In seinem neuen satirischen Roman stürzt uns Elias Hirschl nicht nur in die Untiefen der Massenproduktion von Internet-Content, sondern zerpflückt die digitale Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Aber wenn die Schmerzgrenze erreicht scheint, geht es erst so richtig los.
Eine Rezension von Peter Marius Huemer. Der freie Schrifsteller stellt euch in “Peters Buchtipp” jeden Monat ein außergewöhnliches Werk vor.
28. Jänner 2024: Die Internet-Content-Mühle der Firma Smile Smile befindet sich inmitten eines ehemaligen Kohleabbaugebietes. In einem mehrstöckigen Büro über verlassenen Stollen pumpt die Firma sinnlose Top-Listen und verstörende Videos ins Netz und niemand weiß, warum. Aber die Logik hat die Staublunge (so der Name der Stadt) schon lange verlassen. Wo vergiftetes Erdreich, vergiftetes Wasser und eine Bevölkerung, die längst jeden Bezug zur Realität aufgegeben zu haben scheint, zusammenkommt, braut sich eine Suppe aus rotierendem Gedankenmüll zusammen. Wie kann der Mensch an so einem Ort existieren, wie sich entfalten?
Nach seinem großartigen Vorgänger Salonfähig, in dem Elias Hirschl gnadenlos mit der Politikergeneration Kurz und seinen Jüngern im Slim-Fit-Anzug abrechnet (hier in unserer Rezension nachzulesen), knöpft sich der 29-jährige Wiener diesmal die Digitalisierung vor. Wir haben das brandneue Buch Content für euch bereits gelesen und verraten euch in unserer Rezension, um was es genau geht und wie lesenswert es ist.
Content verliert keine Zeit damit, sich an die Absurdität seines Themas und deren Übersteigerung heranzutasten. Bereits die ersten Seiten machen klar, wo die Reise hingeht: in eine Hölle aus Weltfremdheit, Narzissmus und tiefer Vereinsamung. Smile Smile ist eine Firma, die in ihrer dystopischen Undurchsichtigkeit ihre MitarbeiterInnen in den Wahnsinn treibt. Dabei scheint vieles an der Oberfläche angenehm. Die Leute arbeiten frei an ihren Themenbereichen, können kreativ sein, während die Firma bloß kleinere Vorgaben macht.
Aber das Grundprinzip des Betriebs ist es, das einem den Atem und die Hoffnung raubt. Substanz ist verboten – implizit natürlich. Außerdem werden alle verfassten Artikel von einem anderen Team noch einmal bis zur Unkenntlichkeit verändert, weswegen nicht nur der Inhalt der Artikel sinnlos ist, sondern auch deren Erstellung. Die Content-Writer schreiben ins Nichts. Ihre Stimmen verhallen in den Weiten des Internets. Die größte Furcht des Menschen – bedeutungslos zu verhallen – wird bei Smile Smile realisiert.
Nicht nur die Content-Farm selbst leidet an Sinnleere. Auch der Rest der Stadt hat seinen Existenzgrund verloren. Die Kohlebergwerke sind ausgeschürft und die Industrie hat den Landstrich eigentlich unbewohnbar zurückgelassen. Tunnelsysteme, die sich mit Wasser füllen und die Stadt zum Einsturz zu bringen drohen, eine Erde, in der nichts mehr wächst und ein Bürgermeister, der so tut als sei das alles das Normalste auf der Welt.
In diesem Lebensvakuum greifen die Menschen nach vermeintlich rettenden Fäden und als vom Internet großgezogene orientiert man sich nicht an der Realität, die vor einem liegt, sondern an Trends und digitalen Mythen. Ein nutzloses Start-Up nach dem anderen sprießt aus der Asche zu Grunde gegangender Betriebe, nur um wieder zu verschwinden. Ein Ideen-Kannibalismus – die verstaubenden Produkte der Vergangenheit werden wiederverwertet, neu verpackt und als Innovation verkauft. Was erst einmal sehr nachhaltig anklingt, scheitert an der Wertlosigkeit der ursprünglichen immer wieder aufgewärmten Grundmaterie: alter Rübensaft.
