Mit dem Anno 1800 Brettspiel liefert der Kosmos-Spieleverlag in Zusammenarbeit mit Spieledesigner Martin Wallace ein Strategiespiel, das nicht näher am Ausgangsmaterial sein könnte. Aber bis wir zum spannenden Teil des Spiels mit Ressourcenmanagement, Inselausbau und mehr kommen, müssen wir zuerst durch das mühsame Aufbauen des vielteiligen Boardgames. Unser Test mit allen Details.
von Sophie Neu
14. März 2021: Nachdem sich der Spieleverlag Kosmos schon mit den Anno 1503 und Anno 1701 Brettspielen ein physische Mehrspielerversionen der erfolgreichen Strategiespielserie vorgelegt haben, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich dem neuesten Ableger des erfolgreichen Ubisoft-Games widmen. Das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Spieleentwickler Martin Wallace ist ein spannendes Brettspiel für zwei bis vier Spieler ab 12 Jahren, bei dem Ressourcenmanagement und Handel mit den Mitspielern im Vordergrund stehen und das seinem digitalen Vorbild verblüffend ähnlich ist. Für eine Partie solltest du ungefähr zwei Stunden einplanen. Unser Test des Anno 1800 Brettspiels mit allen Details zu Spielablauf, Materialqualität, sowie den Stärken und Schwächen.
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Jeder Spieler startet mit seiner eigenen Insel, die er zum wirtschaftlichen Erfolg führen soll. Das Ziel ist es möglichst viele Einflusspunkte zu sammeln und am Ende die meisten im Besitz zu haben. Die Punkte bekommt man vor allem via Bevölkerungskarten und Expeditionskarten. Beide gibt es aber nur, wenn wir ihre Voraussetzungen erfüllen. Bevölkerungskarten erhalten wir, wenn wir neue Bewohner auf unsere Insel locken. Für Expeditionskarten müssen wir unsere Entdecker-Schiffe auf Erkundungsfahrt in fremde Länder schicken. Für diese Aktionen müssen wir aber erstmal Ressourcen in den Ausbau unserer Insel investieren. Spannend hier: In jeder Runde darf jeder Spieler nur eine Aktion ausführen. Zum Beispiel entweder eine neue Fabrik bauen oder etwa eine neue Kolonie erkunden.
Das Ende des Spiels läutet derjenige Spieler ein, der alle seine Bevölkerungskarten ausgespielt und aktiviert hat. Entsprechend hat er alle Bedürfnisse der Bewohner seiner Insel und Kolonien erfüllt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass er auch das Spiel im Endeffekt gewonnen hat. Allerdings bekommt er zur Belohnung zusätzliche Einflusspunkte dazu. Nachdem die laufende Runde fertiggespielt wurde und alle noch einmal eine Aktion ausführen konnten, beginnt das Auszählen der gesammelten Einflusspunkte. So ist es am Ende nie ganz genau einzuschätzen, wer den Sieg im Anno 1800 Brettspiel davontragen wird.
Wie in jedem guten Ressourcenmanagement-Spiel sind die uns gegebenen Mittel nicht endlos. Entsprechend müssen wir ganz genau überlegen, wofür wir unsere (vor allem zu Beginn sehr begrenzten) Arbeitskräfte einsetzen und wie wir sie am effizientesten wachsen lassen. Denn einmal an ihrem Arbeitsplatz, müssen sie entweder in Gold bezahlt werden, um wieder tätig zu werden. Oder aber wir opfern einen ganzen Zug und feiern ein großes Stadtfest und motivieren sie so zu neuer Tätigkeit. Sind unsere Inselbewohner fleißig und wir clever genug, können wir bald schon unsere Industrie weiter ausbauen. Und die produziert neue Ressourcen, die Voraussetzung für weitere produktive Bewohner sind. Gerade dadurch ist der Anfang des Spiels am herausforderndsten, macht aber auch am meisten Spaß.
Ganz ähnlich wie beim Videospiel-Vorbild gibt es auch beim Anno 1800 Brettspiel unterschiedliche Bewohnerstufen. Und je höher die Klasse, desto exotischer die Bedürfnisse. Begnügen sich Bauern noch mit ein paar Holzbrettern, um sich eine Baracke zusammenzubasteln, muss für die Behausung der Ingenieure die Statik und Isolation einbezogen werden – entsprechend brauchen sie Stahlträger und Glasfenster. Weil der Platz auf unserer Startinsel aber nicht endlos ist, müssen wir expandieren und schicken dafür unsere Erkundungsschiffe los. Wir erschließen Nachbarinseln mit mehr Bauplatz. Wir brechen aber auch in fremde Länder auf und treffen auf neue Rohstoffquellen wie Baumwolle, Kaffeebohnen oder Tabak. Und ganz wie unsere fleißige Arbeiterschaft brauchen auch die Besatzungen unserer Schiffe nach einer Reise entweder Gold oder ein großes Fest, um wieder einsatzfähig zu werden.
Um die Ressourcen von den weit entfernten Inseln zu unseren Bewohnern zu schaffen brauchen wir einsatzfähige Handelsschiffe. Die sind anfangs ähnlich dünn gesäht wie unsere höherstufigen Bewohner. Aber indem wir neue, bessere Werften bauen, können wir auch größere Schiffe mit mehr Stauraum und mehr Arbeitskraft schaffen. So ermöglichen wir mehr Handel mit unseren eigenen Kolonien, aber auch mit unseren Mitspielern. Denn bei der Vielzahl an möglichen Industrien in Anno 1800 teilen sich die unterschiedlichen Fabriken im Lauf des Spiels zwangsweise unter den im Wettbewerb stehenden Parteien auf. Damit kommen wir nicht darum herum, unserer Konkurrenz ein bisschen Gold in die Tasche zu spielen, wenn wir unsere eigene Insel zum wirtschaftlichen Erfolg bringen wollen.
