Paul Auers Romane sind stets eigenständige Werke, die sich umsichtig und weitsichtig mit ihren Figuren und Themen beschäftigen und sich doch stets um einen gemeinsamen Kern drehen. Das gilt auch für Mauern, ein Buch, das sich nahtlos in das Literatur-Universum des Kärntners einfügt.
Eine Kritik von Peter Marius Huemer. Der freie Schrifsteller stellt euch in “Peters Buchtipp” jeden Monat ein außergewöhnliches Werk vor.
Joshua ist Schriftsteller und hält sich für Gottes Geschenk an die Menschheit. Natürlich entsprechen sein literarischer “Erfolg” sowie sein Privatleben nicht seinen luftigen Vorstellungen. Als leidenschaftlich manischer Megalomane ist damit eine tiefsitzende Kränkung der Welt gegenüber vorprogrammiert. Als endlich sein Erbe von der Oma freigegeben wird und er sich als Besitzer einer teuren Wohnung im ersten Bezirk wiederfindet, aber gleichzeitig seine Beziehung zerbricht, macht er sich daran, das größte Projekt seines Lebens in Angriff zu nehmen: das Weltbuch zu schreiben.
Obwohl es bei der Ausgangssituation des Plots scheinen mag, Mauern sei ein weiterer Roman, der sich selbstreferenziell um die Schriftstellerei dreht und dabei nach klassischer Manier des psychologischen Realismus funktioniert, könnte man mit dieser Annahme nicht falscher liegen. Schon nach wenigen Seiten wird klar, dass Mauern ganz andere Wege beschreitet. Die narzistische Getriebenheit Joshuas, seine egozentrische Faszination mit dem falsch verstandenen Bösen und seine Abgehobenheit befinden sich im Zentrum der Erzählweise. Seine Stimme ist es, die uns streng durch den verengten Blick seiner nicht ganz vertrauenswürdigen Augen, die Geschichte entdecken lässt. Da wundert es einen kaum, dass gleich zu Beginn des Romans ein Pakt mit dem Teufel steht – im wahrsten Sinne.
Das Buch baut in seiner kammerspielartigen Handlung einen hypnotischen Resonanzraum auf. Alle Aspekte schwingen im Gleichschritt. Die überbordende Sprache formt in unseren Köpfen eine klare Figur und die Symbole und Themen, die ihr entspringen oder von außen in ihr Erleben eindringen, fügen sich ein, als wären sie ganz klar und selbstverständlich notwendige Teile von ihr. Das alles gelingt, obwohl sich eine eindeutig absichtlich strenge Konstruktion dahinter zeigt – es ist künstlich, ohne künstlich zu wirken.
Ein starker und wiederkehrendre Aspekt des Romans ist das Böse, das einer (vorgeblich) berechtigten Traurigkeit entspringt. Die Kränkung und Enttäuschung Joshuas spiegelt sich in der Kränkung des Teufels und der Unverstandenheit des “Terroristen” Belinski. Beide, Belinski und den Teufel, wählt Joshua als Figuren für seine literarischen Werke, nachdem er für seinen Debütroman bereits Hitler zur zentralen Figur gemacht hat. Er verspricht ihnen, ihre Geschichte zu erzählen, damit sie endlich verstanden und geliebt würden. Dabei offenbart sich eine verquere, beinahe pathologisch verzerrte Weltsicht, eine Vorstellung von Gut und Böse, die nur von öffentlicher Wahrnehmung abhängt.
Gleichzeitig missachtet Joshua seine potentiellen Protagonisten vollständig und versteht sie bloß in Zusammenhang mit sich selbst, sieht in ihnen nur sein eigenes Spiegelbild. Er ist für sich die Mitte der Welt und obwohl er immer wieder aus seiner Selbstüberhöhung in tiefe Selbstzweifel stürzt, sind selbst die Zweifel nur ein Vehikel der Selbstbestätigung, indem er sie innerhalb von Sekunden in Gedanken entkräftet. Die Zweifel sind unehrlich und Teil der Kunstfigur, für die er sich hält. Ein Künstler muss an sich selbst zweifeln, also tut er das. Joshua ist ein durch und durch unsymphatischer Protagonist und trotzdem folgt man ihm mit masochistischer Begeisterung.
Joshua ist in sich selbst gefangen. Er ist neurotisch, isoliert sich über lange Strecken von seinen Mitmenschen und nimmt die Welt ausschließlich durch den Filter seiner ganz eigenen Vorstellung wahr. Jeden Satz, den eine andere Person spricht, passt er sofort in sein eigenes Mosaik ein, verzerrt das Gesagte bis zur Unkenntlichkeit und zwingt es in die Passform seiner prosaischen Vorstellungen. Obwohl er als Erzählfigur des Romans auch unseren Blick auf die Welt in Form zwingt, kann man immer wieder durch die Mauerritzen einen Blick auf die Realität erhaschen. Da ist Joshua beispielsweise von seiner Familie gekränkt und fühlt sich ach so schlecht behandelt, erklärt auch ausführlich warum. Aber nimmt man die Informationen für sich, zeigt sich, dass sein Vater ihn liebt, seine Großmutter ihm viel Geld vererbt und er es eigentlich selbst ist, der sie von sich stößt und über sie urteilt.
Überhaupt ist Mauern ein Roman, der oft zwei Geschichten gleichzeitig präsentiert. Da ist Joshuas Erzählung und die tatsächlichen Informationen, die sie vermittelt, abseits seiner ausschweifenden Ausführungen. Diese beiden Geschichten gleichzeitig zu lesen, das ist der große Genuss, den Mauern mit sich bringt. Man darf sich nur nicht an der Nase herumführen lassen. Darüber stülpen sich passgenau die fantastischen Aspekte des Romans, der Pakt mit dem Teufel.
Es empfiehlt sich auch die früheren Romane von Paul Auer in Vorbereitung zu lesen, denn einige Figuren wie Belinski und Luzifer sind wiederkehrende Charaktere, denen Auers zwei Vorgängerbücher (Fallen, Kärntner Ecke Ring) noch mehr Tiefe verleihen.
Mauern ist ein Roman, in den man nicht mit zu vielen vorgefertigen Erwartungen hineingehen sollte. Stattdessen sollten die Leser:innen sich in die hypnotische Erzählung und auf die ausufernd litarische Sprache des Protagonisten hineinfallen lassen. Ein symbollastiger, tiefgreifender und faszinierend ambivalenter Roman.
Mauern (Septime) von Paul Auer ist überall im Buchhandel und online erhältlich.
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Fotos: (c) Septime Verlag, Martin Rauchenwald, heldenderfreizeit.com
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.