Selbst jene, die außerhalb stehen und sich von außen mit dem Wahnsinn beschäftigen sollen, werden vom Wahnsinn angesteckt und ihre Vernunftsarbeit ist nicht in der Lage mit der unbändigen Unvernunft umzugehen. Es bleibt nur der Ausweg aus der einen Bubble in eine andere, angenehmere und zumindest scheinbar zukunftsträchtige Bubble zu fliehen. Die Zukunfsträume, die Träume von Gewinn und Wohlstand und Anerkennung liegen immer anderswo. Dieses Anderswo scheint aber immer weiter fort zu rücken. Man fragt sich, warum überhaupt noch irgendjemand die Staublunge bewohnt. Aber es ist eine psychologische Barriere, die die Menschen in sich selbst hinein treibt, ihre Lebenswelten immer kleiner werden lässt. Sie leben in die Tiefe, in schmalen Gas gefüllten Schächten ohne Kanarienvögel.
Es ist kein langsamer Abstieg in den Wahnsinn, der in Content konstruiert wird, sondern ein Sturz. Von Anfang an befindet man sich in freiem Fall. Anders als in Hirschls Vorgänger Salonfähig (hier unser Review) ist hier von der ersten Sekunde klar, dass alles bis ins Äußerste überreizt ist. Es geht schließlich auch um einen künstlichen Überfluss wertloser Reize. Das führt bei aller Kreativität und satirischer Treffsicherheit aber im ersten Drittel des Buches dazu, dass sich die Tragik des Tragikomischen nicht so recht einstellen will. Zu schnell kippt die Beschreibung absurden Contents in eine Beschreibung über-absurden Contents.
Ist der Einstieg aber erstmal geschafft, hat man sich in der Zerrspiegelwelt unserer Realtät eingefunden, geraten Lachen und Weinen in Einklang. Zerrspiegelwelt heißt, dass alles was abgebildet wird, ebenso existiert und sich bloß an den extremen Rändern in die Breite zieht, übergroß wird und sichtbar. Von Anfang bis Ende tanzen die Bilder und Szenen ohne Zurückhaltung von einem Höhepunkt in den nächsten ohne großartig in ihrer Intensität ab oder zuzunehmen, weswegen es sich empfiehlt das Buch am besten in einem infernalen Rutsch zu lesen.
Nur ein kurzes Kapitel gegen Ende passt nicht ganz ins Bild. Zwar werden auch hier Konzepte und Ideen satirisch verhandelt, jedoch scheint man plötzlich in eine nüchterne Gegenwart geworfen zu werden, die für die Erzählwelt zu zahm und zu logisch ist. Ein solches Kapitel am Anfang hätte geholfen den Einstieg zu erleichern oder in einem anderen Buch dazu gedient die Charaktere zu entwickeln. Hier aber wirkt es, als wolle man einfach über dieses Thema auch noch irgendwie sprechen und habe es an diese Stelle hineingequetscht. Thematisch ist es dem Rest des Buches zwar nicht fremd, die satirische Argumentation bleibt schlüssig, aber die Integration des Kapitels eckt an sich selbst an.
Content ist ein satirisches Feuerwerk, das alle Absurditäten unseres digitalen Zeitalters in den Himmel schießt und blendend sichtbar macht. Das Buch extrahiert die ganze Tragik des Internetzeitalters, den Schmerz und die Selbstentfremdung und vereinigt sie zu einem wortgewaltigen Untergangsszenario. Erzählerisch erreicht der Roman zwar nicht ganz die Höhen seines Vorgängers, dafür reißt er aber ein noch tieferes Loch ins Selbstverständis der Leserschaft. Das Lachen ist bloß der angenehme Einstieg in Stunden unabwendbarer Selbstreflexion, die die Lektüre von Content auf wunderbare Weise erzwingt.
Titel: Content
Autor: Elias Hirschl
Verlag: Zsolnay
Seiten: 224
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Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.