Wandern in den Ötschergräben in Niederösterreich ist traumhaft. Aber mit Neoprenanzug und Seil ist es noch intensiver. Das erwartet dich bei einer Canyoning-Tour.
von Christoph Seebacher
Okay. Ein paar Mal bin ich schon durch die Ötschergräben in Niederösterreich gewandert (hier übrigens eine tolle Wandertour mit Zugfahrt durch den Naturpark). Aber als ich höre, dass es dort Canyoning-Touren gibt, muss ich mich ins Wasser stürzen.
Die Ausrüstung wird am Parkplatz ausgegeben. Neoprenanzug, Helm, Klettergeschirr. Max, unser Guide von Canyoning Jack, erklärt ganz kurz was da dranhängt. „Ihr wisst ja wie der Achter funktioniert“, sagt er. Einen Achter hat mein Fahrrad auch – aber der schaut ein bisschen anders aus.
Vielleicht hätte ich doch nicht die Fortgeschrittenen-Tour nehmen sollen? Aber ich schaue in die Runde und scheine nicht der Einzige zu sein, der sich solche Gedanken macht. Ich bin beruhigt. Noch beruhigter bin ich, als Max sagt, dass das Canyoning eh ganz anders als Klettern funktioniert.
Den Jägern ein Dorn im Auge
In Badehose spazieren wir über einen Forstweg. Bei den Gesprächen beginnt das erste Kennenlernen der Gruppe. Max erzählt mir ein bisschen von der Canyoning-Szene in Österreich. Welche Widerstände es vor allem von den Jägern gibt, die sich ja allerorts um ihre Ruhe sorgen. Und dass Max schon einige Routen aus verschiedenen Gründen wieder auflassen musste. Ich denke mir, so gibt es wenigstens ein bisschen Abwechslung.
Nach einer Viertelstunde erreichen wir ein Bächlein, das nett vor sich hintümpelt. Das schaff ich mit meiner Höhenangst und ohne Vorkenntnisse. Wir legen das Equipment an. Schnell noch hinter die Büsche gegangen. Wenn man sich einmal in die Füße des Neoprenanzugs reingekämpft hat, weiß man, dass es mit den Bedürfnissen später nicht mehr so leicht wird.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Und schon stampfen wir durch die Untiefen. Das Rauschen wird lauter und wir kommen zu einer Felskante. Ich wage einen kleinen Blick. Da geht’s schon mal ganz nett runter. Die 15 Meter sind aber durchaus machbar. Max wirft ein Seil um einen Baum. Erstmal Canyoning-Trockentraining an einer kleinen Böschung. Jetzt lerne ich den Achter kennen und dass ich mich selbst mit einer Hand halten kann. „Aktiv Abseilen“ nennt man das. Zusätzlich werde ich von einem anderen der Truppe gesichert. Wenn ich mich umschaue, schauen glücklicherweise alle sehr vertrauenswürdig aus.
Beim ersten Abstieg dränge ich mich natürlich nicht vor. Ich schau mir das Ganze von der Weite an. Aber es hilft nichts. Ich muss ja auch irgendwie runter. Also hänge ich mich in die Seile. Beide Hände am Seil, schulterbreit hinstellen und immer mit der ganzen Sohle auftreten. Schritt für Schritt.
So viel zur Theorie. Noch bevor ich über die Kante bin, rutsche ich aus. Na, das geht super los. Kaum bin ich am Fels, geht es aber wie von allein. Wozu gibt es sonst die Schwerkraft? Runter kommen sie alle. Nur Max springt dreimal und schon ist er unten. Beeindruckend!
Die ersten 15 Höhenmeter gehen ganz gut. Irgendwie scheine ich es eilig zu haben. Denn beim nächsten Wasserfall stehe ich plötzlich ganz vorne. Da geht’s schon etwas steiler zur Sache. Als Erster wird man nicht von unten, sondern von oben gesichert. Max hält mich. Also rein in die Wand.
Diesmal mache ich aber nicht den Fehler und greife mit beiden Händen vor den Körper. Das Einzwicken vorhin hat ganz schön weh getan. Noch suche ich Halt auf den rutschigen Felsen. Das nächste Mal mehr nach hinten lehnen und die Füße stärker gegen den Felsen stemmen. Den letzten Meter springe ich ins tiefe Becken.
Schnell raus aus dem Wasser und die Seile ausgehängt. Jetzt bin ich dran, den nächsten zu sichern. Max zeigt mir, ich solle das gelbe Seil nehmen und hebt den Daumen. Konzentriert bestätige ich mit meinem Daumen. Die Nächsten hängen nun in meinen Händen.
