentlich die Einheimischen bestechen wollte, um sie zur Zusammenarbeit gegen die Vietcong zu bringen.
Die Gruppe rund um Norman versteckte die Beute jedoch. Denn, so der Anführer selber, stehe ihnen das Gold zu. Man habe die schwarzen, ärmlicheren Mitbürger in den Krieg geschickt einen Krieg zu führen für Rechte die ihnen selber nicht zustehen würden. Man habe das Land gebaut und nichts dafür bekommen. Im Zuge des Gefechts musste jedoch sowohl Normans Leiche als auch das Gold hastig im Wald verscharrt werden. Nun sind sie zurück. Doch das Kriegstrauma hat auch bei anderen Wellen geschlagen. Eine Konfrontation ist unausweichlich.
Spike Lee mag schon viele Filme über Diskriminierung und Rassismus gedreht haben. Aber er findet immer wieder einen neuen Zugang, eine neue schreckliche Seite schwarzer Geschichte. In Da 5 Bloods konzentriert er sich vor allem auf die langwierigen, bis heute nicht erfüllten Versprechungen der Wiedergutmachung von ehemaligen Sklaven und ihren Nachkommen. Und er nimmt die hässliche Fratze seines Landes, die der Kriegstreiberei und der Herrschaft des Geldes über Vernunft, Brüderlichkeit und Anstand genauer unter die Lupe.
Wie schon bei BlacKkKlansman bedient sich Lee zahlreicher historischer Aufnahmen von schwarzen Vordenkern, Protesten, Athleten, Aktivisten wie Martin Luther King jr. und Malcolm X – um zu zeigen, wie kritische Stimmen, schwarze Stimmen, vom System mundtot gemacht wurden. Ermordet. Wie entbehrlich für das gegenwärtige Amerika ihre Stimmen nach wie vor sein können. Aber er scheut auch nicht vor den Kriegstaten seines eigenen Landes zurück. Tote Vietnamesen, Gräueltaten an den Vietcong und Zivilisten, ein unmoralischer Krieg – auch sie werden laut und deutlich angeklagt.
Es ist spätenstens seit Michael Moore’s Fahrenheit 9/11 auch einem europäischen Publikum bewusst, dass in den USA besonders gerne ärmere schwarze und braune Burschen in die Streitkräfte eingezogen werden. Die besser situierten Weißen drücken weiter die Schulbank und enthalten sich den tödlichen Auseinandersetzungen. Kanonenfutter waren sie, stellen die Bloods, wie sich die Charaktere gegenseitig nennen (eine innigere Form des Brother) immer wieder fest.
Aber die Brüderbande sind selbst anfällig für Gier und Egoismus. Die Figur des Pauls offenbart besonders dieses Tauziehen in beide Richtungen. Von den anderen als paranoid verschrien, weiß er dass ihm sein Glück niemals von irgendwem gegönnt werden wird. Er hat zu viel gesehen, wie er in einem Bruch mit der vierten Wand (er schaut direkt in die Kamera) erklärt. Drei Touren haben ihn nicht umbringen können. „Du wirst Paul nicht umbringen“, spricht er in Richtung USA. In Zeiten von Floyds Tod ein universal gültiges Mahnwort.
Gleichzeitig entfernt sich Paul von seiner Community, von seinen Brüdern und der Lehre Normans, zusammen zu halten und einander zu lieben. Weiße Erfolgsdrogen wie Ruhm, Macht und Geld waren nie für Schwarze in dem Ausmaß zugänglich. Aber das „sweet green“ korrumpiert gerne jeden unabhängig von Hautfarbe. Und macht jene, die es mit Gewalt an sich reißen wollen, auf beiden Seiten nicht besser.
Da 5 Bloods ist ein brandaktuelles, zeitlich relevantes Meisterstück von Spike Lee, dessen 154 Minuten Laufzeit einen nicht abschrecken sollten. Man bekommt viel dafür geboten und einen weiteren Crashkurs in Sachen Rassismus.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.