In Babylon – Rausch der Ekstase will Damien Chazelle dem alten Hollywood ein Denkmal setzen, verzettelt sich aber zu oft in filmischen Überambitionen.
von Susanne Gottlieb
18. Jänner 2023: Wenn man etwas gewohnt ist von Damien Chazelle, dann ist es, dass er gerne auf die Tube drückt. Der mit seinem Debüt Whiplash berühmt gewordene Regisseur hatte sich immer den großen, spektakulären Epen voller Musik und Tanz verschrieben, in denen er die Künstlerszene, den Traum vom Ruhm und den Griff nach den Sternen verarbeitete. Selbst auf sein Mondflug-Drama First Man trifft diese Beschreibung im weitesten Sinne zu.
In Babylon – Rausch der Ekstase richtet sich sein Blick nun auf die frühen Jahre der Filmindustrie. Den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm und die Implikationen, die das mit sich brachte. Kein neues Thema. Immerhin haben sich schon der Musicalklassiker Singing in the Rain, der hier auch mehrfach referentiert wird, sowie der vor einigen Jahren erschienene The Artist mit diesem Bruch auseinandergesetzt. Chazelles Film möchte hier im gewohnt großen Stil dazu beitragen. Und übernimmt sich leider dabei.
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Hollywood, 1926: Der Stummfilm ist in voller Blüte. Die Studios werden von willigen Stars gestürmt, die Partys sind provokative Orgien voller Drogen. In dieser Zeit ist Jack Conrad (Brad Pitt) ein gefeierter Star auf der Leinwand. Die junge Nellie LaRoy (Margot Robbie) hingegen kommt gerade frisch aus New Jersey und will es weit in Hollywood bringen. Sie alle treffen auf der Party eines großen Hollywood-Studiochefs aufeinander, wo die Drogen fließen, der Exzess gefeiert wird und generell alles viel weniger konservativ daherkommt, als man von Hollywood eigentlich gewöhnt ist. Mit dabei ist auch Manny Torres (Diego Calva), der sich nichts sehnlicher wünscht, als auf einem Filmset zu arbeiten. Er trifft Nellie, in die er sich sofort verliebt, sowie Jack, dessen Assistent er wird. Das ist die Sprungleiter, die er gebraucht hat, um in der Industrie Fuß zu fassen. Auch Nellie bekommt ihre Chance und wird zum gefeierten Filmstar.
Doch mit dem Übergang zum Tonfilm 1927 gerät die Weltordnung aus den Fugen. Während Manny sich gut anpassen kann und kreative Ideen forciert, sind die Herausforderungen für Nellie zu groß, die zunehmende Elitisierung der High-Society-Hollywoodkreise bleibt ihr fremd. Jack mag zwar etwas von gehobenen Kreisen verstehen, aber das Publikum findet ihn inzwischen lächerlich, wie ihm Klatschreporterin Elinor St. John (Jean Smart) erklärt. Auch die asiatische Kabarettsingerin Lady Fay Zhu (Li Jun Li) und der afro-amerikanische Jazzmusiker Sidney Palmer (Jovan Adepo) werden als People of Colour und auch im Fall von Fay als Mitglied der LGBTQI-Community mit neuen, konservativeren und rassistischen Herausforderungen konfrontiert. Hollywood ist im Umbruch. Und doch, die Figuren können sich seiner Magie nicht entziehen.
Wie ein Anti-Singing in the Rain entfaltet sich Damien Chazelles (mit drei Stunden Laufzeit doch viel zu lang geratenes) Drama. Damit gibt er die alten Stars der Stummfilm-Ära nicht der Lächerlichkeit preis, sondern fühlt mit ihnen. Sein Jack, sogar seine wesentlich jüngere Nellie, sind Produkte ihrer Zeit, leben von dem kreativen Chaos, das die Filmbranche zu Beginn noch reflektierte. Diese Momente, in denen Chazelle seinem Material vertraut und diese Diskrepanzen zwischen blühender Stummfilm- Industrie und mechanischen Tonfilmanforderungen zeigt, sind mitunter die stärksten Elemente der Geschichte.
So taumelt Nellie bei ihrem ersten Job durch eine große leere Wiese, die als Studio-Bereich gilt. Hier sieht man, wie ein Set dicht gepackt ans nächste bespielt wird, das Chaos regiert und Feuer bei einer Kulisse nicht bedeutet, das bei der nächsten nicht weiter gedreht werden kann. Dies konterkariert er geschickt mit den überhöhten Bedingungen eines Tonfilmsets, wo stets der Ton nicht passt, eine aufgerissene Tür sofort den Take ruiniert und die neuen Soundtechniker wie Bösewichte über die Produktion herrschen. Michael Frayn, Autor von Noises Off, hätte seine Freude an dem Skript gehabt.
Leider schießt Chazelle (wie so oft) er über das, was gut funktioniert, hinaus. Die kleineren Momente werden erdrückt von choreographierter Epos und Extravaganz. Nach dem viel ruhigeren und gelungenen First Man muss er anscheinend wieder konstant aus allen Rohren schießen. Fragen (zB. Was es mit Nellies Mutter im Sanatorium auf sich hat ) werden kurz gestellt, aber nicht mehr weiter verfolgt. Prominente Stars tauchen in kleinen Rollen auf und verschwinden sofort wieder. Ebenso erdrückt die unerwiderte Liebe Mannys zu Nellie über den mehrjährigen Lauf der Handlung dessen Charakterentwicklung. Hier ist sie wieder – die männliche Fantasie des “good guy”, der irgendwann mal bei der ihn nicht erhörenden Frau seiner Träume landen wird, wenn er nur lang genug dran bleibt.
Dass der Film dann in den letzten Minuten noch in ein emotional auf die Tränendrüse, selbstbeweihräucherndes “Filme sind toll und magisch”-Plädoyer umkippt, macht ihn höchstens zu einem allzu offensichtlichen, aggressiven “Oscar Bait”-Material, als (wie wohl angedacht) tiefgründig. Man wolle “Teil von etwas Größerem sein”, bekundigen sich Manny und Nellie, als sie sich bei der Party 1926 kennen lernen. Denn egal wie kritisch man mit der Industrie ins Gericht ziehen will, am Ende klopft sie sich immer zufrieden selbst auf die Schulter. Insofern passt da Chazelles Film nur allzu gut rein.
Babylon – Im Rausch der Ekstase überzeugt mit einigen tollen Sequenzen und seiner Rekreation der 20er des letzten Jahrhunderts. Er ist aber zu aufgeblasen und präpotent, um wirklich als Film begeistern zu können.
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Alle Fotos: (c) Constantin Film
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.