Neues Gameplay, riesige Open-World. Die Serie hat sich einen mutigen Relaunch verpasst. Gelungen? Das erfährt ihr in unserem Assassins Creed Origins Test.
von Christoph Geretschlaeger
29. Oktober 2017: Ein Jahr hat Entwickler Ubisoft den Assassinen rund um die Welt Zeit gegeben tief Luft zu holen. Die werden wir jetzt brauchen, damit uns in der offenen Welt von Assassins Creed Origins nicht die Puste ausgeht. Seit Freitag ist das Spiel erhältlich. Mit einem rundum erneuerten Kampfsystem und einem unverbrauchten Setting erwarten uns handfeste Überraschungen.
Können die uns begeistern? Das erfahrt ihr jetzt, in unserem großen Assassins Creed Origins Test.
Ägypten, das Land der Pharaonen, beliebtes Urlaubsziel und Heimat von Bayek. Bayek ist Medjay des Städtchens Siwa, eine Oase mitten in der brütend heißen Sahara. Ein Medjay ist eine Art Sheriff, einer der für seine Stadt sorgt, sich im die Anliegen der Einwohner kümmert.
Und Bayek hat ein Problem. Nicht nur, dass er rund 50 Jahre vor Christi Geburt lebt und die Klos noch keine Spülung haben, sondern auch dass sein Sohn vom bösen Pharaoh Ptolemy und seinen Schergen umgebracht wurde. Er sinnt auf Rache. Dabei hilft ihm seine Ausbildung mit allerlei Waffen, von Sichelschwertern über Äxte, Speere und natürlich Pfeil und Bogen.
Die Story hat mich bei unserem Test schnell in ihren Bann gezogen. Neben Bayeks Rachefeldzug erweitert sich die Handlung dann auch noch um Cleopatra (die Schwester vom bösen Pharaoh Ptolemy), Julius Cäsar und weitere lustige Zeitgenossen.
Was seit Altair im ersten Assassins Creed zur Grundausrüstung der Bruderschaft gehört, darf natürlich in Origins nicht fehlen – die Klingen an den Handgelenken bzw. Unterarmen, wenngleich Bayek anfangs ohne auskommen muss. Während Ezio, Arno und Evie (die Protagonisten von Teil 2, Unity und Syndicate) noch von Kirchturmspitze zu Opernhaus oder durch die engen Gassen ihrer Heimat (Florenz, Paris respektive London) turnten lässt’s Bayek da eher gemütlich angehen. In von der Serie gewohnt flüssiger Manier kraxelt er meistens nur auf zweistöckige Lehmbauten, ein paar Felsbrocken und gelegentlich mal auf einen Aussichtspunkt. Diese sind in Origins aber lang nicht so auffällig platziert und integral fürs Aufdecken eines Gebiets – eine willkommene Änderung. Selbst die größeren Städte sind wesentlich weitläufiger und die Gebäuder weiter auseinander als gewohnt.
Das Kampfsystem wurde für Assassins Creed Origins komplett überarbeitet. Weg von den simplen Parier- und Ausweich-Mechaniken der Vorgänger, hin zu einem völlig dreidimensionalen Combat. Es gibt leichte und schwere Attacken, Bayek kann mit seinem Schild blocken und ausweichen. Oder auch um den Gegner herumlaufen. Es erinnert stark an The Witcher 3, ohne die Variabilität der Signs, dafür mit unterschiedlichsten Waffen, die sich auch durchaus unterschiedlich spielen.
Auch die Steuerung ist ähnlich wie bei Witcher 3, mit Attacken auf der Schultertaste und dem Trigger. Das ist anfangs eine ziemliche Umstellung zu den gewohnten Angriffen auf Viereck und Dreieck. Auch sind viele Tasten doppelt belegt mit antippen und gedrückt halten.
Mit dem Kampf hören die Parallelen zu The Witcher nicht auf. Das antike Ägypten von Origins ist eine grandiose Open World geworden. Die Welt wimmelt nur so vor kleinen Aufträgen, Tieren die gejagt werden wollen (für Rüstungsupgrades, sehr ähnlich der Far-Cry-Methode) und allerlei bösem Gesocks. Die Welt ist in unterschiedlich gelevelte Gebiete unterteilt. Schon minimale Level-Unterschiede stellen gröbere Hindernisse dar. Aber dafür gibt‘s ja die ganzen kleinen Aufträge und Nebenmissionen.
