Sie war schon lange vor Captain Marvel, Scarlet Witch, Wasp und all den anderen weiblichen MCU-Superheldinnen im Einsatz. Black Widow, dargestellt von Scarlett Johansson, gab in Iron Man 2 2010 ihr Debüt. Stets als Nebenfigur in den meist männlich angeführten MCU-Knallern aufgeboten, wurden schon bald Rufe nach einem Solo-Abenteuer laut. Das hat die Figur nun, mit einem Jahr Corona-Verspätung, bekommen.
von Susanne Gottlieb
8. Juli 2021: Beinahe hätten wir Emily Blunt nicht nur als stille Matriarchin in A Quiet Place 2 gesehen, sondern auch als schlagkräftige russische Geheimagentin Natasha Romanoff, auch bekannt als Black Widow. Doch Blunt war aufgrund eines anderen Films verhindert, die Rolle ging an Scarlett Johansson. Der Rest ist bekannt. Von einer Nebenrolle in Iron Man 2 stieg sie zu einem der Urmitglieder der MCU-Avengers auf und hatte in sämtlichen Einzel-und Gruppenauftritten der Superhelden eine entscheidende Rolle. Doch während ein männlicher Held nach dem anderen (man denke an Thor, Captain America, Doctor Strange oder Spiderman) seinen Solo-Movie bekam, war Natasha stets nur als Beiwerk in einer Nebenrolle zu sehen.
Ein Umstand, der Fans bald sauer aufzustoßen begann. Ob Marvel nicht wisse, wie man mit weiblichen Hauptfiguren umginge, war bald die Gretchenfrage, die im Raum stand. Eine Debatte, mit der sich auch Saturday Night Live in seinem inzwischen legendären Black Widow – Age of Me Sketch durchaus süffisant auseinandersetzte. Im Endeffekt bekam auch Neuzugang Captain Marvel zuerst ein Solo-Abenteuer, was zahlreiche misogyne Brie Larson-Hasser dazu motivierte, Natashas ewigen Supporting Act als Argument gegen Carol Danvers zu verwenden.
Nun, nachdem wir eigentlich schon wissen, dass sich Natasha in Avengers Endgame (2019) auf dem Planeten Vormir für einen der Infinity Stones geopfert hat, hat sie zum Auftakt von Phase 4 des MCU noch einen eigenen Film bekommen. Dieser startet heute (8. 7. 2021) mit reichlich Corona-Verspätung endlich im Kino und ab morgen (9. 7. 2021) gegen Gebühr auf Disney+. Aber kann man ihm, all die Jahre später, überhaupt noch etwas abgewinnen? Wir verraten es euch hier.
Im Jahr 1995, zu jener Zeit als Captain Marvel gemeinsam mit Nick Fury ihre Kräfte entdeckt, lebt auch die 13-jährige Natasha (als junges Mädchen Ever Anderson – Milla Jovovichs Tochter) mit ihrer “Schwester” Yelena und ihren “Eltern” Alexei (David Harbour) und Milena (Rachel Weisz) in Ohio. Doch die Undercover Mission der russischen Agenten fliegt auf. Mit knapper Müh und Not entkommen die vier, verfolgt von SHIELD, nach Kuba. Dort werden die beiden Mädchen zurück in den Red Room geschickt, eine Ausbildungsstätte für Black Widows, geführt von dem sadistischen Dreykov (Ray Winstone).
In der Gegenwart hat diese Zeit im Red Room Natasha zu der Kämpferin gemacht, die wir alle kennen. Zeitlich angesiedelt nach den Ereignissen von Captain America: Civil War (2016) ist Natasha auf der Flucht vor Thaddeus Ross (William Hurt) und dem Staat, da sie gegen das Sorkovia Abkommen verstoßen hat. Inmitten ihres Plans unterzutauchen taucht aber plötzlich Yelena (Florence Pugh) wieder auf. Und mit ihr im Gepäck ein Haufen Probleme aus der Vergangenheit. Und obwohl Natasha nur ungern an ihre “erste Familie” vor den Avengers zurückdenkt, scheint es an der Zeit, die alte Truppe wieder zusammenzutrommeln. Wenn auch nur, um ein für alle mal mit der Vergangenheit abzuschließen.
