Die Stadt Teschen (polnisch Cieszyn, tschechisch Těšín) ist heute auf Polen und Tschechien aufgeteilt. Am rechten Ufer der Olsa (Olza, Olše) liegt Cieszyn mit dem historischen Zentrum. Am linken Český Těšín, die ehemalige Vorstadt. Cieszyn zählt zu den ältesten Städten Polens. Dank flotter Zug-Verbindung ist dieses Stück Polen – unglaublich, aber wahr – zu einem lohnenden Ziel für einen Wiener Tagesausflug geworden.
Ich verrate dir in Teil 3 meiner Serie Grenzgänger, was es in der hübschen Altstadt zu sehen gibt, und wo du ihre schöne Lage und polnisches Lebensgefühl genießen kannst. Selbstverständlich wieder mit kulinarischen Tipps und einer praktischen Karte zur Orientierung am Ende des Berichts.
von Martin Kienzl
Dank der EU, die Grenzwartezeiten auf (fast) null reduziert hat, machen viele Ostösterreicher ihren Tagesausflug zu einem Mini-Auslandsurlaub. Mit all seinen Vorteilen, die den Horizont erweitern: mehr Abenteuer, andere Sprache, Blick von außen, neue Eindrücke. Das Lebensgefühl ändert sich. Und kommt man zurück, so glaubt man, länger als einen Tag weg gewesen zu sein. Dass sich Ungarn, Tschechien (wie in Teil 1 meiner Grenzgänger-Serie über Pavala oder Teil 4 über Böhmisch-Kanada nachzulesen), oder die Slowakei (siehe Teil 2 – ein Stück Wüste im Marchfeld und Teil 5 zur Burgruine Devín) zu so einer Tour anbieten, weiß man. Aber Polen?!
Ich verrate Dir, wie mit dem geschichtsträchtigen, malerischen Teschen auch Polen bequem in einem Tagesausflug erreichbar ist (von Wien in dreieinhalb Stunden – siehe Zugverbindung unten). Mein Video zum Bericht findest du hier auf Instagram oder hier auf TikTok.
Cieszyn und Český Těšín bilden eine Stadt, die unsere gemeinsame europäische Vergangenheit widerspiegelt. Auf Schritt und Tritt wirst du hier an die Geschichte erinnert. Eine ideale Inspirationsquelle für die Zukunft. Die Stadt gehört zur Woiwodschaft Schlesien. Ein Land mit wechselvoller Geschichte. Henryk M. Broder sagt über seine Heimat: Schlesien war schon multikulti, bevor der Begriff erfunden wurde.
Warum Teschen so multikulti ist:
Cieszyn wurde im Frühmittelalter als Festung zur Verteidigung der polnischen Südgrenze von den Piasten, der ersten polnischen Königsdynastie, gegründet. Im 12. Jahrhundert war die Stadt ein polnisches Zentrum Schlesiens. Der Besitz der Piasten kam im 14. Jahrhundert an Tschechien. Das ging im 16. Jahrhundert an die österreichischen Habsburger. So wurde Teschen eine Stadt in Österreichisch-Schlesien. Und blieb es bis 1918. 1920 kam es zur Teilung in Cieszyn und Český Těšín. 1939 wurde die Region von Deutschland annektiert. 1945 wurde die Aufteilung von 1920 wiederhergestellt. Katholiken, Protestanten, Juden, Polen, Deutsche und Tschechen haben die Stadt geprägt. Es gibt eine schlesische Identität. Jede Sprache hat ihre schlesische Variante. Das Deutsche das Schläsisch, das Polnische die ślōnskŏ gŏdka, das Tschechische die Prajzština, von prajzaci (Preußen) weil Germanismen, teilweise sogar zu Gänze deutsche Sätze, verwendet werden.
Der renovierte Bahnhof Český Těšín ist der Hauptbahnhof Teschens. In der Nähe befinden sich das Rathaus (Městský úřad) und das Museum des Teschener Landes des wenig attraktiven tschechischen Stadtteils. Vom Bahnhof gehst du etwa zehn Minuten zur Brücke der Freundschaft (Most Przyjaźni). Über diese spazierst du, normalerweise ohne jede Kontrolle, von Tschechien nach Polen und bist damit schon im Stadtkern.
