So geht Fortsetzung! Während viele andere daran scheitern, zeigt Cobra Kai, wie man einen Klassiker so in die Gegenwart hievt, dass ihn die Fans lieben – ohne dass man dafür die Welt dafür neu erfinden muss. Wir erklären euch, warum die Karate-Kid-Serie auf Netflix den Hype um den 80er Kultfilm neu entfacht hat. Unsere Kritik zum Überraschungserfolg.
von Christoph König
Cobra Kai hier, Cobra Kai da. Wer sich derzeit in Netflix-Fangruppen tummelt, wird richtiggehend mit der Serie zugespamt. Dabei ist sie eigentlich eine YouTube-Red-Produktion, die beim Video-On-Demand-Konkurrenten schon im Mai 2018 angelaufen ist. Doch seit die beiden ersten Staffeln mit 28. August auf Netflix laufen – und auch eine deutsche Synchronisation verpasst bekommen haben – erreicht die Serie auch hierzulande ein Massenpublikum und hat das Karate-Kid-Fieber neu entflammt. Mit dem Start der dritten Staffel am Neujahrstag 2021 geht sie nun endlich weiter.
Was steckt hinter dem Phänomen Cobra Kai? Die Serie bedient sich bei ihrem Erfolgsrezept einfacher aber hocheffektiver Zutaten und kann so als Role-Model dienen, wie man bekannten Stoff so neu aufwärmt, dass man die Fans sofort wieder ins Boot holt. Star Wars und Co. dürfen sich gerne ein Stückchen abschneiden. Wir haben für euch 10 simple Gründe, warum diese Serie so gut funktioniert.
Lektion 1 für alle Serienmacher da draußen. Man muss nicht immer mit einer komplizierten Originstory, einer völlig neu inszenierten Fortsetzung oder einem ultrakreativen Spin-off so sehr das Ausgangsmaterial verdrehen, dass der Fan der Urgeschichte nichts mehr damit anfangen kann. Cobra Kai ist ein stinknormales Sequel. Es greift die Handlung und Charaktere der Karate-Kid-Filme auf und kann ihnen durch die 34 Jahre, die inzwischen vergangen sind, einen tollen neuen Drive verpassen.
Ein neuer Cast hat es bei Fans immer schwer. Cobra Kai bedient sich hingegen wieder den zwei Hauptdarstellern Ralph Macchio (Daniel) und William Zabka (Johnny), die auch als Produzenten (neben Will Smith) stark in den Entstehungsprozess eingebunden wurden. Das funktioniert hervorragend und inkludiert gleich den Boulevardmedien-Kick “So sieht Karate Kid heute aus”. Dazu gibt es ein Wiedersehen mit Cobra-Kai-Sensai Martin Kove und Rob Garrison als Tommy.
Es ist die ewige Frage: Muss man die Karate-Kid-Filme gesehen haben, bevor man Cobra Kai schaut? Gut wäre es schon. Aber nein, muss man nicht. Natürlich erfreut sich der Kenner noch mehr an diversen Anspielungen und Elementen, die wieder aufgegriffen werden. Aber Cobra Kai macht es dem Zuseher leicht, indem es einfach Szenen aus den alten Filmen an den richtigen Stellen als Flashbacks platziert. So sind selbst Leute, die Karate Kid nicht gesehen haben oder sich kaum mehr an den Streifen von 1984 erinnern, immer im Bild. Genialerweise wurde auch unveröffentlichtes Material genommen, das beispielsweise Szenen mehr aus Sicht von Johnny zeigt und sich somit noch besser in die Serie einfügt.
Barney Stinson aus How I Met Your Mother wusste es immer schon (hier die Szene zum Nachgucken), in Johnny steckt der wahre Held von Karate Kid. Stand er beim Film mit der Meinung wohl noch recht alleine da, tauscht die Serie tatsächlich geschickt die Rollen. So ist es jetzt Ex-Antagonist Johnny, dem als Loser und Underdog die Sympathien zufliegen. Mit der Gründung eines Dojos will er sich aus der Scheiße ziehen. Während unser Held von einst Daniel als Autohändler-King ein bisserl in die Rolle des abgehobenen reichen Ungustls schlüpft, der Johnnys positivem Wandel mit Ignoranz begegnet. Doch ganz so klar sind die Rollen dann doch nicht verteilt, denn auch er entdeckt wieder sein Herz fürs Wichtige – und der alte Rivale weckt das alte Feuer in ihm und die Sehnsucht nach der Lehre seines verstorbenen Meisters Mister Miyagi. Und so ist das Gute an der Serie, dass sie sich über die recht simple Schwarz-Weiß-Malerei der Filme hinwegsetzt.
