Rassistisch, frauenfeindlich, antisemitisch und ordinär. Noch schockierender als Borat sind wieder die echten Amerikaner, die sich mit der Satire-Figur verbünden und ihr krudes Weltbild offenbaren. Das mag im Trump-Amerika weniger überraschen als noch 2006. Mit einer genialen Mitstreiterin und einem “handfesten” Skandal um Präsidenten-Anwalt Rudy Giuliani gibt Sacha Baron Cohen dem Nachfolgefilm aber einen eigenen Drive. Ob das genug Argumente sind, Borat 2 auf Amazon Prime zu sehen, lest ihr in unserem Review.
von Patrick Meerwald & Christoph König
23. Oktober 2020: Polarisieren und provozieren steht bei ihm noch immer an der Tagesordnung. Sacha Baron Cohen bringt mit Borat 2 nach 14 Jahren den kasachischen Chaosreporter wieder zurück – diesmal aber nicht ins Kino, sondern zum Streamingdienst Amazon. Übrigens zum selben Zeitpunkt, indem er im sehr gelungenen Trail of the Chicago 7 auf Netflix und im Kino (hier unser Review) gerade beweist, wie gut ihm auch ernste Rollen stehen.
Seit dem 23. 10. läuft der Borat Anschluss-Moviefilm exklusiv auf Amazon Prime. Der Originaltitel Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan verrät schon einiges vom Plot. Für die Fortsetzung der Mockumentary spielt der Brite in gewohnter Manier mit den Grenzen des guten Geschmacks – und bringt mit den Reaktionen der realen Personen die dunklen Seiten des konservativen Amerika zum Vorschein. Schockiert das 2020 noch so wie 2006, wo doch Präsident Donald Trump fast täglich in diese Richtung vorprescht? Und wie löst Borat das Problem, dass seine Figur von damals heute von jedem auf der Straße erkannt wird? Alles dazu erfahrst du in unserer Borat 2 Kritik.
Der ehemalige kasachische Reporter Borat Sagdijev ist bei seinem Volk nach seinem ersten Trip in die USA in Ungnade gefallen. Die Strafe sind öffentliche Erniedrigungen und zwangsweises Schuften im Arbeitslager. Doch plötzlich ändert sich alles, als ihm das kasachische Staatsoberhaupt den Auftrag gibt, einen Affen als Geschenk in die USA zu bringen, damit er sich mit Donald Trump anfreunden kann. Weil eine Audienz für Borat beim Präsidenten eher unwahrscheinlich ist (denn das letzte Geschäft, das er vor dem Trump Tower abschloss, erledigt man normalerweise am Klo), versucht er sein Glück über Vize Mike Pence. Mit im Gepäck ist – zu Borats Überraschung – nicht der Affe, sondern seine 15-jährige Tochter Tutar (gespielt von der 24-jährigen Bulgarin Maria Bakalova).
Ist sie als Geschenk würdig genug? Borat hat seine Zweifel, ist doch ein sauberer Käfig das Beste, das sich Frauen in seiner Heimat erhoffen dürfen. Borat hat aber keine andere Wahl als es herauszufinden, droht ihm Kasachstan doch mit der Exekution. Kühe und Seile stehen schon bereit.
Ohne Rücksicht auf Verluste, nie zu Schade, in das nächste Fettnäpfchen zu treten: Borat 2 bleibt dem Stil des Vorgängers treu. Die vulgäre, sexisitische Haltung der Hauptfigur überschreitet wieder im Minutentakt die Grenze des erträglichen. So erscheint Borat verkleidet als Donald Trump bei einer offiziellen Wahlveranstaltung von Michael Pence, um diesen dort sein Geschenk zu überreichen. Dort ruft er mehrfach: “Michael Penis, I brought a girl for you.” Mit der darauffolgenden Eskortierung aus dem Saal ist das Ziel des Filmteams erreicht.
Sacha Baron Cohen lässt wieder nichts aus. Wer auf politische Korrektheit in seiner Wortwahl und seinem Handeln hofft, erlebt auch bei Borat 2 mehr Schockmomente, als in jedem Horror-Jump-Scare Movie. Es lohnt sich während der ganzen 96 Minuten nicht darüber nachzudenken, ob es in Sachen Humor noch schwärzer oder tiefer geht. Es geht, das beweist der Film mehrfach.