Das Ufer der Olsa ist zu beiden Seiten begrünt und gibt dir einen ersten Eindruck von der ideal in die Landschaft eingebetteten Stadt. Am polnischen Ufer, unterhalb des Schlossbergs, sind Kunstinstallationen eines grenzüberschreitenden Kulturprojekts zu bewundern. Die polnisch-tschechische Zusammenarbeit in Kultur und Tourismus scheint weiter fortgeschritten als die zwischen Österreich und seinen Nachbarn.
Auf der polnischen Seite wirst Du links vom modernen Gebäude der Touristeninfo empfangen. Hier kriegst du zusätzlich zum ausführlichen Infomaterial auch gleich einen Eindruck von der aktuellen Passion der Teschener für ihre alte Straßenbahn. Sie existierte zwar nur von 1911-21, wird aber bis heute nostalgisch verehrt.
An eine Wiederbelebung der Tram, die den Bahnhof mit der Altstadt verband, ist nicht gedacht. Für manche eines der Indizien, dass nach wie vor mehr von einem Neben- als einem Miteinander von Cieszyn und Český Těšín gesprochen werden kann. Vor der Touristeninfo steht eine Nachbildung der Straßenbahn, in die du einsteigen kannst. Besonders nett ist ein Besuch des nahen Tramway Cafés, wo du in einer alten Tram Kaffee und Kuchen genießen kannst. Du wirst staunen, wie viele nette Lokale es hier auf kleinem Raum gibt. Der Appetit auf Pierogi, Barszcz & Co kann gestillt werden.
Links hinauf geht es auf den Schlossberg. Schön im Park gelegen findest du die romanische Nikolaus und Wenzel-Rotunde, die auf dem Zwanzig-Zloty-Schein abgebildet ist. Das mystische Innere kannst du frei betreten. Eine Eintrittskarte für den daneben gelegenen gotischen Piastenturm zu lösen, zahlt sich aus. Von ihm aus hast Du eine prachtvolle Aussicht auf die Stadt, die Olsa und die Beskiden, einem Teil der Karpaten.
Die in Polen sehr beliebten Schlesischen Beskiden mit ihren zauberhaften Holzkirchen, dem grünen Oberlauf der Weichsel und den Touristen-Hotspots Ustroń und Wisła liegen ganz nah. Am Fuß des Hügels liegt das ehemalige Jagdschloss der Habsburger, Architekt Josef Kornhäusel. Davor steht das Denkmal der für Polen gefallenen schlesischen Legionäre in ihrem Kampf gegen das Russische Reich. Dargestellt ist eine Frau in schlesischer Tracht.
Vom Schlossberg führt die Tiefe Gasse (ulica Głęboka), die Hauptstraße Teschens, hinauf in die Altstadt. Auf Nummer 25 befand sich das Hotel Austria, auf der Höhe des Alten Markts (Stary Targ) auf Nummer 15 das sogenannte Deutsche Haus, danach rechts St. Maria Magdalena.
Und dann stehst du schon auf dem repräsentativen Markt und Hauptplatz, polnisch Rynek, wie er für so viele Städte in Polen typisch ist. Die bekanntesten sind jene von Breslau, Oppeln, Warschau und Krakau, das den größten mittelalterlichen Marktplatz Europas besitzt. Viele Häuser haben Laubengänge, die Malls der alten Zeiten. Das barock-klassizistische Rathaus ist leicht an seinem Turm zu erkennen. Renaissance, Barock und Neobarock sind harmonisch vereint. In der Mitte wacht Florian als barocke Brunnenfigur über das intakte, in den Weltkriegen nicht zerstörte, historische Ensemble.
Wie hoch der Stellenwert der Katholischen Kirche in Polen war und ist, wird dir schnell bewusst. Teschen ist voller katholischer Kirchen. Neben St. Magdalena gibt es noch östlich des Ryneks die einstige Jesuitenkirche Heiliges Kreuz (Kościół św. Krzyża), nördlich davon die Dreifaltigkeitskirche (Kościół pw. Świętej Trójcy) und viele mehr. Du wirst vielleicht auch die Erfahrung machen, dass eine Familie im Restaurant oder Café zum gemeinsamen Tischgebet aufsteht. Oder dass Gläubige die Fußwunden eines Kruzifixes beim Betreten einer Kirche küssen.