Erfahrungspunkte sammelt man aber nicht nur im offenen Kampf. Schleichen kann unser Medjay mindestens so gut wie seine (chronologisch gesehen) Nachfolger. Die Bildschirmecken leuchten, wenn Gegner einen im Sichtfeld haben, Indikatoren über ihren Köpfen zeigen wie aggressiv sie sind. Von hinten angeschlichen sind sie schnell ausgeschaltet und winden sich (leise) am Boden.
Schon seit dem ersten Teil hatte man dank Eaglevision (Adlersicht) tiefe Einblicke in den Alltag der zu ermordenden Persönlichkeiten. Damit sah man unter anderem durch Wände. In Origins ist dieser Sinn jetzt durch einen echten Adler ersetzt worden – originell eigentlich. Senu kreist immer über Bayek und mit einem beherzten Tastendruck sieht man durch die Augen des Adlers, kann Gegner ausspionieren und Ziele markieren. Mit den entsprechenden Upgrades im Talentebaum greift Senu dann auch gerne ins Geschehen ein. Am Empfangsende von den scharfen Krallen und dem Schnabel möchte ich nicht sein.
Grafisch ist das alte Ägypten sensationell. Es erwacht zu neuem Leben. Die Detailverliebtheit der Entwickler ist an jedem Baum, an jedem Palmwedel zu sehen. Die Weitsicht ist enorm und Ladezeiten gibt es nur beim Fast Traveln oder vor Zwischensequenzen. In 4k auf unserer Test-PS4 Pro sind die Texturen gestochen scharf und Bayeks Bewegungen so flüssig wie der Nil. Im Gegensatz zu anderen aktuellen Games bietet Origins aber keine expliziten Verbesserungen für die PS4-Pro, die sind jedoch für November angekündigt.
Wie heutzutage für Singleplayer-Spieler leider üblich gibt es in Assassins Creed Origins auch wieder einen Echtgeld-Store und Micro-Transactions. In meiner Zeit mit dem Spiel hatte ich aber nie das Bedürfnis Kohle reinzustecken oder das Gefühl, ich bräuchte jetzt unbedingt mehr XP oder ein besseres Pferd – es gibt sogar ein Einhorn (um rund 5 Euro). Auch Lootboxen gibt es natürlich, die sind aber im Spiel selbst kaum präsent. Da haben die Entwickler aus der Vergangenheit gelernt. In Unity (dem Teil in Frankreich) lagen ja sogar Kisten herum und wurden auf der Minimap angezeigt, die man nur mit Echtgeld öffnen konnte. Mit ein Grund, warum Unity der einzige Assassins Creed Teil bleiben wird, den ich niemals durchspielen werde.
Das Warten hat sich gelohnt. Ein Jahr haben sich die Entwickler nach Syndicate Zeit genommen die Assassins Creed Formel gründlich zu überarbeiten. Mit Origins ist ihnen ein grandioser Wurf gelungen. Das Setting im antiken Ägypten ist (in Spielen) unverbraucht, eine schöne Abwechslung zur herbstlichen Tristesse und großartig modelliert. Das Schleichen macht Spaß, das Spiel gibt einem genügend Mittel eine Basis lautlos auszuschalten. Aber wenn mal die Hölle losbricht, hat man mit Bayeks Moves alle Mittel in der Hand sich erfolgreich zu wehren. Die Story und viele Missionen sind gerade am Anfang etwas übertrieben gefühlsduselig (zwei von drei Auftraggebern haben gerade mindestens einen Elternteil oder ein Kind verloren) aber dennoch fesselnd. Das Herumreiten wird durch die automatische Wegfindung des Pferdes (nein, ich hab kein Einhorn) erleichtert und man hat Zeit die atemberaubende Szenerie zu genießen.
Als eingefleischter Assassins Creed Fan könnte man argumentieren, dass es eigentlich kein Teil der Serie ist, da es das Spielprinzip und viele Mechaniken völlig auf den Kopf stellt. Aber selbst wenn es „Bayek und Senu: eine Reise durch Ägypten“ heißen würde, würde das Spiel nicht weniger Spaß machen oder weniger gut sein. Absolute Empfehlung für all jene die sich noch nicht an Open-World-Spielen sattgespielt haben.
Assassins Creed Origins ist seit Freitag im Handel oder einem Online-Store in deiner Nähe erhältlich. Um wohlfeile 70 Euro für die PS4- oder Xbox-Version und um 60 Euro für PC.
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Alle Bilder (c): Ubisoft
Der Grafiker und Art Direktor (Helden der Freizeit, Styria Verlag) aus Wien ist ein absoluter Game- und Film-Kenner. Das zeigt das in seinen Tests und Bestenlisten.