Holzsessel & Piano statt 3D & Surround Sound. So sieht ein Besuch bei der 111 Jahre alten Kinodame in Wien aus, Extra-Polster inklusive.
von Manuel Stenger
Ich gehe nicht oft ins Kino, höchstens fünf oder sechs Mal im Jahr. Einmal überredeten mich meine Freunde, die Neuverfilmung von Godzilla anzuschauen. Ich weiß noch ganz genau, was mich an dem Film besonders umgehauen hat: Der Preis für die Karte! 17,20 Euro hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie für einen Kinobesuch ausgegeben. Schuld waren die Aufschläge für Wochenende, Überlänge, spezielle Gehörkulisse, 3D und die besten Plätze ganz hinten.
Okay, alles war supermodern, aber: Hätte ich an diesem Abend vorher den Preis der Karte erfahren, wäre ich niemals mitgegangen. Bei solch gesalzenen Preisen war mir auch die Lust auf Popcorn oder Nachos vergangen. Dass der Film nur mittelmäßig war, kam noch dazu.
Besuch beim Kino-Dino
Ein Kinoabend kann in der heutigen Zeit aber auch anders aussehen. Eine gute Freundin motiviert mich dazu, einen Film in den Breitenseer Lichtspielen zu schauen. Sie sind bereits seit 1909 auf der Breitenseer Straße im 14. Bezirk in Wien daheim. Und wurden schon 1905 also vor 111 Jahren als Zeltkino gegründet. Damit sind sie das älteste Kino der Welt. Da die Dokumente zu Beginn des zweiten Weltkriegs allerdings verschwunden sind, prüstet sich offiziell das 1909 gegründete Pionier Kino in Stettin (Polen) mit diesem Titel. Zu Unrecht – wie allerdings nur wenige Menschen wissen.
Vorwiegend stehen heimische Filme und Stummfilme am Programm. Das Kino ist von meiner Bekannten bewusst gewählt, „da man ja nicht weiß, wie lange es diese alten Kinos noch gibt“, so ihre Begründung. Ich bin gespannt, schließlich verbinde ich mit Altkinos frühe Kindheitserinnerungen: Damals besuchte ich oftmals das Gloriette Kino, das Auge Gottes Kino oder Albert Kino, die alle vom Aussehen den Breitenseer Lichtspielen ähneln.
Willkommen im Ein-Frau-Betrieb
Das Kinoerlebnis ist eher ungewöhnlich, verglichen mit den großen Filmtempeln, die heute überall aus dem Boden schießen. Betrieben werden die Breitenseer Lichtspiele im Prinzip von einer Person: Anna Nitsch-Fitz. Die Dame an der Kassa verkauft nicht nur die Karten, sondern auch die Snacks und Getränke. Kurz danach verlässt sie ihren Platz, um im Nebenraum den nächsten Film zu starten. Popcorn gibt es aus der typischen Packung von Kelly‘s, Getränke aus der PET-Flasche. Nicht zu vergleichen mit heutigen XXL-Angeboten.
Die Einrichtung ist nach heutigen Verhältnissen eher spartanisch: Die Klappsessel aus Holz können durch einen zusätzlichen Polster bequemer gemacht werden. Im Saal sind wir an diesem Tag zu fünft – außer uns haben noch zwei Menschen hergefunden. Lustiges Detail ist ein Piano vor der Leinwand. Damit werden im Kino auch heute noch Stummfilme live mit dem Piano tontechnisch untermalt.
Komfortfreie Zone
Um ehrlich zu sein: Der Kinobesuch kann mich nicht wirklich begeistern. Schon die Atmosphäre eines fast leeren Kinosaales hat für mich etwas Bedrückendes. Ebenfalls stelle ich es mir heutzutage schwer vor, Menschenmassen mit einem Eintritt von acht Euro für einen aktuellen Spielfilm zu gewinnen. Um diesen Preis kann ich den gleichen Streifen in einem modernen Kino unter der Woche sehen – ohne Extras wohlgemerkt.
Vor allem Liebhaber älterer Filme und Nostalgiker können mit den Breitenseer Lichtspielen aber sicher etwas anfangen. Deshalb finde ich es wichtig, dass Einrichtungen dieser Art weiter bestehen. Sie erinnern sie mich jedes Mal an meine Kindheit und daran, dass ich damals auch mit weit geringeren Ansprüchen einen Film genießen konnte. Letztendlich muss ich aber zugeben: Es fällt mir schwer, auf den Komfort moderner Kinos zu verzichten, auch wenn dadurch der eine oder andere Euro mehr anfällt.
Facts: Die Breitenseer Lichtspiele wurden 1905 gegründet und sind somit das älteste noch bespielte Kino der Welt. Aktuelles Programm: siehe Webseite
Adresse: Breitenseer Straße 21, 1140 Wien
Fazit: Die Breitenseer Lichtspiele sind ein großes Stück Kinogeschichte. Und tatsächlich das älteste Kino der Welt. Für Liebhaber eine tolle Sache. Der Komfort ist aber nicht annähernd mit einem modernen Kino vergleichbar.
Der Redakteur und Digital Marketing Spezialist ging für die Helden der Freizeit auf Reise- und Sport-Abenteuer.