Wer das erste Mal in Polen ist, wird darüber vielleicht ebenso überrascht sein wie darüber, neben der bekannten raschelnden Begrüßung Cześć (Tschäschtsch) den Abschiedsgruß Baba ebenso häufig wie in Wien zu hören. Er ist nicht nur in Polen, sondern auch – Stichwort soziokulturelle K&K-Verwandtschaft – in der Ukraine verbreitet.
Wenn du, am Borromäus Kloster (Klasztor Boromeuszek, ein Blick in den romantischen Hof lohnt sich) vorbei, über die Straße Oberthor (Wyższa Brama) spazierst, kommst du zur Jesuskirche (Ježíšův kostel). Eine protestantische Kirche in einer Größe, wie du sie im katholischen Polen nicht vermuten würdest. Sie war lange die größte evangelische Kirche der Monarchie. Heute ist sie Zentrum des Protestantismus ganz Polens. Eine der schlesischen Gnadenkirchen, die auf Erlaubnis von Joseph I. errichtet werden durften. Und die einzige, die noch als evangelisches Gotteshaus genutzt wird. Im dortigen Protestantismus-Museum kannst Du mehr über die Geschichte des Luthertums in Cieszyn und der Umgebung erfahren.
Jeden Teschen-Besucher zieht es dorthin, wo der Legende nach der Stadtname entstanden ist. Die drei Söhne des polnischen Königs Leszek III., haben sich der Sage nach nach langer Zeit an der Stelle des heutigen Drei-Brüder-Brunnen (Studnia Trzech Braci) im Jahr 810 wiedergefunden und sich darüber so gefreut – sich freuen polnisch cieszyć się, tschechisch těšit se – dass sie deshalb an der Stelle Cieszyn gegründet haben.
Gleich daneben liegt der alte Mühlgraben mit seinem noch erhaltenen künstlichen kleinen Mühlbach und alten Häusern. Heute wird diese Ecke der Stadt etwas hochtrabend als Teschener Venedig (Cieszyńska Wenecja) bezeichnet.
Wenn du mehr Zeit mitbringst, lohnt sich ein Besuch des Museums des Teschener Schlesien (Muzeum Śląska Cieszyńskiego) im ehemaligen Larisch-Palast mit klassizistischen Räumen. Im 1802 gegründeten Museum werden Exponate von gotischen Plastiken bis zu zeitgenössischen Fotografien präsentiert.
Das Teschener Stadttheater (1910) trägt den Namen von Adam Mickiewicz. Dessen Gedicht Litwo, Ojczyzno moja! (Litauen! Mein Vaterland!) lernt jeder Pole in der Schule. Der Unionsstaat Polen-Litauen existierte 200 Jahre. Wer in Wien das Ronacher, Volkstheater oder Konzerthaus frequentiert, wird sich im Teschener Theater intuitiv orientieren können. Denn all diese Häuser stammen vom selben Architekten. Was für die Jahrhundertwende 20/21 Coop Himmel(blau) ist, war für 19/20 Helmer & Fellner: ein Wiener Architekturbüro mit internationaler Ausstrahlung. Ihre Bauten finden wir bis heute von Odessa bis Zürich, von Hamburg bis Sofia.
Das jüdische Teschen ist heute leider nur mehr am Neuen und Alten Jüdischen Friedhof (Stary Cmentarz Żydowski), den sich die Natur zurückerobert, zu finden. Wie sehr das jüdische Bürgertum auch diese Stadt geprägt hat, wird dir bewusst, wenn du dich für Funktionalismus und Moderne Architektur interessierst. Wahre Juwelen dieser Zeit sind auch in Český Těšín zu finden. Mehr Informationen darüber geben Broschüren wie Auf den Spuren der Teschener Moderne (Szlakiem Cieszyńskiej Moderny).
Es ist kaum zu glauben, wie viel an Einblicken du in Polnische und Europäische Geschichte und Gegenwart hier erhältst. Beim Besuch einer heimeligen Kleinstadt von 60.000 Einwohnern mit verträumten Gassen und Plätzen. Du wirst eine teils andere, teils vertraute Welt kennenlernen. An einem Ort, der sich, obwohl 300 km nördlich von Wien entfernt, in seiner Vergangenheit gern als Klein-Wien bezeichnet hat.
