Superschurken, Elfen und die malerische Küste Irlands: Knapp 20 Jahre nachdem die Romanreihe Artemis Fowl von Eoin Colfer erstmals erschienen ist, wurde sie nun verfilmt. Ein Aufwand, den man sich hätte sparen können.
von Susanne Gottlieb
13. August 2020: Die einen werden sich an die Romanreihe aus den frühen 2000ern erinnern. Jene Bücher, die auch irgendwie neben Harry Potter da waren. Die anderen werden den Namen Eoin Colfer wohl zum ersten Mal gehört haben, als er Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams eine weitere Fortsetzung verpasste. Aber unterm Strich gilt: Trotz der Popularität der Bücher vor zwei Jahrzehnten überraschte es doch etwas, dem kindlichen Superschurken Artemis Fowl einen eigenen Film zu geben.
Dass das Spektakel jetzt nicht im Kino, sondern nur auf Disney+ (hierzulande ab 14. August, in anderen Ländern ist er schon zwei Monate online) zu sehen ist, würde daher logisch erscheinen. Doch diese Verschiebung zum Streaming ist allein Corona und dem völligen Überwerfen sämtlicher Release-Schedules geschuldet. Das frühe, kommentarlose Abladen des Films auf der Plattform lies bereits erahnen, dass das Endprodukt von Erfolgsregisseur Kenneth Branagh vermutlich nicht so rund geworden ist. Und wirklich, Artemis ist ein absurd, seichtes und chaotisches Machwerk ohne Zugeständnisse an die Vorlage geworden. Warum und um was es geht, liest du in unserem Review.
Im Zuge einer groß angelegten Ermittlung gegen den irischen Businessman Artemis Fowl sr. (Colin Farrell), der anscheinend im illegalen Artefakteschmuggel verwickelt war, wird der Zwerg Mulch Diggums (Josh Gad) von den Britischen Behörden verhört. Er erzählt nun die wunderliche Geschichte von Artemis Fowl. Dem Sohn (Ferdia Shaw), der ein Elfenheiligtum, das “Aculos”, gestohlen hat, um seinen verschwundenen Vater zu befreien.
Zuvor hatte Fowl sr, offensichtlich im Vorausahnen einer bösen Fügung, noch sein Wissen über die irische Feenwelt an seinen Sohn weitergegeben. Kurz darauf verschwindet er, gemeinsam mit zahlreichen Artefakten von seinem Boot. Während die Behörden diese Schätze suchen, erhält Artemis einen Anruf von einer mysteriösen Figur, die seinen Vater gefangen hält. Er müsse innerhalb von drei Tagen das Aculos finden, das sein Vater irgendwo versteckt hat.
Gemeinsam mit seinem Butler (Nonso Anozie) entdeckt er, dass sein Vater mit einer Elfe namens Beechwood gemeinsame Sache gemacht hat, um das Aculos vor dessen Entführer zu beschützen. Er beschließt diese zu fangen. Dabei geht ihm aber dessen Tochter Holly (Lara McDonnell) ins Netz, die von Commander Julius Root (Judi Dench) auf die Oberfläche geschickt wurde, um einen Troll zu erledigen. Die Elfen eilen zu ihrer Rettung herbei und belagern Fowl Mansion. Artemis muss sein volles kriminelles Genie ausschöpfen, um zu bekommen was er will und seinen Vater zu retten.
Artemis Fowl ist eines dieser filmischen Werke, bei denen sich die Macher nicht allzu sehr mit der Vorlage auseinandergesetzt haben. Viel mehr noch, es ist ein weiteres Beispiel für Hollywood, sich der eigentlichen Geschichte einer Figur zu erwehren und lieber in die “Origins” der Figur einzutauchen. Ob das nun zahlreiche Robin Hood Verfilmungen des letzten Jahrzehnts sind, das jüngste Charlie’s Angels, Solo: A Star Wars Story, Tomb Raider, Star Trek, Jack Ryan oder sonstige Franchises. Die Fans bekommen nie den Charakter, den sie eigentlich wollen. Alles muss immer auf Anfang erzählt werden. Oft mit eigens ausgedachten Geschichten, die nicht immer funktionieren.
Im Falle von Artemis Fowl hält sich der Film grob an die Handlung des ersten Romans. Aber, hier ganz Hollywood und vermutlich noch mehr Disney, wird das Material insofern abgeändert, als dass man sich nicht getraut hat, einen Zwölfjährigen wirklich als Bösewicht zu inszenieren. Der Film ändert das Verschwinden des Vaters, dahingehend ab, als dass Artemis seine kriminellen Mächte für das Gute einsetzt. Der Vater, in den Büchern ebenfalls ein Dieb, wird hier als heimlicher Held und Friedensstifter gezeichnet, da er das gefährliche Aculos sowohl vor Elfen als auch Feinden versteckt, um den Frieden zu wahren.
Wo man hingegen mehr hätte ausschmücken können sind die Handlungsorte des Romans. Ein Großteil der Handlung findet am Fowl Anwesen statt, wenn Elfen und Artemis’ Gang gegeneinander antreten. Bis auf einen kurzen Abstecher nach Italien und die unterirdische Elfenwelt bekommt der Zuschauer daher wenig geboten. Kombiniert mit der Tatsache, dass sich fast der ganze Plot nur darum dreht, dass Holly befreit werden soll, fühlt es sich an als würde man nur einen exzessiv langen ersten Akt eines Filmes schauen. Figuren, die eingeführt werden. Allianzen, die geschmiedet werden. Es wirkt beinahe schockierend gegen Ende, dass der Showdown vor dem Haus eigentlich schon alles war.
Zu guter Letzt entstanden auch einige bizarre kreative Umsetzungen, was die Romanvorgaben bezüglich der Figuren betrifft. Ein prominentes Beispiel wäre etwa Gads Mulch, der wie in den Büchern sein Kiefer ausrenken und damit Erde schaufeln kann. Das klingt zwar als kindliche Romanfigur ganz witzig, schaut aber auf der Leinwand absolut absurd aus. Anderen Figuren fehlt wiederum jegliche Entwicklung und sinnhafter Beitrag zur Handlung, wie etwa Butlers Nichte Julie (Tamara Smart). Es ist enttäuschend so etwas von einem Kaliber wie Kenneth Branagh zu sehen, der einen passablen Cinderella drehte, den ersten Thor und zahlreiche erfolgreiche 90er Jahre Roman- und Theateradaptionen. Darunter Frankenstein und einen Querschnitt durch das Schaffen von William Shakespeare.
Letztendlich wird der Film wohl dafür in Erinnerung bleiben, dass Judi Dench kurz nach ihrem flauschigen Katzenfiasko nun mit Elfenohren in den nächsten Flop stürzt. Nichts als Respekt für die Dame, ihre langjährige Freundschaft zu Branagh ist bekannt. Aber sie muss wieder mehr Händchen bei der Rollenauswahl beweisen.
Artemis Fowl ist nicht die Figur, die hier manche Millenials noch aus ihrer spätpubertären literarischen Phase kennen. Vielmehr ist er ein holprig-katastrophaler Versuch irgendwo wieder ein neues Franchise herauszupressen.
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Alle Fotos: (c) Walt Disney
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.