Nach vier Staffeln endet eine unserer liebsten Netflix-Serien. Wie gut uns das Finale der Geschichte rund um Sam, Casey und ihre Freunde und Familie gefallen hat, liest du im Review von Atypical Staffel 4.
von Sophie Neu
11. Juli 2021: Abschied nehmen fällt immer schwer. Ganz besonders, wenn es sich um eine so liebgewonnene Serie wie Atypical handelt. Denn auch wenn die Story rund um Sam, der im autistischen Spektrum liegt, nicht immer ganz ohne Kritik davonkam, so sind uns die Charaktere und die wohlmeinende Comedy im Laufe der Staffeln ans Herz gewachsen. Umso schöner, dass Regisseurin Robia Rashid ihnen allen im Finale noch einmal Raum gibt, sich auf ihre eigene Weise zu entfalten und eine Zukunft voller Möglichkeiten zu bieten. Besser hätte sie es nur machen können, wenn sie nicht teilweise auf recht formelhafte, abgegriffene Tropes zurückgegriffen hätte.
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In Atypical dreht sich alles um Sam (Keir Gilchrist), der in Staffel 4 lernt, sich an seinem College zurecht zu finden. Das entpuppt sich als gar nicht so einfach. Denn eigentlich hatte er selbst nicht damit gerechnet, überhaupt so weit in der schulischen Laufbahn zu kommen, wie er auch seiner Beraterin erzählt. Denn schon in der Highschool wurden ihm als Mensch im autistischen Spektrum schlechte Chancen auf den College-Besuch zugerechnet. In der neuen Staffel Atypical sieht sich Sam jetzt langsam mit der Frage konfrontiert, welche Ziele er im Leben verfolgen will. Gleichzeitig muss er sich mit seinem neuen Mitbewohner und langjährigen Freund Zahid (Nik Dodani) arrangieren. Sams jüngere Schwester Casey (Brigette Lundy-Paine) stellt derweil nicht nur ihrem Laufstipendium an einer Elite-Schule, sondern auch Fragen um ihre sexuelle Identität.
Die vierte Staffel von Atypical liefert eine ganze Reihe vom Themen, die nicht nur amüsant zum Anschauen sind, sondern auch zur Introspektion einladen. Jeder Charakter, von Sam über seine Freundin Paige (Jenna Boyd) bis hin zu seinen Eltern, hat mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen und wächst im Laufe der zehn Folgen des Serienfinales daran. Sam wird am College bewusst, dass er sich Ziele für sein Leben setzen sollte. Dabei ist es faszinierend zu sehen, wie Sam, dem ein Leben lang von allen Seiten vermittelt wurde, dass er nur eine sehr eingeschränkte Existenz führen könne, erkennt dass ihm viel mehr möglich ist als gedacht.
Die Serie vermittelt sehr gut das universelle Gefühl, plötzlich an einem Punkt im Leben angekommen zu sein, an dem sich bisherige Träume plötzlich in greifbarer Nähe und als realisierbar entpuppen. Gleichzeitig lässt die Serie Sam aber aus Comedy-Gründen manchmal viel durchgehen und Charaktere im Vergleich zu vorherigen Staffeln inkonsistent auf ihn reagieren. Zahid, der Sam in einer vorherigen Staffel noch dafür entfreundet hatte, weil er Zahids stehlende Freundin verraten hatte, lässt sich diesmal nicht mal ansatzweise aus der Ruhe bringen – vielleicht liegt das aber auch nur an seinem dauerhaft zugedröhnten Zustand in dieser Staffel.
Sams Eltern finden sich derweil in einer komplett neuen Lebensphase wieder. Während Mutter Elsa (Jennifer Jason Leigh) sich trotz ihren starken Ängsten langsam von ihrem Sohn lösen muss, merkt Vater Doug (Michael Rapaport) immer stärker, wie wichtig es ist, von der Lebenszeit zu profitieren, die er noch hat. Hier versteht Atypicals letzte Staffel, sehr einfühlsam die komplizierte Beziehung der beiden zu zeigen, die trotz Konflikten und Problemen in der Vergangenheit versuchen, zu sich und zu ihren beiden Kindern eine gesunde Beziehung aufzubauen und voneinander zu lernen.
Während Sam mit der Sinnfindung in seinem Leben beschäftigt ist und seine Eltern eine neue Perspektive auf ihre Realität entwickeln, kämpft seine Schwester Casey mit ihrer Identität auf ganz andere Weise. Über die bisherigen Staffeln von Atypical hinweg hat die Heranwachsende langsam ihre Sexualität entdeckt. War sie zunächst mit dem jungen Evan (Graham Rogers) in eine Liebesbeziehung verwickelt, bahnte sich langsam aber sicher auch ein romantisches Verhältnis zu ihrer Freundin Izzy (Fivel Stewart) an. In der finalen Staffel zeigt sich, dass Lundy-Paine als Casey der eigentliche Star der Show ist. So fantastisch stellt Lundy-Paine die anfängliche Fragilität und Unsicherheit von Casey dar, die sich und ihre bisherige Identität nach und nach in Frage stellt und schließlich ein ganz neues Verständnis zu ihrem Selbst entwickelt.
Der einzige Wermutstropfen in Atypical: Es wird in Staffel 4 häufiger auf abgenutzte Formeln gesetzt, wie man sie schon hundertmal im Fernsehen gesehen hat und die entsprechend vorhersehbar sind. Hier bringt Casey Izzy das Fahrradfahren bei und die beiden kommen sich näher. Da ist das Ableben eines Nebencharakters als bloßes Plot-Device schon mehrere Folgen im Vorhinein absehbar.
Atypicals vierte Staffel enttäuscht Fans der Serie nicht und liefert weiterhin sein bisheriges Niveau. Das Leben von Sam und seiner Familie bleibt weiterhin abenteuerlich und zeigt allgegenwärtige Problemstellungen, denen wir uns alle früher oder später stellen müssen. Das Highlight dieser finalen Staffel ist aber definitiv Caseys Selbstfindungsprozess. Schade, dass Sams Geschichte damit auf Netflix schon ein Ende gefunden hat.
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Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.