Peter Slavins Austria-Doku “Meister! Austria Wien 1990/1991” ist so schnörkellos, wie ihr Titel. Und genau das macht ihren Charme aus. Sie beamt uns zurück in kultige Zeiten als Fußballstars noch mit gegnerischen Fans am Würstelstand standen und der einzige Videobeweis die VHS-Kassette mit der abendlichen Fußballsendung war.
von Christoph König
“Früher war alles besser!” Eine Phrase, bei der auch im österreichischen Fußball (so ehrlich muss man sein) viel nostalgische Verklärung mitschwimmt. Natürlich war nicht alles besser: der Rasen war holprig, die Lederbälle schwer, das taktische und läuferische Niveau nicht mit heute zu vergleichen – und moderne Trainingssystematik ungefähr so verbreitet wie stilvolle Frisuren.
Und doch sehnen sich die Fußballanhängerin in diese Zeit zurück: Als beim Wiener Stadthallenturnier noch auf Parkett gezaubert wurde, als die Kicker mit dicken Oberschenkeln und Gnackmatten mit ihren Stollenschuhen Gegner und Rasen malträtierten, der einzige Videobeweis die abendliche Fußballsendung mit Peter Elstner oder Hans Huber war, im Mannschaftsbus nach dem Spiel Extrawurstsemmeln serviert wurden und auf den Trainerbänken Herbert Prohaska, Hans Krankl, Otto Baric und Ernst Happel saßen.
Austria-Fan und TV-Media-Redakteur Peter Slavin hat sich selbst und allen Fußballnostalgikern mit seinem Hobbyprojekt ein Geschenk gemacht. Er beamt uns in diese Zeit zurück. Ohne Budget aber mit ganz viel Herzblut (und nicht einmal einem fünfstelligen Eurobetrag) hat er einen Film über seinen Herzensklub produziert. Simpler Titel: Meister! Austria Wien 1990/91. Der sollte eigentlich bereits zum 30. Jubiläum dieser violetten Heldentat im Vorjahr erscheinen. Doch Corona zog die Produktion in die Länge. Dazu kam so mancher unerfreulicher Anfängerfehler: “Das Interview mit Prohaska musste ich nach zwei Jahren wiederholen, weil Rasenmäher-Geräusche am WAC-Platz die Tonaufnahme unbrauchbar gemacht hatten.”
Nun hat es Slavins Film, zu seiner Überraschung, sogar ins Kino geschafft. Am 23. Juni feiert er um 20:15 Uhr vor den Augen vieler violetter Legenden (Andi Ogris wird persönlich überwachen, ob niemand etwas Grünes trägt) seine Premiere im Filmcasino (20:15 Uhr), einem der schönsten Kinos in Wien. Danach gibt es noch zwei weitere Vorstellungen (30. 6., 18:30 Uhr und 3. 7. 16 Uhr). Wir haben für euch gecheckt, ob diese Liebhaber-Doku sehenswert ist.
Wie der schnörkellose Titel verrät geht es um die Meistersaison der Austria 1990/91. Im Mittelpunkt steht dabei der 12. Juni 1991. 13.000 Fans verwandelten damals die sonst so zuschauerarme Südstadt in ein Tollhaus und waren gekommen, um eine violette Meisterparty zu feiern. Doch der damals extrem starke Außenseiter mit Kühbauer und Co. spuckte den Wienern gewaltig in die Suppe. 0:2, ein vergebener Elfmeter und ein übermächtiger Wolfgang Knaller ließen die Veilchen bereits welken bis sie schließlich doch noch den nötigen Punkt eroberten.
Thematisiert wird bei der Austria-Doku neben dieser dramatischen Partie auch die gesamte Saison. Von Trainer-Einspringer Prohaska, der eigentlich nur als Sportdirektor vorgesehen war, über den plötzlichen Abgang von Sturm-Tank Andreas Ogris zu Espanyol Barcelona und dem neuen litauischen Superduo Narbekovas/Ivanauskas bis zu einem Skandalderby mit drei roten Karten und den vorentscheidenden Duellen mit der Startruppe des FC Tirols unter Trainerlegende Ernst Happel.
Slavin durfte sich aus dem ORF-Archiv bedienen und sammelte in den letzten vier Jahren aktuelle Stimmen der damaligen Hauptdarsteller. Von den heute noch im medialen Rampenlicht stehenden Peter Stöger, Herbert Prohaska oder Andi Ogris bis zu Manfred Zsak, Franz Wohlfahrt und Goldtorschütze Christian Prosenik, Reporter Hans Huber und Kabarettist Alfred Dorfer. Auch damalige Gegner kommen zu Wort kommen wie Wolfgang Knaller und Peter Pacult (damals Tirol). Erfreulicherweise hat Slavin auch Spieler ausgegraben hat, um die es schon lange ruhig geworden ist – wie Jevgeņijs Miļevski oder den langen Abwehrhünen Ernst Aigner. Der arbeitet inzwischen bei der Post und wurde von Slavin ganz klassisch aufgestöbert: “Ich wusste nur seinen Wohnort und suchte im Telefonbuch. Auf einmal hatte ich seinen Papa am Hörer.”
Zweifellos: Das geringe Budget sieht man der Doku an, zum Beispiel bei den Inserts. Das stört aber kaum. Das alte Originalmaterial des ORF hat einfach diesen Kultfaktor und die Interviews mit den Helden von damals haucht der Geschichte Leben ein. Das Beste am Film sind die witzigen Anekdoten. Hier ein Wickel zwischen Wohlfahrt und Prosenik bei einem mühsamen Lauftraining, da mutige Würstelstandbesuche von Ogris und Co. im alten Tivoli oder wenn es Manfred Zsak in einer Jubeltraube mit dem Meisterteller im wahrsten Sinne des Wortes die Schuhe auszieht.
Austria-Fans werden an diesem Film natürlich die meiste Freude haben. Slavins Doku ist aber auch allen zu empfehlen, die sich für Fußball interessieren, wie er noch vor dem Bosmann Urteil war und es in Österreich noch einen spannenden Titelkampf und noch kein übermächtiges Red Bull Salzburg gab. Eine Zeit, in der das eine oder andere Bier nach einem Sieg dazu gehörte. Vor allem am Ende läuft der Film zu Höchstform auf. Vielleicht hätte ihm da und dort noch die eine oder andere Stimme eines Gegners oder von Erzrivalen wie Andi Herzog oder Didi Kühbauer gut getan.
Die Doku ist sehr einfach gestrickt, wie ein überlanger TV-Beitrag – sie wirkt wie das Sport am Montag Special, das sich die Austria-Fans damals gewünscht hätten, das aber nie erschienen ist. Und das ist wahrscheinlich das größte Kompliment, das man dem Film machen kann. Weil: Wer hat Sport am Montag nicht geliebt?
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Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.