Ruhig und gemächlich – bis einer schießt! Bad Times at the El Royale macht einen auf old-school und Tarantino. Stylisch. Mit Längen, aber auch Highlights.
von Christoph König
Schon klar: Don’t judge a movie by it’s cover. Ob ein schön angerichteter Teller im Restaurant oder die ersten Zeilen in einem Buch – der erste Eindruck trügt manchmal. Oft bringt er einen aber auch sofort zur Erkenntnis, ob man mögen wird, was man aufgetischt bekommt. Bei Bad Times at the El Royale ist das definitiv der Fall. “Dieser Film hat mich von der ersten Minute verärgert.” Sagt der Mann hinter mir als der Abspann läuft. Witzig. Bei mir war das Gegenteil der Fall.
Nach den laut dröhnenden, nach Aufmerksamkeit heischenden Trailern (bei Pressevorführungen um 9:30 Uhr können die schon mal für Kopfweh sorgen) fühle ich mich mit dem ruhig gehaltenen Bad Times at the El Royale, der heute im Kino startet, sofort sehr wohl. Ob er auch insgesamt überzeugen kann, lest ihr hier in unserer ausführlichen Kritik:
Was passiert also in der ersten Szene? Zuerst nur Black-Screen und etwas Ton. Dann eine statische Einstellung auf ein Hotelzimmer – stylisch im 60er Jahre Look. Ein Mann mit Mantel und Hut, offenbar auf der Flucht, zieht die Vorhänge zu. Er dreht den Radio an, beginnt die Möbel umzustellen, reißt die Bodenbalken heraus und versteckt eine Tasche darunter. Er montiert alles wieder säuberlich an seinem Platz. Es klopft an der Tür. Er öffnet. Die ruhige Szene wird durch den lauten Knall einer Waffe jäh durchbrochen. Der Mann ist tot.
Diese paar wenigen Momente geben schon den perfekten Vorausblick auf das, was uns in den folgenden 139 Minuten erwartet. Ein kultiges Hotel als einziger Schauplatz, wunderbare soulige Musik, wenige Cuts, dafür sehr durchdachte Kameraperspektiven. Lange ruhige Szenen, aus denen man mit Gewalt (im wahrsten Sinne des Wortes) herausgerissen wird. Dazu interessante Charaktere, die ebenso wie dieser Ort, nicht auf den ersten Blick durchschaubar sind. Hier hat scheinbar alles einen doppelten Boden.
Der Plot ist im Gegensatz dazu relativ einfach gestrickt. Was nicht unbedingt schlecht sein muss. Das Ganze hat etwas Kammerspiel- und Tarantino-Charme. Fremde treffen im alt ehrwürdigen “El Royale” aufeinander. Das Hotel ist ein Unikat, liegt zur Hälfte in Kalifornien und Nevada und wird durch eine fette rote Linie genau in der Mitte durchzogen. Auf der kalifornischen Seite ist es sonniger, es gibt Alk zu kaufen und die identen Zimmer kosten hier einen Euro mehr.
Unter der schönen Oberfläche verbirgt der Ort aber ein dunkles Geheimnis. Ebenso wie die meisten der mysteriösen Charaktere. Ein Staubsaugervertreter entpuppt sich als FBI-Agent (Jon Hamm aus Mad Men). Dakota Johnson hat als hübsche Emily Summerspring ihre Fesseln diesmal keineswegs zum Spaß mit. Dass Jeff Bridges nicht der Priester Daniel Flynn ist, für den er sich ausgibt, ist allen Figuren – bis auf den drogensüchtigen Concierge Miles Miller – sowieso schon klar, bevor sie mit ihm einen Whiskey getrunken haben.
Spätestens, wenn dann Chris Hemsworth (meist oberkörperfrei – die weiblichen Zuseher wird’s freuen) als Sektenführer-Psychopaten-Hippie Billy-Lee auf den Plan tritt, wird es dann so richtig lustig. Mittendrin: Die Backround-Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo), die schon lange vergeblich von der großen Karriere träumt – und sich stattdessen in diesem Irrsinn wiederfindet.
Die große Stärke von Bad Times at the El Royale ist nicht unbedingt die Story. Auch wenn es ein paar Plot-Twists gibt, so lässt sich einiges doch leicht vorhersehen. Dazu gesellt sich ein sehr gemächliches Erzähltempo, dass in Flashbacks die einzelnen Charaktere genauer vorstellt und die 140 Minuten da und dort etwas langatmig erscheinen lässt. Doch sobald man den Mund schon zum Gähnen öffnet, bleibt er schockiert offen – durch die plötzliche Gewalt, die eine lange, ruhige Sequenz durchschneidet wie ein scharfes Messer. Regisseur Drew Goddard (schrieb den Marsianer) schafft es immer wieder uns trotz der gefährlichen Figuren in einem schönen, angenehmen Ambiente mit toller Musik und netten Worten “einzulullen”, ehe er uns mit dem Schuss aus einer Schrottflinte wie Vögel aufschreckt.
Besonders stark sind die Szenen in denen Cynthia Erivo als Soul-Sängerin Darlene ihre Gesangskünste auspackt. Vor allem eine, die wir euch nicht spoilern wollen: Wir sagen nur Hammer-Klatschen-Gewehr. Ein singender Engel in der Hölle quasi. Überhaupt wurde beim Casting gute Arbeit geleistet. “Priester” Jeff Bridges könnte direkt einer Westernstadt entstiegen sein – wieviel Schurke versteckt sich wirklich in ihm? Lewis Pullmann passt die Rolle des Concierge Miles Miller, der sich ausgerechnet beim falschen Pfaffen Absolution erhofft, ebenso wie angegossen. Und Dakota Johnson beweist, dass sie als Schauspielerin mehr Schattierungen besitzt als sie bei Fifty Shades of Grey jemals von sich (zusätzlich zur nackten Haut) zeigen durfte. Von ihr und Jon Hamm hätten wir gerne noch mehr gesehen.
Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Wem wird Bad Times at the El Royale gefallen und wem wird er (um es wie unser Kollege zu sagen) verärgern? Wer sich schnell geschnittene Action oder eine komplexe Story erwartet, der sucht sich aus unseren Filmtipps besser einen anderen aus. Kinofreunde mit einem Faible für Tarantino-Streifen, einen hervorragenden Score und das stylische 60er-Setting werden ihn hingegen genießen. Wen eine ruhige, langsame Erzählweise nicht abschreckt und wer einen guten Cast in (zumindest hauptsächlich) interessanten Rollen sehen will, der ist hier richtig.
Die Story gewinnt zwar keinen Kreativpreis und hat ihre Längen, die bereits erwähnten Qualitäten heben Bad Times at the El Royale aber über Durchschnittsniveau. Und: Es gibt heutzutage nicht so viele Filme, bei denen man wegen der starken Musik beim Abspann noch sitzen bleibt und man sich des Öfteren mit zum Rythmus wippendem Fuß ertappt. Bad Times at the El Royale ist so einer.
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Alle Fotos: © 2018 Twentieth Century Fox
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