Wer Lust hat, einmal für einen Tag nach Polen zu fahren, kann sich diesen Wunsch in Cieszyn erfüllen. Eine Kleinstadt mit großer Geschichte, einer intakten Altstadt und einem erstaunlich guten Kultur- und Gastronomie-Angebot.
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Mehr InformationenEinreise: Personalausweis (oder Pass) mitnehmen.
Bahn: von Wien Hauptbahnhof mit einmaligem Umsteigen in Ostrava-Svinov nach Český Těšín. Morgenverbindung 3 Std 28 Min inklusive 13 Min Umsteigezeit, Fahrplan 2024 Abfahrt 06:10 Uhr, Ankunft 09:38. Rückfahrt zum Beispiel 17:45 – 21:49 (4 Std 4 Min) siehe Tschechische Bahn
Währung: Złoty
Helden-Insidertipp:
Beste Zeit für deinen Cieszyn-Trip: An einem österreichischen Feiertag, der nicht mit einem polnischen zusammenfällt: Christi Himmelfahrt, Nationalfeiertag, Mariä Empfängnis. Du lässt dann den touristischen Trubel bei uns hinter dir. Und du kannst den Feiertag in Polen in Ruhe genießen.
Polnische Küche (Rote-Rüben-Suppe Barszcz, Schmoreintopf Bigos, Gefüllte Teigtaschen Pierogi,..): Dworek Cieszyński
Schlesische Küche: Obiady jak u Mamy
Europäische und Polnische Küche: Restauracja Kamienica Konczakowskich, Korbasowy Dwór, Neoretro
Trzech Braci, Pod Merkurym, Hotel Mercure Cieszyn, Przystanek Głęboka 17
Placki-Lokal (Polnische Erdäpfelpuffer, günstig): Plackarnia u Janka
Italienische Küche: Winowajcy Cieszyn, Pod Królem Polski
Wiener Restaurant & Café: Wiedeńska
Armenische und Georgische Küche: Lavash Bistro
Cafés, Konditoreien: Pod Królem Polski, Kornel i Przyjaciele, Piano Cafè, Bajka Cieszyn, Cafe Muzeum, Cieszyn Klubcafé Presso beim Schloss, Cafe Arkady, Tramway Café, Crazy Coffeina, Mufka, Bloom Café
Teestube: Laja
Bäckerei-Konditoreien: Bethlehem, Nasza Pączkarnia – Cieszyn (u.a. kleine Krapfen Pączki)
Eissalon & Café in Český Těšín: Makarska Zmrzlina & Cukrárna
Hotels: Kasztanowy Dwór, Trzech braci, Liburnia
Helden-Literaturtipps:
Kornel Filipowicz (1913-1990) maturierte in Teschen. Nach ihm ist das hippe Kornel i Przyjaciele (Kornel und Freunde), eine Kombination aus Café, Buchhandlung und Antiquariat, in der Altstadt benannt. Filipowicz war langjähriger Partner der polnischen Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska. Einige seiner Erzählungen und Kurzromane sind auf Deutsch erhältlich.
Gustaw Morcinek (1891-1963) gilt als bedeutendster Schriftsteller des Teschener Schlesien (Śląsk Cieszyński). In seinen Büchern, viele in deutscher Übersetzung vorliegend, beschäftigte er sich u.a. mit dem Leben der Bergarbeiter und seiner Inhaftierung in den Konzentrationslagern der Nazis.
Der Name des Wiener Museums Albertina leitet sich vom Namen des Sammlungs-Gründers Albert Casimir Herzog von Sachsen-Teschen ab. Er adoptierte Karl von Österreich-Teschen.
Dessen Sohn Albrecht von Österreich-Teschen thront auf seinem Denkmal vor der Albertina hoch zu Ross. Albrecht gehörte die größte Molkerei der Monarchie. Deren Stellung war so dominant, dass man lange Zeit irrtümlich glaubte, TEE-Butter wäre eine Kurzbezeichnung für TEschener Erzherzögliche Butter. Der Begriff Teebutter ist ein alt-österreichischer Austriazismus. Ihn kennt man bis heute in Tschechien, Ungarn, der Slowakei usw.. Aber nicht in Deutschland. Dort heißt sie Markenbutter.
Das Denkmal von Josef II. im Friedenspark (Park pokoju) neben dem Museums des Teschener Schlesien sieht dem am Wiener Uni-Campus Altes AKH zum Verwechseln ähnlich.
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