Ich kann den Leuten ansehen, wie sie sich freuen, wenn sie die Wand geschafft haben und aus dem Wasser steigen. Max macht seine drei Sätze und schon geht’s weiter.
Als nächstes kommt ein Sprung. Fünf Meter in ein großes Becken. Euphorisch gehe ich zur Absprungstelle. Mist. Ich hätte nicht nachdenken, sondern einfach springen sollen. Natürlich will ich aber nicht als Feigling dastehen und springe trotzdem. Erstaunlich wie warm der Neoprenanzug hält. Nur schwimmen kann man damit schlecht … aber untergehen dafür auch nicht. Als ich aus dem Wasser steige sehe ich, wie uns dutzende Wanderer verwundert zuschauen.
Unter einer Brücke gehen wir nun auf den Lassingfall zu. Zum Glück kann ich noch nicht sehen, wie weit es da runter geht. Wir machen das Ganze in Etappen.
Eine Schlaufe durch den Achter und in den Karabiner einhängen. Mehr oder weniger elegant abseilen. Sichern und zusammenwarten bis die Gruppe wieder vollständig ist. Es bleibt genug Zeit, die anderen kennenzulernen und sich über die jahrelangen Canyoningerfahrungen auszutauschen.
Ich merke, wie ich von Fall zu Fall geübter werde und Vertrauen in die Sicherung bekomme. So konzentriert wie ich ans Werk gehe, vergesse ich sogar meine Höhenangst. Das braucht es auch. Denn schon kommen wir zu einem 35 Meter Wasserfall, bei dem wir uns mittendrin abhängen und die letzten Meter springen müssen. Kein Problem für einen alten Hasen wie mich.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Wir seilen uns immer weiter ab. Die Felswände um uns herum werden immer höher und die Sonne verschwindet langsam. Am Ende des Wasserfalls angekommen stampfen wir noch ein Stückchen durch den Bach. Uns erwartet noch der Abschlusssprung. Wir klettern ein Seil hinauf und stürzen uns dann sieben Meter in die Tiefe.
Wir steigen aus dem Bachbett. Befreien uns von den Neoprenanzügen und machen uns auf den Rückweg. Auf dem Trampelpfad gehen wir noch einmal die Wasserfälle entlang. Als ich vor fünf Jahren an der selben Stelle gewandert bin, hätte ich mir nicht gedacht, dass ich mich da runter haue.
Vor diesem Panorama wird man fast ein bisschen stolz auf sich. Auch wenn ich mir in Badehose und Neoprenanzug auf der Schulter vor den ganzen Leuten in Wandermontur ein bisschen fehl am Platz vorkomme.
Facts: Zum Canyoning braucht es nur Badekleidung und gutes Schuhwerk mit rutschfester Sohle. Die restliche Ausrüstung bekommt man.
Erfahrungen im Klettern oder Canyoning sind selbst bei der Fortgeschrittenen-Tour nicht unbedingt erforderlich. Dennoch sollte man trittfest und körperlich nicht ganz untrainiert sein. Beim Zusammenwarten gibt es genug Erholungsphasen.
Die gesamte Runde dauert gut 6 Stunden. Rund 4 Stunden ist man am Wasserfall.
Preise: Von Canyoning Jack werden in der Umgebung verschiedene Touren mit unterschiedlichen Preisen und Schwierigkeitsgraden angeboten. Details hier.
Anreise mit dem Auto: aus Wien kommend rund 1 ½ Stunden über die A1 Westautobahn bis St. Pölten und weiter über Lilienfeld und Annaberg zur Ötscherbasis. Von Süden am besten mit der S6 über Mürzzuschlag und Mariazell.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln: am besten die idyllische Mariazellerbahn nehmen. Die Fahrt vom Hauptbahnhof St. Pölten bis Wienerbruck dauert 2 Stunden, bietet aber ein schönes Panorama.
Fazit: Die wunderschönen Ötschergräben sind sowieso immer einen Besuch wert. Sie einmal aus einer anderen Perspektive kennenzulernen ist ein besonderes Erlebnis. Es macht wahnsinnig viel Spaß, sich in die Tiefe zu stürzen. Auch wenn es ab und zu ein bisschen Überwindung braucht, wird man im Laufe der Tour immer sicherer.
Fotos: heldenderfreizeit.com; canyoningjack.at
Christoph ist Multimedia-Profi und Cross-Media-Redakteur im Parlament. Sein Repertoire bei den Helden der Freizeit reicht von actionreichen Sportvideos über DIY- und Rezepttipps bis zu Reviews.