Alles rund ums Netz. Die Helden der Freizeit haben sich ein internationales ETS-Turnier in Wien-Stadlau angeschaut: Wie Roundnet (auch bekannt als Spikeball) funktionert, was es ausmacht, wie sich die Szene in Österreich entwickelt und wo du es selbst spielen kannst.
von Christian Orou
Wenn den Leuten langweilig ist, kommen sie auf die seltsamsten Ideen. Sie stellen sich auf ein Surfboard und paddeln über die Alte Donau oder balancieren über ein Gepäckband, das sie zwischen zwei Bäume gespannt haben. Oder sie spielen eine Art Volleyball mit einem kleinen Trampolin und nennen dieses Spiel Roundnet.
Geht man mit offenen Augen durch die Parks in Wien, dann fallen manchmal kreisrunde Flecken im Rasen auf. Sie sind keine Zeichen aus einer anderen Galaxie. Sondern Rasenspuren von langen Roundnetpartien. „Wenn wir am Heldenplatz spielen, dann stellen wir unsere Netze immer wieder an andere Stellen.“ sagt Pol Loutsch, seines Zeichens Vorstand des ersten Wiener Roundnet-Vereins Vienna Roundnet. „Das ist ein verbreiteter Anfängerfehler, dass immer am selben Platz gespielt wird.“
Seit dem zweiten Sommer der Pandemie kommt man im Stadtpark, im Auer Welsbach-Park oder auch am Heldenplatz an Gruppen von jungen Menschen vorbei, die sich mit einem Ball rund um ein kleines Trampolin jagen. Was auf den ersten Blick sehr chaotisch wirkt, entpuppt sich nach längerer Beobachtung als eine durchaus koordinierte Sportart. Sie heißt Roundnet und ist besser bekannt unter dem Namen des größten Herstellers des Spielmaterials Spikeball. “Das Geilste an dem Sport ist, dass du einfach bei schönem Wetter in den Park rausgehen und drauf losspielen kannst”, sagt Dario Sommer, aktueller Uni-Staatsmeister im Teambewerb mit der TU-Wien.
Das Spiel hat in seiner Grundversion sehr überschaubare Regeln. Zwei Teams je zwei Personen stehen rund um ein Netz, das an ein Minitrampolin erinnert. Ziel des Spiels ist, den Ball nicht auf den Boden fallen zu lassen. Jedes Team darf sich den Ball bis zu drei Mal zuspielen und muss ihn dann ins Netz schießen, das den Ball zum anderen Team schleudert. Fällt der Ball zu Boden, wird das Netz nicht getroffen oder der berührt der Ball den Rand der Netzvorrichtung wird das als Fehler gewertet und gibt einen Punkt.
Wird das Spiel auf einem professionellen Level gespielt, dann gibt es ein schlankes Regelbuch, das gerade einmal 20 Seiten umfasst. Da erfährt man dann von Fußfehlern, einer No-Hit-Zone und Servicemodalitäten.
In den letzten Jahren hat sich eine kleine internationale Szene entwickelt, die Turniere in den großen Städten Europas veranstaltet. Die Stationen der ETS (European Roundnet Tour Series) sind heuer London, Paris, Stochholm, Padua und Prag. Pol Loutsch ist es gelungen, dass diese Tour auch in Wien Station macht. Ende August fand am Platz des FC Stadlau das zweitägige Turnier statt. Die Helden der Freizeit packten die Gelegenheit beim Schopf und schauten sich das an.
Das Turnier in Stadlau startete am Samstag in der Früh und dauerte bis Sonntag am späten Nachmittag. Dazwischen, Samstagnacht, war Platz für die Afterparty auf der Donauinsel. Der erste Tag stand im Zeichen der Gold-, Contender- und der Advanced-Division. Und obwohl für alle Divisions „All Gender“ gilt, wird auch eine eigene Frauendivision ausgespielt. Mehr als hundert Teams spielten bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen bis 35 Grad auf zwei Kunstrasenplätzen, auf denen mehr als fünfzig Netze aufgebaut waren. Neben Teams aus Österreich nahmen Duos aus Deutschland, der Schweiz, Italien, Rumänien, Frankreich, Großbritannien und sogar aus Amerika und Kanada teil. Insgesamt waren fast zwanzig Länder vertreten.
An so einem Turnier teilzunehmen ist relativ einfach. Abgesehen von der Goldklasse, für die man sich sportlich über eine Toplatzierung bei einem vorigen Turnier qualifizieren muss, meldet man sich einfach über das Internet an. Je nach Einschätzung der eigenen Fähigkeiten in eine der Kategorien Contender, Advanced oder Beginner. In den Divisions dürfen alle mitspielen, es gibt keine eigene Men´s Division. „Ich finde es wichtig, dass Frauen im Sport gefördert werden, deshalb gibt es bei Roundnet-Vienna keine Gendergrenzen. Roundnet ist eine relativ junge Sportart, da kann man durchaus noch Einfluss nehmen.“ Und wie kann das funktionieren? „Mir ist bei dem Turnier hier in Kagran zum Beispiel wichtig, dass alle das gleiche Preisgeld bekommen. In jeder Division kann man 300 Euro gewinnen“, so Loutsch.