Hier finden sich auch die große Herausforderung und der Reiz des Anno 1800 Brettspiels. Denn zu überlegen, welche Ressourcen wir besser von unserer eigenen Insel holen und wann sich der Handel mit unseren Mitspielern lohnt, macht richtig Spaß. Dabei arbeiten wir immer auf ein längerfristiges Ziel hin. Wir erschließen etwa mit viel Glück eine Kolonie mit Kautschuckproduktion und erhandeln dann von unserem Nachbarn Generatoren, um eine Fabrik für motorisierte Kutschen zu bauen, die wiederum unsere Mitbewerber brauchen und von uns erhandeln müssen.
Einer der größten Kritikpunkte am Anno 1800 Brettspiel ist aus unserer Sicht der sehr schwerfällige Start ins Spiel. Zuerst braucht man für den Aufbau eine gefühlte Ewigkeit. Denn das Spiel ist unglaublich vielteilig. Zu den größeren Platten wie dem Spielplan und den Heimatinseln gesellen sich unter anderem 125 kleine Bevölkerungssteine, 120 Bauplättchen mit den Fabriken für Ressourcen und 130 Schiffsplättchen. Dazu kommen noch Goldplättchen, Handelsplättchen, Bevölkerungskarten …
All diese Teile müssen an ihren Platz geordnet werden. Und dafür muss man sich erstmal durch die sehr ausführliche Bedienungsanleitung lesen. Ist das aber geschehen, eröffnet sich spätestens nach den ersten drei Spielrunden ein richtig spannendes Strategiespiel mit sehr flotten Runden. Verflogen ist der Müßiggang des Anfangs und es entsteht sehr schnell ein reger Austausch an Ressourcen und Überlegungen zum nächsten Zug. Statt reinen Wettbewerb zwischen den Spielern zu belohnen, ermutigt das Anno 1800 Brettspiel zu kompetitiver Zusammenarbeit. Denn wenn gehandelt wird, profitieren beide Handelspartner – der eine nur vielleicht das entscheidende Bisschen mehr.
Ab dem Zeitpunkt, an dem man die Ingenieure freischaltet, machen sich langsam, aber sicher die Schwächen vom Anno 1800 Brettspiel bemerkbar. Denn statt, dass es im letzten Drittel des Spiels so wie im Computerspiel noch einmal herausfordernd wird, läuft alles plötzlich wie von selbst. Gerade, wenn man nur zu zweit spielt, ist die Notwendigkeit praktisch nicht gegeben, noch groß ein paar Steine der Investoren (der höchsten Bevölkerungsschicht) zu erspielen. Denn oft hat man zu diesem Zeitpunkt fast keine Bevölkerungskarten mehr in der Hand. Und die paar, die noch verbleiben erlauben es entweder Karten in den Stapel zurückzulegen oder zusätzliche Aktionen zu machen. So ergibt sich die Notwendigkeit nicht wirklich, die noch unverbauten verbleibenden Industrien der höheren Bevölkerungsschichten zu bauen.
Insgesamt macht das Anno 1800 Brettspiel visuell wirklich etwas her. Ganz eindeutig vom Videospiel inspiriert, erkennen Spieler der PC-Reihe auf den ersten Blick die Symbole und Figuren wieder, die direkt aus Anno 1800 übernommen wurden. Von den Koloniebewohnern auf den Bevölkerungskarten bis zu den auf den Bauplättchen zu sehenden Ressourcen erinnert alles direkt an die charmanten Illustrationen des Vorbilds. Entsprechend hochwertig ist auch die Bedruckung aller Teile. Etwas zu klein ausgefallen finden wir die Bevölkerungssteine, die gerade für größere oder etwas unkoordiniertere Hände schwieriger zu greifen sind. Diese Mini-Holzwürfel werden bei anderen Spielen außerdem meistens als Rohstoffe verwendet, was bei Vielspielern für etwas Verwirrung sorgt. Kleine Holzfiguren hätten hier eher ihren Zweck erfüllt.
Bei den vielen unterschiedlichen Teilen von Anno 1800 waren wir enttäuscht, dass die Box weder ein Inlay noch vernünftige Verstauungsmöglichkeiten für die Bauplättchen, Bevölkerungssteine und mehr bietet. Nur ein paar dünne, wiederverschließbare Plastikbeutel sind beigelegt, von denen ist aber bereits nach der zweiten Benutzung eines eingerissen. Positiv hervorzuheben ist die sehr ausgiebige Anleitung und die zusätzlichen Spielhilfen für jeden der vier Mitspieler. Toll fanden wir für die Auswertung unserer Punkte das online herunterladbare Wertungsblatt.
Mit dem Anno 1800 Brettspiel liefern der Kosmos-Spieleverlag und Martin Wallace ein herausforderndes Strategie- und Managementspiel für bis zu vier Spieler, das seinem Videospiel-Vorbild absolut gerecht wird. Das Ausbauen der eigenen Inseln und Haushalten mit unserer Bevölkerung ist genauso befriedigend wie der Handel mit unseren Mitspielern. Einzige Wermutstropfen sind der lange Aufbau und das wenig herausfordernde Spielerlebnis im letzten Drittel des Spiels. Ein toller Geheimtipp für alle Fans von mehrstündigen strategischen Brettspielen.
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Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.