Mit dem Blair Witch Spiel ist dem polnischen Bloober-Studio ein höchst immersives Horrorgame mit innovativen Gameplay-Mechaniken gelungen. In unserem Review lest ihr, warum ihr euch auch im Black Hills Wald verlaufen solltet.
31. August 2019: Nachdem das polnische Entwicklerstudio Bloober schon mit dem Horrorspiel Layers of Fear 2016 einen Überraschungshit gelandet hat, durften sich die Polen jetzt eines prestigeträchtigen Namens annehmen. Denn ihr neuestes Spiel verschlägt die Spieler tief in die Wälder von Black Hills, in denen die Blair Witch ihr Unwesen treibt. Die Entwickler nutzen dabei geschickt die vom Kultschocker etablierte Geschichte und geben dem Spiel ihre persönliche Note. Denn der Protagonist Ellis wird von seiner dunklen Vergangenheit geplagt. Im Endeffekt weiß der Spieler nie, ob einem gerade die Hexe böse mitspielt, oder der Protagonist immer weiter seinem Wahn verfällt.
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Als 1996 ein kleiner Junge im Black Hills Wald in Maryland als vermisst gemeldet wird, stürzt sich der ehemalige Polizist Ellis auf die Gelegenheit, wieder etwas Gutes für die Welt zu tun. Zusammen mit seinem treuen Gefährten, dem Schäferhund Bullet, bildet er die Nachhut des Polizei-Suchtrupps und nimmt die Spur des Vermissten auf. Aber statt auf das Kind stößt Ellis im Wald auf verstörende Reliquien.
Der Spur des Jungen folgend, verliert er sich tiefer und tiefer in den endlosen Wäldern von Black Hills. Gleichzeitig fällt es ihm so fern der Zivilisation immer schwerer, die Realität von seinen PTSD-induzierten Wahnvorstellungen zu unterscheiden. Denn Ellis wird nicht nur von der Blair Witch heimgesucht, sondern auch von den Konsequenzen seines Handelns während seines Dienstes bei der Armee und der Polizei.
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Im Gegensatz zu Horrorspielen wie Resident Evil und Co. wird dem Spieler bei Blair Witch keine Waffe in die Hand gedrückt. Stattdessen muss er sich ganz und gar wehrlos durch die Wildnis des Black Hills Waldes schlagen. Das Ziel des Blair Witch Spiels ist denkbar einfach: Den vermissten Jungen zu finden. Doch nach und nach tun sich immer mehr Mysterien auf, die gelöst werden müssen.
Dabei helfen allerlei technische Hilfsmittel wie etwa der Camcorder. Der verfügt über die übernatürliche Kraft, die Gegenwart zu verändern, indem man Videos bis zu bestimmten Zeitpunkten zurück oder vor spult. Praktischerweise hat er außerdem eine Nachtsichtfunktion, falls die Taschenlampe mal spinnt. Verglichen mit anderen Horrorspielen sind die Geräte angenehm zu bedienen, denn sie haben keine Batterien, die ausgewechselt werden müssten. Dementsprechend kann man sorglos und ohne Zeitdruck Videotapes immer wieder anschauen und sie auf Hinweise untersuchen. Auf Ellis Handy lässt sich übrigens derKlassiker der Handyspiele überhaupt spielen: Snake.
Immer an Ellis Seite ist der Sonnenschein des Blair Witch Spiels: Bullet. Der aufgeweckte Rüde leitet sein Herrl mit seiner Spürnase durch den Wald und das Spiel. Das Schönste dabei ist, dass man ihm sogar streicheln und ihm Leckerlis geben kann. Das sind freilich nicht die einzigen Interaktionsmöglichkeiten mit ihm. So kann er Fährten aufnehmen oder Dinge ausgraben und vor Gefahren warnen. Tadeln darf man ihn auch, aber bei so einem guterzogenen und vor allem flauschigen Hund wie Bullet wäre das schon sehr herzlos.
Raffiniert an dieser Spielmechanik ist, dass Ellis‘ mentale Stabilität von Bullet abhängt. Entfernt er sich zu weit von seinem Hund, verfällt er in Panik: Sein Puls steigt, seine Sicht wird schwammig und alles rauscht. Dementsprechend nervös wird man auch als Spieler, wenn Bullet im Dickicht des Waldes verloren geht und man ihn nur noch aus der Ferne hört. Die Erleichterung ihn wiederzufinden ist dafür umso größer. Die Entwickler vermitteln die Emotionen von Ellis auf absolut meisterliche Weise an den Spieler.