Sieht man eine Zeit lang zu, bekommt man das Gefühl, dass der kompetitive Charakter des Spieles im Hintergrund steht. Judges gibt es erst, wenn überhaupt, ab dem Halbfinale. Strittige Entscheidungen werden untereinander ausdiskutiert, im Zweifelsfall wird der Spielzug wiederholt. „Das ist in Amerika anders.“ sagt Loutsch im Interview in Stadlau. „Dort spielen sie immer mit Judges. Da steht der Wettbewerb im Mittelpunkt.“
Noch ist Roundnet vor allem ein Sport, den man selbst ausüben muss. Zum Zusehen eignet er sich nur bedingt, vor allem in der Gruppenphase zu Beginn des Spieltages. Der Spielstand wird nur von den spielenden Teams mitgezählt und am Ende der Turnierleitung mitgeteilt. Will man wissen, wie es steht, muss man von Beginn an dabei sein. Und selbst da ist es für Laien schwer, den Überblick zu behalten.
Die Ballwechsel sind meist kurz und nach einem Aufschlag (man hat zwei, beim ersten Service wird daher viel riskiert) oder gelungenen Side-out vorbei. Umso spektakulär sind dafür längere Ballwechsel, die nicht selten mit Hechtsprüngen und spektakulären Ballrettungsaktionen, wie man sie vom Volleyball kennt, enden. Knieschützer sind ein nützliches Tool. Dass sich viele Teams spezielle Teamdressen erstellt haben, ist für die Zuseher:innen hilfreich, um sich bei den vier schnell um das Ringnetz laufenden Spielern zu orientieren. Wir verfolgen die Spiele von Dario Sommer und seinem Kollegen Stefan Geyer vom Team Rage Cage, die sich am Ende noch mit einem spektakulären Sieg gegen zwei einsatzfreudige Franzosen Platz 11 sichern und darüber bei über 40 Teams in ihrer Division zufrieden sind.
Auf dem Platz herrscht eine entspannte, lockere Stimmung. Am Spielfeldrand mischen sich die Teams untereinander und mit dem Publikum. Sie analysieren den Turnierverlauf, geben einander Tipps und tauschen Strategien aus. Man gratuliert einander zu Erfolgen und tröstet nach Niederlagen. Kennt man einander noch nicht von anderen Turnieren, wird sofort Kontakt aufgenommen. Der am meisten gesprochene Satz am ersten Turniertag lautet: „Where are you from?“
Manchmal scheint es wie ein großes Familienfest, bei dem auch Roundnet gespielt wird. Aber dahinter steckt harte ehrenamtliche Arbeit. Das ETS Event in Stadlau hatte eine Vorlaufzeit von neun Monaten. Platz buchen, Veranstaltung bewerben und Sponsoren suchen. Glaubt man dem Internet, dann hat ein amerikanischer Spieleentwickler namens Jeff Nukrek Roundnet erfunden, die zu Beginn noch Spikeball hieß. Findige Geschäftsleute sicherten sich aber die Namensrechte, so musste ein neuer Name gefunden werden. Nach Österreich kam der Sport 2018.
„Ich bin von Graz nach Wien gekommen und hab zuerst nur im Sommer gespielt.“ erzählt Loutsch. „Dann wollten wir auch im Winter spielen und brauchten eine Halle. Und dann ergab eines das andere. Wir trainierten und spielten Turniere.“ Organisiert ist die österreichische Szene in flach hierarchischen Landesverbänden, die in einem nationalen Verband zusammengefasst sind. Seit kurzem ist Vienna Roundnet unter das Dach der Sportunion geschlüpft. Das hilft vor allem bei der Organisation, wenn man einen Platz für ein Turnier braucht und bei der Logistik.
Finanziert wird so ein Event wie das Turnier in Stadlau vor allem durch das Nenngeld. Zwischen 20 und 75 Euro muss jedes Team bezahlen, wenn es mitspielen will. Es gibt ein paar kleine Sponsoren und am Ende geht es sich meist aus. „Man hofft zwar immer, dass etwas übrig bleibt, aber schließlich wird alles immer teurer.“
Und wo soll die Reise hingehen? Viele Sportarten, die im Trend lagen, standen bald einmal vor der Frage, ob sie ihre Unabhängigkeit ein Stück weit aufgeben und eine Aufnahme in das Olympische Programm anstreben. „Das ist eine gute Frage, aber eine, die sich die Community selbst stellen muss.“ sagt Pol Loutsch zum Abschluss des Gesprächs. „Die Marke Spikeball arbeitet schon daran, olympisch zu werden. Es gibt zum Beispiel die Idee, die Spannung am Netz zu normen. Ich finde es schon cool, in Richtung Olympia zu gehen. Dann wird das Ganze aber kompetitiver. Das Besondere an Roundnet für mich ist aber der Fairplaygedanke.“
Wer sich in Wien für Roundnet interessiert kann sich entweder auf der Homepage von Vienna Roundnet (https://viennaroundnet.at) umsehen. Oder man stattet dem Stadtpark oder dem Heldenplatz einen Besuch ab.
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Aufmacherfoto: (c) Fabian Schwarzinger
Der Chefredakteur der Wiener Alszeilen verfasst für heldenderfreizeit.com Buch-, Musik- und Spiel-Rezensionen, ist Video-Redakteur von CU TV und schreibt für das Musikmagazin Stark!Strom. Dazu berichtet er von Konzerten, Sport- und anderen Kulturevents und führt Interviews mit Stars und spannenden Persönlichkeiten.