Auch die Action bleibt der Linie treu. Zu den Kämpfen im Dojo wird in klassischer Martial-Arts-Film-Manier auch schon mal abseits davon der gute alte Roundhousekick ausgepackt. Wohldosiert freilich. So ist die Freude groß, wenn Daniel im Anzug seinem größten Autogeschäftsrivalen den Smoothie mit einem perfekt platzierten Drehkick aus der Hand schleudert – nur um sich gleich darauf sofort wieder im Griff zu haben. Oder wenn unser neuer Held Miguel im Essensraum den Schulflegeln in Jackie-Chan-Manier eine Abreibung verpasst. Hier haben alle, egal ob junger oder alter Cast, ihre Karate-Hausaufgaben gemacht.
Die Themen bleiben bei Cobra Kai die selben wie bei Karate Kid. Wieder erkämpfen sich Außenseiter mit Kampfsport ihren Platz in der Welt. Wieder gibt es zur Action und den Schmunzelmomenten etwas Teenie-Drama und -Romantik. Einfach gestrickt: Ja. Aber warum am Charme des Originals etwas ändern? Auch der Spagat zwischen Comedy und ernsten Themen funktioniert gut. Der Humor ist erfrischenderweise nicht immer politisch korrekt, andererseits aber gut dosiert und nicht so überdreht, wie in vielen US-Serien üblich. Dennoch nimmt sich die Serie nie zu ernst.
Mit Schaudern erinnern sich viele Star Wars Fans daran, wie Obi Wan in Star Wars VIII das im gereichte Lichtschwert einfach ohne Wimpernzucken über die eigene Schulter die Klippen hinunterschmeißt. Lustig ja. Aber so auf die Geschichte einer Saga zu pfeifen, kommt nicht gut an. Cobra Kai hingegen ehrt das Original mit jeder Karate-gestählten Muskelfaser. Natürlich mit dem Erbe von Ober-Sensai Miyagi oder dem berühmten Stirnband, das in einer wunderschönen Kiste aufbewahrt ehrfürchtig darauf wartet, um den Kopf von Daniel gewickelt zu werden. Nicht fehlen dürfen natürlich auch die berühmten Alltagslektionen vom Autowachsen bis zum Fensterputzen.
Retro ist wieder voll inn. Doch während vielen Produktionen der Retro-Charme künstlich übergestülpt wird, nur um dem Trend zu entsprechen, fügen sich die Retroelemente bei Cobra Kai ganz natürlich in die Serie ein. Denn unsere beiden Hauptdarsteller (vor allem Johnny) sind selber noch ein bisschen in den 80ern stecken geblieben. Da wird der alte Walkman wieder ausgepackt oder der Atari ins Pfandbüro gebracht. Johnnys Kampf mit der modernen Technik ist hochamüsant – und in seine Sehnsucht nach den guten alten Zeiten kann man sich gut hineinversetzen. Richtig genial ist aber die 80er Mucke, mit der Cobra Kai uns emotional sofort wieder in die Zeit von Karate Kid beamt.
Doch neben unseren altbekannten Hauptdarstellern machen auch die neuen Karate-Kids eine ausgezeichnete Figur. Von Johnnys Schüler Miguel (Xolo Maridueña) über Daniels Tochter Sam (Mary Mouser) bis zu Johnnys verlorenen Sohn Robby (Tanner Buchanan) und Eli (Jacob Bertrand), der vom Mobbing-Opfer zum Bad-Ass Punk mit Irokese und Vogel-Tattoo wird. Alle haben sie ihre eigene spannende Geschichte und erweitern die Karate-Kid-Welt um ihre Dimension. Natürlich werden dabei die üblichen Klischees bedient, vom übergewichtigen gehänselten Mädchen, über die schüchternen Nerds bis zur oberflächlichen Cheerleaderin. Doch das nimmt mehr der Serie zu keiner Zeit krumm.
Cobra Kai ist mit seinen 10 Folgen pro Staffel mit jeweils nur 30 Minuten Länge perfektes Bingewatching-Material. Nichts ist künstlich gestreckt, alles kommt gleich auf den Punkt. Und die hochunterhaltsamen Schlussszenen jeder Folge erhöhen den “Eine Folge schau ich noch”-Faktor enorm.
Es muss nicht alles kompliziert gestrickt sein, damit es süchtig macht. Cobra Kai bietet kurzweilige, einfach gestrickte Unterhaltung. Es erfindet das Rad wahrlich nicht neu, macht aber alles richtig und erfüllt damit alle Erwartungen, die Karate-Kid-Fans an einer Fortsetzung haben. Der Netflix-Neuzugang holt aber auch Nicht-Kenner ab und wird garantiert dafür sorgen, dass viele junge Leute sich jetzt die alte Karate-Kid-Saga reinziehen.
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Alle Fotos (c) Netflix
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