Borats geniale Partnerin in Crime ist diesmal seine Tochter Tutar. Sie ist im Gegensatz zu Borats Manager Azamat aus Teil 1 weit mehr als ein netter Sidekick. Mit ihr löst der Film charmant das Problem, dass Menschen, die Borat schon aus dem ersten Film kennen, der Figur nicht mehr auf dem Leim gehen. Verschwörungstheoretiker, bei denen sich Borat mehrere Tage einquartiert, einmal ausgenommen. Freilich schafft es Cohen, als dicker US-Hinterwäldler verkleidet, sich wieder unbemerkt unter Massen von Republikanern zu mischen, die großen Schockmomente im Film liefert aber Tutar. Satirisch extrem überzeichnet wird mit ihr das Thema Emanzipation gelungen transportiert: Abtreibung, Selbstbefriedigung, Menstruation und die Rolle der unterdrückten Frau.
Borat und Tutar reiben den Menschen ihr rückständiges Weltbild unter die Nase. Noch mehr als die Aktionen des Duos, schockieren aber wieder die Reaktionen der realen Personen vor der Kamera. Denn sie stellen solche Ansichten meistens gar nicht in Frage. Vielmehr fühlen sie sich oft in ihren Ideologien bestätigt und zeigen ihre wahre Seite, nachdem die Höflichkeiten einmal ausgetauscht sind. Der eine empfiehlt bei der Vernichtung von Zigeunern den großen Gaskanister statt den kleineren zu nehmen, die andere verziert eine Torte mit einem antisemitischen Spruch, ohne mit der Wimper zu zucken.
Den Vogel schießt aber Rudy Giuliani ab, immerhin ehemaliger Bürgermeister von New York und Trumps Anwalt. Eine Szene mit ihm könnte zum (im wahrsten Sinne des Wortes) handfesten Skandal ausarten. Wir wollen euch nichts spoilern, lasst euch überraschen.
Andererseits werden viele Personen auch von ihrer positiven menschlichen Seite gezeigt – trotz ihrer mitunter zweifelhaften Weltanschauung. Sie meinen es gut mit Borat und Tutar, nehmen sich ihrer an. Dass diese Szenen nicht dem Cut zum Opfer gefallen sind, tut dem Film gut und macht ihn etwas vielschichtiger. Und mit der geskripteten Vater-Tochter-Beziehung, die sich als Hauptthema über den Film spannt, transportiert Borat 2 – auch wenn er sehr simpel ist – immerhin eine positive Grundmessage. Etwas mehr sogar als sein Vorgänger.
Tatsächlich wirkt Borat 2 auf den ersten Blick wie eine schier endlose Ansammlung pietätloser Sprüche und Aktionen. Wer den teils pupertierenden Holzhammer-Humor von Teil 1 schon plump fand, wird sich auch mit dem Nachfolger nicht anfreunden. Beim genauer Hinsehen liegt die Leistung aber wie beim Vorgängerfilm darin, die tiefsten Abgründe ans Tageslicht zu befördern, die in Borats nichtsahnenden Gesprächspartnern schlummern. High Five! Wer mit Borat einschlägt, outet sich wieder als Frauenfeind, Antisemit oder Rassist.
Die scheinbare Leichtigkeit, mit der Sasha Baron Cohen den realen Gesprächspartnern diese Seiten entlockt, ist beeindruckend. Doch das alles kennen wir schon aus dem ersten Teil. Auch die einfach gestrickte Handlung überrascht kaum. Was gibt es also noch für Gründe, sich Borat 2 anzuschauen? Da ist einerseits Bakalova als Tutar. In ihr hat Cohen die perfekte Komplizin gefunden hat. Sie beschert der Story einen neuen Drive. Und andererseits ein Rudy Giuliani, der in das größte Fettnäpfchen tritt.
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Alle Bilder: © Courtesy of Amazon Studios
Der Wiener Journalist ist seit 2016 Musik-Ressortleiter bei heldenderfreizeit.com, schreibt für diverse Musikfachmedien wie Stark!Strom berichtet dabei über Konzerte, Neuerscheinungen, führt Interviews und erstellt Besten- und Playlisten zu den Top-Liedern von Musikstars.