Bereits mit Layers of Fear haben die Entwickler von Bloober bewiesen, dass sie ein Händchen dafür haben, psychische Krankheiten und den langsamen Weg in den Wahnsinn eindrücklich darzustellen. Auch bei Blair Witch können sie diese Stärke wieder ausspielen. Wirkt Ellis am Anfang einfach nur etwas schrullig und emotional unzugänglich, driften Spieler im Verlauf des Games immer tiefer in die Abgründe seiner Psyche ab.
Erschreckende Erkenntnis: Ellis läuft nicht einfach nur im Wald der Blair Witch im Kreis, nein, auch in seinem Kopf werden die Kreise immer enger und enger. Immer öfter vermischen sich im Spiel Realität und Halluzination. Mitten im Wald stehen plötzlich Kriegsruinen und Bunker. Polizeisirenen dröhnen mitten im Nirgendwo.
Traurig stimmt hier nur, dass Ellis‘ Psyche und seinen Kriegsflashbacks eine so viel größere Bedeutung beigemessen wird als den Machenschaften der Hexe. Hier vermischen sich zu viele Ideen in zu kurzer Spielzeit. Vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass das Spiel Blair Witch heißt. Trotzdem fängt es vor allem am Anfang die Atmosphäre des Ausgangsmaterials sehr gut ein.
Denn spätestens, wenn man im Spiel zum vierten Mal am selben Ort vorbeikommt, obwohl man nur geradeaus marschiert ist, beginnt man zu verstehen, was in den Studenten im Film von 1999 wohl vorgegangen ist. Das Gefühl der kompletten Orientierungslosigkeit verstärkt sich umso mehr, wenn Bullet eine Spur aufnimmt und durch das Unterholz davonläuft. Dem Spieler bleibt dann gar nichts anderes übrig, als dem Vierbeiner blind zu vertrauen und den schönen, ausgetretenen Pfad hinter sich zu lassen, um tiefer in den Wald vorzudringen.
Dabei muss Bloober für das Map-Design ein Lob ausgesprochen werden. Denn die Map scheint endlos weit. Größere Bereiche wechseln sich mit einigen linearen Strecken ab. Aber so richtig die Orientierung hat man als Spieler nie. Vor allem in der Dunkelheit kommt man sich sehr klein vor, wenn man nur mit dem kleinen Lichtkegel der Taschenlampe bewaffnet durch den Black Hills Wald zieht. Bedrohliche Bäume ragen empor und im dornigen Gebüsch raschelt und knackt es verdächtig. Das Sound-Design ist wirklich schauerlich gut. Man wagt gar nicht, sich genauer anzuschauen, was da so rumkreucht.
Denn die Blair Witch ist nicht das einzige, was den Wald heimsucht. Auch Monster schleichen herum. Dabei bleibt bis zum Ende unklar, welche davon real sind und welche Ellis nur halluziniert. Manche von ihnen kann man mit dem Licht der Taschenlampe verscheuchen, aber den meisten gegenüber ist man machtlos. Dementsprechend muss man sich an ihnen bestmöglich vorbeischleichen, während die Musik immer bedrohlicher und zermürbender wird.
Blair Witch ist ein atmosphärisches Horror-Spiel, das einen nicht von der Leine lässt. Denn die Entwickler vermitteln durch tolle Maps und eine grandiose Soundkulisse genau das Gefühl, das einem schon beim Film Schauer über den Rücken laufen ließ: Verloren im Wald, ganz ohne Orientierung und Zeitgefühl fühlt man sich ganz und gar ausgeliefert.
Genau wie im Film startet alles ganz harmlos, aber dann steigert man sich gemeinsam mit Ellis immer weiter in den Wahnsinn hinein. Der einzige Wermutstropfen am Spiel: Der Blair Witch und ihrem übernatürlichen Horror hätte man ruhig etwas mehr Showtime gönnen können. Ansonsten fällt unser Test-Fazit ausgesprochen positiv aus.
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Aufmacherfoto: © bloober
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.