Disney ist auf seinem Live-Action-Adaptions-Trip nicht zu stoppen. Die jüngste Ergänzung in diesem Katalog: Arielle die Meerjungfrau. Der ist zwar besser als viele seiner Vorgänger. Begeistern kann er trotzdem nicht.
von Susanne Gottlieb
25. Mai: Wir alle haben schon von der neuen Arielle gehört. Es war auch unumgänglich, immerhin kreierte das Casting der afroamerikanischen Halle Bailey einen Aufschrei auf den einschlägigen Online-Kanälen. Eine schwarze Meerjungfrau in einer Geschichte, die der weiße Autor Hans Christian Andersen inspiriert hatte, das ginge doch nicht.
Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, und die Bedeutung für kleine BPoC Buben und Mädchen steht im Vordergrund. Doch kann Arielle auch abseits seines diversen Castings als Film überzeugen? Oder schlägt auch hier wieder das Realverfilmung-Schicksal zu, dass die Filme zu sehr in den Klauen des Originals gefangen sind? Wir verraten euch, was ihr euch von Arielle die Meerjungfrau erwarten könnt und ob sich hier ein Kinobesuch auf der ganzen Linie lohnt.
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In den Tiefen des Ozeans haust die Meerjungfrau-Prinzessin Arielle (Halle Bailey) mit ihrem Vater Triton (Javier Bardem) und ihren Schwestern. Die Tage verbringt sie damit mit ihrem besten Freund Fisch Fabius (Jacon Tremblay) Schiffwracks zu erkunden, mit der Möwe Scuttle (Awkwafina) mehr zu plaudern oder von Tritons Diener, der Krabbe Sebastian (Daveed Diggs), zurechtgerückt zu werden. Doch Arielle ist unglücklich. Sie würde so gerne mehr über die Welt der Menschen erfahren. Doch seit ihre Mutter von diesen ermordet wurde, hat Triton jeglichen Kontakt mit der Überwasserwelt verboten.
Als eines stürmischen Nachts ein Schiff zu kentern droht, rettet Arielle den Käptn der Crew, den ebenfalls in seinen eigenen Palastmauern unglücklichen Prinz Eric (Jonah Hauer-King). Dessen Wunsch, die Welt zu erkunden und seinen eigenen Weg zu gehen, hatten ihr imponiert. Im Kopftrauma-Delirium am Strand kann dieser noch ihre Stimme hören, aber sie nicht mehr erkennen. Und während Eric kurz darauf eine groß angelegte Suche nach diesem mysteriösen Mädchen startet, sieht die Meerhexe Ursula (Melissa McCarthy) ihre Stunde gekommen. Um sich an ihrem Bruder Triton zu rächen, bietet sie Arielle einen schäbigen Deal an. Sie gibt ihr Beine, dafür muss Arielle aber ihre Stimme lassen und von Eric der wahre Liebe einen Kuss erhalten. Drei Tage hat sie dafür Zeit, sonst gehört ihre Seele Ursula.
Eins muss man der Neuverfilmung von Regisseur Rob Marshall lassen. Sie ist ambitonierter als viele Vorgänger. Während Pinocchio (hier unser Review) ein Uncanny-Valley Disaster war, das wie rein aus dem Computer wirkte und bei Peter Pan & Wendy ein wenig der narrative Fokus fehlte, arbeitet der Film mit mehr Kreativität und richtigen Sets. Man merkt auch, dass die Macher sich ein paar eigene Ideen überlegt haben, und nicht rein auf die komplette Kopie des Originals setzen. Visuell interessante Kameraeinstellungen, die Umwandlung von Tritons schickem Schloss in eine mehr organische Felsenhöhle im Korallenriff, aber auch die Spiegelung von Erics und Arielles privaten Leben als Legitimierung für die flotte Seelenverwandschaft sind nur einige Beispiele, wie man hier versucht aus der Geschichte mehr Inhalt herauszuholen.
Gerade da Arielle die Meerjungfrau als einer der unemanzipiertesten Disney-Prinzessinen gilt, zumindest wenn man der Argumentationsweise der hetero-normativen Girlboss-Bewegung der 2000er folgt, war es hier für Disney unumgänglich, etwas am Inhalt zu schrauben. Immerhin hatte es sich der Konzern auf die Fahne geheftet, seinen Klassikern hier eine Kurskorrektur zu verpassen. Alles müsse inklusiver, feministischer und weniger rassistisch werden.
Arielle ist daher ein weiteres Produkt aus der Realverfilmung-Reihe, das einerseits die profitable Nostalgie-Ausbeute bedienen muss, deren Milliardengeschäft diesesFilme überhaupt erst inspiriert hat. Andererseits möchte es ein vom Original unabhängiges Argument für eine weitere Version der Geschichte sein. Etwas, das jedes Remake bieten muss. Das Resultat ist daher wie schon bei den Vorgängern eine seltsame Chimäre, in der gesungen wird und manche Fische Freunde sind, andere eine Mahlzeit (Findet Nemo lässt grüßen), zum anderen auch gleich zu Beginn Hans Christian Andersen zitiert wird, dessen Vorlage Die kleine Meerjungfrau viel düsterer und tragischer war.
Diese sklavische Abhandlung bekannter Handlungspunkte lässt den Film trotz dieser visuell so bunten Welt und der hervorragenden Halle Bailey in der Hauptrolle gehetzt und uninspiriert wirken. Da macht auch die Hautfarbe der Meerjungfrau keinen Unterschied. Vielmehr wird diese inhaltlich nicht einmal thematisiert. Am stärksten sind jene Momente, in denen Eric und Arielle über ihren Wunsch kommunizieren, mehr von der Welt zu sehen. Das ist auch für die Kleinsten nachvollziehbar. Ebenso ist erfreulich, dass Marshall für die Musicalszenen tatsächlich mit Profis zusammengearbeitet hat. So wirkt das Ganze belebter und spektakulärer als etwa in Guy Ritchies Aladdin, bei dem hier in unserer Kritik nachzulesen, die Magie etwas fehlte. Trotzdem bleibt das Endresultat etwas blass, viel eher wird man in Zukunft wohl erneut im Filmregal zum animierten Klassiker greifen.
Arielle die Meerjungfrau sticht stilistisch und inhaltlich aus der Masse an Realverfilmungen heraus, kann aber wegen seiner zu starken Bindung an das Original und der Staccato-haften Abarbeitung altbekannter Handlungselemente nicht wirklich überzeugen.
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Aufmacherfoto: (c) Walt Disney
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.