Halle Berry ist zurück. Wenn auch auf der kleinen Leinwand. In ihrem Regiedebüt Bruised tritt sie als vom Leben enttäuschte Mixed Marial Arts Kämpferin auf, die sich nach jahrelanger Abwesenheit wieder in den Ring zurückkämpft.
von Susanne Gottlieb
24. November 2021: Ein Star (weit über die eigene Disziplin hinaus), der sich nach jahrelanger Abwesenheit wieder in die A-Liga zurückkämpfen möchte – fast könnte man meinen, man würde eine Biographie über Halle Berry lesen. Um die erste schwarze Frau, die einen Oscar gewann und eine der größten Hollywood-Stars der 00er Jahre, war es in letzter Zeit etwas ruhig geworden. Die Filmauftritte wurden seltener, das Drama mit ihren Expartnern und Männern Gabriel Aubry und Olivier Martinez bestimmte vielmehr die Schlagzeilen. Nun beweist Berry aber, dass sie nie wirklich weg war. Und legt neben der intensiven Hauptrollendarstellung auch gleich noch ihr Regiedebüt hin.
In Lockdown-Zeiten begeben wir uns also wieder zurück auf die Streamingplattformen und verraten euch, was der Netflix-Film kann. Zu sehen ist er ab heute. Ebenfalls gerade komplett online gegangen – das hervorragende Arcane (hier 7 Gründe, es sich anzuschauen) und Cowboy Bebop (hier unser Review).
Nachdem sie bei einem MMA (Mixed Martial Arts) Kampf Panik bekommen hat und aus dem Käfig geklettert ist, hat sich der ehemalige Star Jackie Justice (Halle Berry) im Leben dahintreiben lassen. Stets am Trinken und ohne Ambitionen, schlägt sie sich als Putzkraft durch, lebt in einer toxischen Beziehung mit ihrem Manager Desi (Adan Canto) und vermeidet ihre nicht minder problematische Mutter Angel (Adriane Lenox). Doch kurz darauf wird ihr Leben komplett umgeworfen, und so etwas wie eine zweite Chance auf Glück ergibt sich.
Nachdem Jackie in einem Underground Club eine Kämpferin zusammengeschlagen hat, bietet ihr der MMA Ligabesitzer Immaculate (Shamier Anderson) an, sich in seinem Verband wieder hochzukämpfen. Gemeinsam mit Trainerin Buddhakan (Sheila Atim) beginnt Jackie wie besessen zu trainieren. Gleichzeitig steht plötzlich ihr sechsjähriger Sohn Manny (Danny Boyd jr.) wieder vor ihrer, den sie nach der Geburt bei seinem Vater abgesetzt hatte. Die Verantwortung für den traumatisierten Jungen lässt sie überdenken, wie sie ihr eigenes Leben lebt und leben möchte. Doch die Vorbereitung auf den Kampf gegen UFC Champion Lady Killer (Valentina Shevchenko) und die immer brutaler werdende Beziehung zu Desi fordert fast ihre gesamte Aufmerksamkeit und Energie.
Wer mit der Stehaufmännchen-Plotstruktur des allgemeinen Sportfilms vertraut ist, sollte sich in diesem Drama nicht allzu viele Überraschungen erwarten. Bruised besticht weniger wegen seiner einzigartigen Stimme oder Handlungsverlauf. Es bietet dem Zuschauer aber ein solide gemachtes Sportdrama, das altbekannten Töne anschlägt. Halle Berry beweist ein Händchen für den Platz hinter der Kamera. Ihr Debüt ist ein rauer, ungeschönter Bilderrausch, der eher an einen kleinen Indiefilm erinnert, als ein auf Hochglanz poliertes Hollywooddrama. Die ärmere Gegend von Newark, New Jersey, in der die Geschichte angesiedelt wird, schaut verbraucht, dreckig und uneinladend aus. Die Häuser, Trainingscenter und Straßen sind bewohnt und abgenutzt. Der großteils African American und Latino Cast spiegelt die ungeschönte Realität dieser Gegenden. Eine Ecke, in der das weiße Amerika seine verarmten People of Color abgeladen hat.
Dennoch versucht der Film hier nicht Gesellschaftskritik zu formieren oder auf das gröbere Ganze zu schielen. Es ist kein Kampf mit den eigenen Umständen, sondern der interne Kampf Jackies mit sich selber. Mit dem Trauma ihrer Kindheit, das an einem Punkt im Film schonungslos dargelegt wird, mit dem Trauma ihres Ausstiegs aus dem Sport, der ihr so viel Häme gebracht hat, und dem Trauma, einst ihr eigenes Kind weggegeben zu haben. Jackie selber sieht sich nicht als wertvoll genug, gute Dinge im Leben zu haben. Ihre Reise zurück in den Käfig ist somit nicht nur davon beseelt es allen nochmals zu zeigen. Es ist auch eine Reise zu Selbstakzeptanz, Liebe und der Suche nach einer Aufgabe im Leben.
Dass der Film in dieser durchaus anspruchsvollen Reise immer wieder altbekannte Symbolismen und Handlungsmotive benutzt, macht ihn zwar nicht schlecht, aber etwas vorhersehbar. Die Emotionen, die er dadurch wecken will, wirken in diesen Momenten vorprogrammiert und nicht verdient. Zudem hätte es sich das Skript auch erlauben können, ein wenig genauer auf seine Nebenfiguren einzugehen. Zwar bekommt man ein wenig Einblick in Buddhakans Vergangenheit, immerhin teast sie es sei eine “short story”, aber der Rest des Casts existiert teilweise nur, um einen gewissen Plotpoint oder Stereotyp zu erfüllen. Der narzisstische und aggressive Desi, von dem sie sich lossagen muss, der stets auf Erfolg getrimmte, unnachgiebige Immaculate, die exzentrische Mutter, die zwischen gutes Herz und Egoismus pendelt. Der Film geht nicht einmal genau darauf ein, warum Jackie damals ihr Kind aufgegeben hat. Zwar kann man sich selbst einen Reim darauf machen, doch eine verbale Auseinandersetzung hätte der Charakterentwicklung nicht geschadet.
Wo Bruised am meisten punktet, sind die superben Darstellungen der Schauspieler. Berry hat sich nicht nur beeindruckende Muskeln antrainiert, sie findet sich auch problemlos in die Dramatik des emotionalen Zusammenbruchs Jackies ein, dem Trauma, das immer wieder an die Oberfläche tritt. Der stets korrekte, aus Designated Survivor bekannte Adan Canto gibt hier das klassische, zutätowierte Ekel von einem Partner. Und Sheila Atim versteht es, auf Zen zu machen, ohne hier in allzu problematische Stereotype zu verfallen. Ihre Chemie mit Berry ist unübersehbar und gibt dem Film Herz, wann immer das Drama zu schwer wiegt.
Bruised mag nicht die nächste Offenbarung in der Kategorie Sportfilm sein, garantiert aber eine bewegende, gut gemachte Unterhaltung für die nächsten Tage daheim.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.