Bird Box mit Sandra Bullock erinnert nur auf den ersten Blick an A Quiet Place. Lest in der Kritik, warum er nicht so einzigartig, aber durchaus kurzweilig ist.
Übrigens: Inzwischen gibt’s hier unser Review zum Spin-Off Bird Box Barcelona!
von Christoph König
22. Dezember 2018: So eine Apokalypse ist immer blöd. Besonders, wenn man schwanger ist. Emily Blunt durfte das im ganz besonderen Thriller-Meisterwerk A Quiet Place erleben (hier unsere Kritik). Sie musste den Schmerz der Geburt (fast ausschließlich) stumm ertragen. Außerirdische Monster hätten sie sonst beim kleinsten Geräusch in Stücke gerissen. Jetzt hat es Sandra Bullock erwischt. Die darf zwar laut sein, muss aber blind mit Augenbinde durch’s Gelände hirschen, weil Menschen bei Sichtkontakt mit den bösen Wesen im Freien zu Selbstmördern mutieren. Ja und damit das Ganze noch etwas aufregender wird, sind es diesmal gleich zwei Schwangere, die bei solchen Zuständen ihre Kinder zur Welt bringen müssen.
Das war es dann aber schon mit den Parallelen zum John Krasinski-Film. Denn mit Bird Box – Schließe deine Augen, der seit gestern (21.12.) auf Netflix zu sehen ist, serviert uns Regisseurin Susanne Bier weitaus traditionellere Genre-Kost. Ob der Film dennoch ein Augenöffner oder eher was zum Wegschauen geworden ist, erfahrt ihr in unserer Filmkritik. Übrigens: Was der Netflix-Februar Neues bringt, gibt’s hier nachzulesen. Und hier, was das Netflix-Jahr 2019 alles zu bieten hat.
Der Film beginnt mit einer dramatischen und für den Zuseher rätselhaften Szene. Sandra Bullock schwört nervös zwei Kleinkinder auf eine lebensgefährliche Flussfahrt ein. Egal, was passiert, sie dürfen ihre Augenbinden dabei nicht abnehmen. Zeitsprung: 5 Jahre zuvor. Die von Bullock gespielte Malorie ist eine Künstlerin, die nicht gern unter Menschen geht. Noch dazu ist sie schwanger, kann mit Kindern aber eigentlich nichts anfangen. Als sie mit ihrer Schwester Jessica (Sarah Paulson) zur Untersuchung in der Klinik ist und ihr nahegelegt wird, das Baby vielleicht nach der Geburt zur Adoption frei zu geben, bricht auf einmal die Hölle los.
Menschen drehen beim Sichtkontakt mit mysteriösen Wesen, die für andere unsichtbar sind, durch und bringen sich um. Die Stadt versinkt in einer Massenpanik. Als Jessica Malorie durch das Chaos nachhause fahren will, wird sie Opfer der bösen Mächte. Malorie rettet sich in das Haus von Douglas (John Malkovich) in dem sich ein paar Überlebende verschanzen. Darunter auch bald eine Schwangere, womit schnell klar wird, welche Kinder Malorie fünf Jahre später am Fluss in Sicherheit bringen wird. Nun wechselt das Szenario immer wieder zwischen dieser Zeit und der Flucht am Fluss. Was ist dazwischen passiert? Mit was haben es Malorie und Co. zu tun? Und wie können sie sich davor auf Dauer in Sicherheit bringen?
Der Vergleich zwischen Bird Box und A Quiet Place hinkt. Während Letzterer absolut einzigartig ist, weil er sehr erfolgreich fast ohne Worte und mit nur wenigen Geräuschen eine extrem knisternde Stimmung erzeugt, ist Bird Box ein weitaus konservativerer Film seiner Gattung geworden. Was natürlich nicht unbedingt schlecht sein muss. Allerdings darf man Bier und Co. durchaus vorwerfen, sie hätten aus der spannenden Grundidee noch mehr herausholen können.
Das liegt vor allem daran, dass man sich vor den bösen Wesen ziemlich einfach schützen kann: In ein Haus flüchten und Rollladen runter. So verbringen die Überlebenden ein fast normales Leben in Hausarrest. Spannend wird es immer dann, wenn ein Neuer an die Tür klopft oder wenn sich das Problem stellt: Wie komme ich an Lebensmittel, um meine Grundversorgung aufrecht zu erhalten? Besonders gelungen ist die Szene mit der Autofahrt im Blindflug – mit abgedunkelten Scheiben nur mit GPS und Parkhilfe als Navigationshilfe. Coole Idee. Davon hätten wir gerne noch mehr gesehen. Musik und Kamerabilder sind gut – gewinnen aber auch keinen Kreativpreis.