Nach all dem jahrelangen Warten nun also gleich zur eigentlichen Frage, die im Raum steht. Hat sich 2021 noch ein Black Widow Film belohnt gemacht? Kann dieser sich noch entscheidend in die MCU Storyline einbringen? Die ehrliche Antwort – nicht unbedingt. Klar ist es schön, dass Natasha endlich selber die Hauptrolle spielen darf. Als Stand Alone funktioniert es auch sehr gut, da es sich um ein abgeschlossenes Ereignis dreht. Wirklich das MCU weiterentwickeln kann der Film aber nicht mehr. Als Captain Marvel als Film im Jahr 1995 angesiedelt wurde, war das mit Voraussicht darauf, dass Nick Fury sie am Ende von Infinty War um Hilfe angefunkt hatte, und ihre Figur eine tragende Rolle in Endgame spielen würde. Zudem wird Carol auch in Phase 4 des MCU noch aktiv sein. In ihrem Sequel The Marvels wird sie gemeinsam mit anderen weiblichen Superheldinnen eine Hauptrolle spielen.
Ebenso hat sich die Handlung bereits weitgehend verschoben. Wir stehen vor dem Anfang des Multiverse. Man denke an den Titel des neuen Doctor Strange Films “Multiverse of Madness”. Doch spätestens seit der MCU Serie Loki ist klar, welche neuen Türen hier aufgestoßen werden. Wir leben in einer Post Infinity Gauntlet Zeit, in der die heiß umkämpften Infinity Stones in der Time Variance Authority nur mehr als Briefbeschwerer dienen. Der Fokus, könnte man sagen, ist inzwischen woanders. Black Widow kommt daher leider eher wie ein Relikt daher. Man könnte argumentieren: Das Einzige, das Black Widow wirklich tut, außer Natasha endlich späte Gerechtigkeit zu geben, ist ihre Nachfolgerin Yelena einzuführen. Ebenfalls eine Black Widow, ist ihr Auftritt in der nächsten MCU Serie Hawkeye bereits angekündigt worden. Wie groß ihre Rolle insgesamt wird, lässt sich noch nicht abschätzen.
Da es sich hier um eine weibliche Hauptfigur handelt, kann der Film aber natürlich gar nicht anders als auch ein bisschen Genderpolitik zu betreiben. Bei Captain Marvel ging es darum, dass Frauen ihre eigene innere Stärke haben, und sich von niemanden einreden lassen sollen, weniger wert zu sein. Hier geht es ziemlich unkaschiert um das Recht der Frau am eigenen Körper und eigene Entscheidungen. Der altbekannte Fakt, dass die Black Widows keinen Uterus mehr haben, wird ebenso thematisiert, wie die Indoktrinierung, die einen den eigenen Willen nimmt. Junge Mädchen, in späterer Folge Frauen, werden von Dreykorn als Ressourcen gesehen, “von denen die Welt einen Überfluss hat”.
Das mag zwar die eine wichtige Botschaft in sich tragen, aber wirkt einfach oft zu plastisch und faul aufgetackert. Vor allem, wenn eines der offensichtlich großen Vorbilder, James Bond, Chauvinist vom Dienst ist. Wer Roger Moores Moonraker – Streng geheim (1979) mochte, der wird mit diesem Film seine Freude haben. Ebenso oberflächlich wirkt die Figur des Red Guardian. Nachdem das MCU viel Zeit darin investiert hat (man denke nur aktuell an The Falcon and the Winter Soldier) zu zeigen, wie zerstörerisch es sein kann, ein Supersoldier zu sein, ist diese Eigenschaft bei Alexei ein “throw away joke”. Eine Banalität, auf deren Kosten man Scherze macht. Seine mäßige Eignung zum Superhelden stellt ihn in noch stärkeren Kontrast zum übermenschlichen kompetenten Captain America. Aber wo wären wir in einem Hollywood-Blockbuster, wenn man Russen keine Stereotype aufdrücken würde.
Black Widow bietet durchaus kurzweilige Unterhaltung und viel weibliche Action, wirkt aber in größeren Bild einfach zu belanglos, um wirklich einen Eindruck zu hinterlassen.
(c) Walt Disney Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.