Mächtige Superhelden, finstere Machenschaften und Bösewichte, denen das Handwerk gelegt werden muss: eine Formel, die im Kino und auf Papier wunderbar funktioniert. Warum nicht auch am Fernseher oder Bildschirm? Wir haben Marvel’s Avengers Game auf Herz und Nieren getestet. Und geben euch nützliche Tipps.
von Hannibal
8. September 2020: Ein paar Stunden wie ein echter Superheld fühlen. Schergen zusammenschlagen und Loot aufsammeln. Das verspricht Marvel’s Avengers, das neue Spiel von Tomb-Raider-Entwickler Crystal Dynamics.
Hier liest du, welche Games sonst noch so im September vor der Tür stehen.
In unserem Test lest ihr, ob der Third-Person Action Brawler das Zeug zum Dauerbrenner hat oder eher ein Strohfeuer ist, was uns vielleicht bis zum nächsten Spider-Man (Miles Morales, Ende des Jahres) über Wasser hält. Außerdem haben wir für dich, neben dem Test, ein paar nützliche Tipps für das Avengers Game.
Viel diskutiert wird auch über den bevorstehenden PS5-Release. Lest hier: Was Fans und Redakteure von der Optik der neuen Konsole halten.
Eigentlich soll es eine grandiose Feier werden. Die Avengers eröffnen ihr neues Hauptquartier in der San Francisco Bay, die Party endet jedoch vorzeitig. Ein unbekannter Gegner provoziert einen katastrophalen Unfall, verantwortlich für die Tragödie werden die Avengers gemacht. Fünf Jahre später ist der Superhelden-Verein aufgelöst und die Helden in alle Winde verstreut.
Kamala Khan, bekam von A-Day (wie der Tag der Avengers-Feier getauft wurde) ihre Superkräfte. Ausweichendes Terrigen-Gas mutierte ihre Zellen, ermöglicht ihr ihre Körperteile (fast) beliebig zu vergrößern und zu strecken. Nicht alle überleben diese Verwandlung, die bei jedem andere Mutationen hervorruft. Die so entstandenen Inhumans werden von der regierungsnahen Behörde AIM gejagt.
In Marvel’s Avengers schlüpfst du in die Rolle von Kamala Khan und versuchst die Avengers wieder zu vereinen – im Kampf gegen AIM und zum Schutz der Inhumans. Nach knapp 10 Stunden ist die weltumspannende Story auch schon wieder vorbei. Auf dem Weg wechselst du zwischen Hulk, Thor, Black Widow, Iron Man, Captain America und Ms. Marvel (so Kamalas Superhelden-Name) hin und her.
Nach der Kampagne warten schier unzählige Aufträge auf die neu formierten Avengers (ups, Spoiler). Da werden Bösewichte zur Strecke gebracht, alte SHIELD-Bunker gefunden oder in Virtual Reality trainiert. Außerdem hat jeder Held eine lose Aneinanderreihung von Aufträgen, die mit kleinen Zwischensequenzen zumindest halbwegs als die im Spiel so titulierten Iconic-Storylines durchgehen.
Prügeln, was der Controller hergibt, ist das Motto von Marvel’s Avengers. Inspiriert von den Batman-Spielen, werden leichte Attacken mit schweren kombiniert. Es gibt Combos und Fernkampf-Angriffe. Und Blocken bzw. Parieren, nur damit bleibt man im, oft knüppelharten, Combat am Leben.
Unsere Superhelden spielen sich in der Theorie recht ähnlich. Ob Thor seinen Hammer wirft, Captain America sein Schild oder Ms. Marvel ihre Arme ausstreckt, um den Robotern von AIM die Fresse zu polieren, macht wenig Unterschied. Lustig sind die langen Combo-Stränge, die präzisen Ausweichmanöver (mit vielfältigen Möglichkeiten zum direkten Gegenangriff) und die Spezialfähigkeiten. Jeder Held bekommt eine Support-Fähigkeit, eine Attacke und ein Ultimate. Das kann ein Heal sein (Ms. Marvel), ein Donnerschlag (Hulk) oder ein dicker Laserstrahl (Iron Man).
Schwächen offenbart das System im kompletten Fehlen von Combos untereinander, also Interaktionen zwischen den einzelnen Superhelden, ein besonderes Schmankerl der Filme (die wir hier gereiht haben). Auch fehlen Fähigkeiten, die mit dem Terrain interagieren, sei es eine Feuerwand (ok, würde thematisch nicht so gut zu diesen Avengers passen) oder verstreute Kugellager (das wäre ideal für Black Widow) um Gegner zu verlangsamen.
Optisch macht Marvel’s Avengers keinen überragenden Eindruck. Die Grafik ist solide, aber sehr unbemerkenswert. Viele Gesichter ähneln sich, die Qualität teilweise billig, noch dazu läuft es schlecht. Besonders im Kampf kam es auf unserer Test-Plattform (PS4 Pro) oft zu Hängern. Vielleicht wird es auf der PS5 besser, dafür wurde auch schon ein Gratis-Update angekündigt.
Auch die halb-offenen Gebiete sind recht nüchtern gestaltet und bieten wenig Abwechslung. Wald, verschneiter Wald, bissl weniger dichter Wald, ein paar Stadtgebiete und ganz viele Labore – das wars.
Die Partikeleffekte in den Kämpfen sind durchaus hübsch anzusehen, aber das ist wohl mit ein Grund für die schlechte Performance.
