Nach David Beckham, Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone will Netflix mit der Miniserie über Robbie Williams den aktuellen Hype um Star-Dokus weiter befeuern. Warum das Ergebnis trotz schmerzhafter Selbstanalyse nicht ganz befriedigt, erfährst du in unserer Kritik.
von Christoph König
Robbie Williams sieht sich Videos von Robbie Williams an und spricht über Robbie Williams. So lässt sich die Miniserie beschreiben, in der Englands bald 50-jähriger Pop-Superstar auf Netflix die Höhen und Tiefpunkte seiner Karriere Revue passieren lässt – und dabei vor allem offenbart, wie er mit seiner Drogen- und Medikamentensucht, aber vor allem mit sich selbst als Person zu kämpfen hat. Denn hinter der Rolle des perfekten Entertainers für Millionen (hier seine 10 größten Hits im Ranking) bröckelt es von Anfang an gewaltig.
“Ein Kind in der Erwachsenen-Welt.” So beschreibt er sich. 4 Folgen lang sitzt der inzwischen ergraute und von Schlaflosigkeit geplagte Star mit Laptop zuhause am Bett und erklärt, wie es in ihm in knapp drei Jahrzehnten als Musikikone ausgesehen hat. Eine schmerzliche Selbsttherapie – wie seine Frau Ayda Field verrät, die ihren angeschlagenen Mann nach den stundenlangen Sessions immer wieder aufrichten muss. Freilich abseits der Doku, denn in dieser kommt praktisch nur Robbie zu Wort. Das ist einerseits ein interessantes Stilmittel, andererseits auch der größte Schwachpunkt.
Die Miniserie beginnt mit seinem plötzlichen Aufstieg mit dem Boygroup-Wunder Take That. Als erst 16jähriges Bandküken flüchtet Robbie vor dem Hamsterrad des Showbusiness in Alkohol- und Drogenexzesse. In Wahrheit hätte er sich da schon im freien Fall befunden, sagt er heute. Die Eskapaden und seine kindische Eifersucht auf Bandleader Gary Barlow führen zum Ausstieg und Start als Solokünstler, bei dem seine Karriere bereits am seidenen Faden hängt. Denn gesundheitlich ist er ein Wrack. Erschreckend sind hier die Aufnahmen, die Doku-Macher Joe Perlman mit seinem Team aus hunderten Videostunden Archivmaterial aus dieser Zeit ausgegraben hat.
Williams wankt durch das Studio, in dem er mit Co-Writer Guy Chambers das erste von vielen gemeinsamen Erfolgsalben aufnimmt. Szenen, die auch seinem heutigen Ich beim Betrachten noch wehtun. Life thru a Lens wird erst zum Superseller als Robbie mit Angels den großen Durchbruch schafft. Ein 60tägiger Entzug bringt ihn zurück auf Schiene. Wie ein völlig neuer Mensch gibt er sein erstes Konzert vor 80.000 Menschen – alles Eitel Wonne? Von wegen. Zwar spielt er gekonnt die Rolle des selbstbewussten Superstars, doch dahinter plagen ihn Ängste, dass die Menge erkennen könnte, dass sich hinter der Fassade noch ein Kind versteckt. Auch, was sein Umfeld betrifft, wirkt “Rob” paranoid.
Die Beziehung zu Geri Halliwell endet als Robbie meint, sie würde mit Paparazzi unter einer Decke stecken. Chambers gibt er als Co-Writer den Laufpass, weil er sich nach mehr eigener Anerkennung als Songwriter und Musiker sehnt. In diesen Momenten wirkt Robbie sehr kühl und distanziert. Man fragt sich, was wirklich in ihm vorgeht, bekommt aber wenige Antworten. Ähnlich ergeht es einem als Zuseher, wenn Robbie von seinem Nervenzusammenbruch bei einem Mega-Konzert in Leeds erzählt. Er beschreibt den Gig als Katastrophe. Aber es wird kaum gezeigt, was an dem Auftritt – abgesehen von seinem innerem Zustand – so fürchterlich war.
Vor dem Gig sehen wir ein Video, in dem Robbie erklärt, wie unwohl er sich mit dem Druck fühlt – dazu sagt der alte Robbie, es sei die erste Aufnahme, die er von sich im Zuge der Dokuaufzeichnungen gezeigt bekommt, in der er die Wahrheit sagt. Was haben wir dann aber in den vorigen Stunden gesehen? Übertreibt Robbie, um die Drama-Tube auszuquetschen? Gerade in diesen Schlüsselszenen hätte der Doku gut getan, würde auch Robbies engstes Umfeld zu Wort kommen – so wie Sir Alex Ferguson beispielsweise in der Beckham-Bio. Immerhin ist im letzten Teil der Doku schön zu verfolgen, wie Robbie mehr zu sich findet. Da tut es der Produktion auch, dass man etwas mehr von seiner Familie zu sehen und hören kriegt.
Wie authentisch ist das Bild wirklich, dass die Netflix-Doku mit Archivvideos und Robbies Aussagen zeichnet? Diese Frage bleibt relativ offen. Weil (bis auf ein paar Stimmen in der letzten Folge seiner Frau) nur Williams zu Wort kommt. Wir kriegen zwar einen intimen Einblick, wie er sich selbst sieht – da seine Selbstwahrnehmung aber durch seine mentalen Probleme gestört ist, hat man trotz mehrstündigem Seelenstrip den Eindruck, man ist nicht tief genug vorgedrungen.
Die Dokus über Beckham und Schwarzenegger (hier unser Review zu Arnold) machen in diesem Punkt einen besseren Job, indem sie auch das Umfeld zu Wort kommen lassen und einen Blick auf die Kindheit der beiden und die schwierigen Beziehungen zu ihren strengen Vätern bieten. Bei Williams, der 3 Jahre alt war als sein Vater die Familie verließ, um selbst auf Bühnen durchzustarten, wurde dieser zentrale Part ausgespart. Das ist schade, denn die Einblicke in das Innenleben von Williams, der sich zwischen der Gier nach Aufmerksamkeit und Versagensängsten zerreibt, sind durchaus spannend.
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Alle Fotos: (c) Netflix
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