Und dann sind da noch zwei unberechenbare Elemente, die für etwas Salz in der Suppe sorgen. Menschen (nennen wir sie “Verführer”), die von den bösen Wesen infiziert wurden, aber keinen Selbstmord begehen. Dafür treiben sie andere in die Arme der unsichtbaren “Selbstmord-Beschwörer”. Und Vögel, die wie ein Radar fungieren und loszwitschern, wenn sich das Unheil nähert. Leider haben sie nur einmal einen besonders spannenden Auftritt, während sie in einer zweiten wichtigen Szene (warum auch immer) einfach ihren Dienst verweigern. Dann wieder überleben sie unter Wasser in einem Schuhkarton mit Löchern, ohne auch nur nass geworden zu sein. Einer von mehreren Logikfehlern. So findet sich Malorie trotz Bauchbinde manchmal viel zu einfach zurecht. Das ist mitunter recht unrealistisch.
Dass man dabei aber gerne Mal ein Auge zudrückt, hat gleich mehrere Gründe. Erstens eine wieder sehr stark aufspielende Sandra Bullock – umgeben von einem soliden Cast. Obwohl auch Emily Blunt in A Quiet Place eine sehr starke Leistung bringt, ist Bullocks Malorie die noch spannendere, weil facettenreichere Rolle. Die zwei Kinder nennt sie nur “Bub” und “Mädchen”, um kein enges Verhältnis zu ihnen aufzubauen. Mit militärischer Disziplin überlebt es sich halt leichter. Doch die Fassade bröckelt spätestens mit dem Auftauchen des sympatischen Tom (Trevante Rhodes) und es ist interessant zuzusehen, wie diese immer mehr Risse bekommt.
Spannend sind auch die Zeitsprünge und der Wechsel zwischen den Szenarien und Schauplätzen. Im Haus kriegen wir klassische Horror-Filmkost serviert: Wer wird herein gelassen und wer nicht? Wer gehört vielleicht zu den Bösen? Es bilden sich die typischen Hass- und Liebesbeziehungen. Und natürlich stellt sich immer die Frage: Wen erwischt es als nächstes? Weitaus spektakulärer geht es draußen zu. Die Stadt im Selbstmordwahn liefert grausame und sehr starke Bilder. Später müssen die Überlebenden ihre Kreativität beweisen. Mit Angelschnüren findet man auch blind den Weg. Unter Decken kann man Schutz suchen. Und wie überlebt man eine Bootsfahrt durch Wildwasser im Blindflug? Manchmal reicht auch einfach: Augen(binde) zu und durch.
Auch wenn Bird Box gleich aus mehreren Gründen daran scheitert, so einzigartig wie A Quiet Place zu sein, ist er kein schlechter Film. Die 123 Spielminuten sind durchaus spannend und kurzweilig, auch wenn er beispielsweise fast völlig ohne Jump Scares auskommt. Er bedient sich gekonnt erfolgreicher Konzepte. Eigentlich sind es zwei Filme in einem: Hier das Überleben im Freien (ähnlich wie bei World War Z oder I am Legend), dort das Überlegen als Gruppe in einem Haus (ähnlich einem klassischen Horrorfilm). Als roter Faden dient Malorie und ihre schwierige Beziehung zu anderen Menschen und vor allem den Kindern.
Was ihm zum absoluten Hit fehlt? Nur sehr selten bekommen wir die Kameraperspektive hinter der Augenbinde zu sehen. Aber gerade diese beklemmenden Momente hätte man noch besser ausarbeiten und dabei (ähnlich wie bei Blair Witch Project) nur mit Geräuschen viel Spannung erzeugen können – was gerade zu A Quiet Place ein lässiger Gegensatz gewesen wäre und diesen Film auf seine Art besonders gemacht hätte. Auch hat Bird Box ein Problem mit dem Spannungsbogen. Das Szenario im Haus gipfelt in einem dramatischen Showdown. Der Film ist damit aber noch lange nicht zu Ende, kommt aber nicht mehr an diesen Höhepunkt heran. Ab da ist die Luft draußen.
Unterm Strich ist Bird Box immer noch einer der stärkeren Netflix-Filme. Für einen spannenden Filmabend auf der Couch allemal zu empfehlen.
Hier unsere Netflix-Reviews im Überblick:
Bird Box: Barcelona
Auslöschung
Cargo
Die Kunst des toten Mannes
Die Woche
How It Ends
Mogli
Outlaw King
Private Life
Sierra Burgess Is A Loser
The Ballad Of Buster Scruggs
The Christmas Chronicles
To All The Boys I’ve Loved Before
Alle Fotos: (c) Netflix
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