Es heißt oft, die letzten zehn Prozent seien die schwierigsten. Entwickler Crystal Dynamics (verantwortlich für die modernen Tomb-Raider-Spiele) hat sie der Einfachheit halber weggelassen. An allen Ecken und Enden fehlt der Feinschliff. Dialogzeilen wiederholen sich, das Audio wird doppelt abgespielt. In den Untertiteln und Item-Beschreibungen sind massive Rechtschreibfehler. Im Kampf verschwindet gelegentlich deine Waffe und du bist zum Nichtstun verdammt. Die vereinzelten Abstürze waren verschmerzbar, weil durch die Always-Online-Natur des Spiels, der ganze Fortschritt gespeichert wird (gelootete Gegenstände und Erfahrungspunkte bleiben erhalten).
Mit Teammitgliedern kann man nur per Mikro kommunizieren. Im Spiel gibt es keine Möglichkeit anderen zu sagen, dass man vielleicht zuerst zu dieser „versteckten“ Truhe hinlaufen möchte und nicht schnurstracks zum nächsten Waypoint. Seine Avengers-Gruppe im Multiplayer kann man auch nicht verwalten, es gibt keine Möglichkeit AFKler rauszuschmeißen.
Besonders frustrierend ist das Missionsende. Nach Abschluss des Missionsziels kann man keine Gegenstände mehr aufheben, es bleiben die von Gegnern hinterlassenen Schätze einfach liegen und die Mission ist aus.
2019 im Kino, 2020 auf der Konsole oder am PC quasi nicht vorhanden. Das ist das Endgame von Marvel’s Avengers. Nach Abschluss der Kampagne kann man sich auf der Jagd nach Erfahrungspunkten und neuer Ausrüstung durch die gleichen Gebiete weiterprügeln. Einzige Neuerung sind die Hives, eine Ansammlung von Kampf-Arenen. Darin kann man ohne lästiges Durch-das-Gebiet-Laufen unmittelbar hintereinander die komplette Bandbreite an Aktivitäten abklappern. Punkte besetzen, Turbinen zerstören und Gegnergruppen ausschalten. Zu Release gab es in Destiny auch nicht unendlich viele Strikes, aber zumindest für jeden einen eigenen Endboss. Bosse gibt es in Avengers daweil überhaupt nur zwei (!), und die kauern in ihren eigenen, leider uninspirierten, Missionen.
Mit Freunden spielt es sich besser. Mit Freunden kann man besser kommunizieren, bestimmte Gegner ausrufen und mehr Spaß haben. Außerdem ist es schwierig Spieler zu finden, man hängt oft 10 oder 15 Minuten in der Missionsauswahl, um eine Gruppe zu finden. Erschwerend kommt hinzu, dass es im Multiplayer jeden Helden nur einmal geben kann. Ist dein Held schon im Einsatz, musst du auf einen anderen ausweichen. Fairerweise kannst du sowohl generell nach einer Gruppe suchen, oder nach einer, wo dein Held noch frei ist.
Im Dienst der guten Sache. Zwei Fraktionen werden im Laufe der Story freigeschalten. SHIELD und die Inhumans. Es lohnt sich vor jeder Spielsession zu beiden hinzulaufen und die täglichen Missionen anzunehmen. Die lassen sich Großteils während des Spielens bewältigen und geben zusätzliche Belohnungen.
Täglich grüßt das Murmeltier. Neben den Fraktionen hat auch jeder Held tägliche und wöchentliche Missionen. Für den Fortschritt der Challenge Cards und den damit verbundenen Belohnungen (unter anderem neue Outfits) sind diese unabdingbar.
Mach‘s dir leicht. Vor jeder Mission kannst du den Schwierigkeitsgrad anpassen, für die Belohnung am Ende ist dieser jedoch egal. Es gibt nur gewisse Fraktions-Aufträge, die einen bestimmten Challenge-Level erfordern.
Konzentrier’ dich zuerst auf einen Helden. Erst mit Level 15 werden die Charaktere wirklich abwechslungsreich, öffnen sich die Skillbäume und die Helden können ihr volles Potenzial entfalten.
Blocken und Parieren. In den hektischen Kämpfen vergisst man oft auf die Defensive. Gelbe Attacken können geblockt oder pariert werden, roten Attacken sollte man tunlichst ausweichen. Nutz‘ das sehr gnädige Ausweich-Timing.
Mach dir keinen Kopf um die Währungen. Anfangs wird man von unterschiedlichen Ressourcen geradezu erschlagen. Jeder Ausrüstungsslot hat einen eigenen Rohstoff, dazu gibt es noch Währungen für die Händler. Das Entzaubern einzelner Gegenstände und das regelmäßige Öffnen von in den Gebieten verstreuten Kisten gibt dir aber immer mehr als genug. Und während der Kampagne zahlt es sich nicht aus, die Ausrüstung zu verbessern, um die Ecke wartet schon der nächste Drop.
Das Avengers Game ist ein zweischneidiges Schwert. Ich find’s lustig, würde es aber nur jenen empfehlen, die sich bewusst sind, worauf sie sich da einlassen: viel farmen, viel Wiederholung, aber Zahlen die hoch gehen. Kämpfen macht Spaß und die Helden spielen sich einigermaßen unterschiedlich (wobei es zu wenige gibt). Die Story ist sogar relativ interessant gemacht und mit passenden Sprechern stimmig umgesetzt – auch nicht schlechter als einige der Filme.
Wie wäre es mit ein paar gemütlichen Coop-Games? Oder magst du wissen, welche Highlights dich noch im Herbst erwarten?
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Bilder: © Crystal Dynamics, Screenshots
Der Grafiker und Art Direktor (Helden der Freizeit, Styria Verlag) aus Wien ist ein absoluter Game- und Film-Kenner. Das zeigt das in seinen Tests und Bestenlisten.