In der Kritik zeigt das neue Pokémon Karmesin und Purpur die Visionen, die die Pokémon Company für die Zukunft des Franchise hat. Leider bereiten technische Probleme dem Spielvergnügen im Open-World-RPG einen Dämpfer.
von Sophie Neu
20. November 2022: Jetzt ist es also soweit und auch die Hauptreihe von Pokemon wird nach dem letztjährigen Ableger Pokémon Legenden: Arceus zum Open-World-RPG. Ein Grund zur Freude, würde man meinen – und hat großteils recht. Aber dann ruckeln und stottern Pokémon Karmesin und Purpur im Test so stark (und das sowohl auf der Nintendo Switch Lite als auch auf der Standard-Switch), dass einem der Spielspaß stellenweise verleidet wird. Nichtsdestotrotz channelt das neue Pokémon den Charme alter Teile und stimmt optimistisch für die Zukunft – bessere Hardware vorausgesetzt.
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Pokémon Karmesin und Purpur wären keine Pokémon-Titel, wenn einem nicht am Anfang die Wahl zwischen drei knuffigen Starter-Pokemon gegeben würde. Diesmal werden Feuer-Pokémon Krokel, Wasserpokemon Kwaks und Felori, das Pflanzenpokemon, dem Spieler beim Start von Direktor Clavel übergeben. Seine Akademie ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Als Neuzugang an der Schule wird man auf ein großes Abenteuer geschickt: Die Schatzsuche. Sie führt durch die Paldea-Region, die an Spanien angelehnt ist.
Dabei erweitert die neunte Pokémon-Generation das bereits aus Pokémon Schwert und Schild bekannte Open-World-Konzept der Naturzone und weitet es auf das ganze Spiel aus. Anders als in Pokémon Legenden: Arceus (hier unser durchaus positives Testfazit), das dieses Prinzip 2021 einführte, bevölkern in Karmesin und Purpur viele kleine und größere Orte der Map von Paldea, wodurch sie um einiges lebendiger wirkt. Die Städtchen von Pokémon Karmesin und Purpur überzeugen mit eigener Identität. Vom blumenreichen Künstlerdorf bis zur geschäftigen Hafenstadt schafft die neue Edition erinnerungswürdige Orte.
Leider bleiben die Städte oberflächlich – Gebäude dienen in Pokémon Karmesin und Purpur großteils zur Zierde, ein Innenleben haben die wenigsten. Alteingesessene Fans der Reihe werden die lustigen Dialoge in den Büros und Häusern von früheren Teilen vermissen. Auch die Geschäfte haben großteils ihr Innenleben verloren, nur wer zum Friseur oder einem bestimmten Sandwich-Restaurant schaut, wird ein Interieur mit NPCs finden.
Dafür ist die Orangen-Akademie (respektive Trauben-Akademie für Pokémon Purpur) umso umfangreicher. Von ihr wird man hinaus in die weite Open-World geschickt, um allerlei Abenteuer zu erleben. Zahlreiche Klassensäle, eine Mensa, ein Trainingsplatz und mehr sollen dem Spieler als zweite Heimat dienen. Zusätzlich werden zahlreiche Kurse angeboten, die im Laufe des Spiels immer weiter freigeschaltet werden. Sie sind gerade für Pokémon-Einsteiger eine nützliche Hilfe. Leider fehlen im Spielverlauf aber die Anreize, öfters zurück in die Akademie zu kehren. Updates zu neuen Kursen werden in der oberen rechten Bildschirmecke als Pop-Up leicht übersehbar kurz eingeblendet und verschwinden dann wieder aus der Wahrnehmung des Spielers.
Die Handlung von Pokémon Karmesin und Purpur hängt sich an der Schatzsuche der Akademie auf. Die Schüler werden in die Paldea-Region geschickt, um Abenteuer zu erleben. Auf diese vage Aufgabenstellung folgt erstmal Überforderung. Auf der ganzen Karte ploppen Icons mit Missionen auf. Einerseits soll man den Bossen vom bösen Team Star den Garaus machen, andererseits Arenaorden sammeln. Und dann wären da noch die legendenumwobenen Herrscher-Pokémon, die man finden muss.
Die früher charakteristische Linearität von Pokémon wurde hier aber augenscheinlich über den Haufen geworfen. Im Endeffekt verrät einem die Karte beim genauen Lesen dann doch, dass Arenaleiter und Team-Star-Chefs gewisse Schwierigkeitslevel haben. Dafür muss man sich aber erst einmal mühsam mit der ganzen Karte auseinandersetzen.
In Sachen Monster hat Pokémon Karmesin und Purpur sich auch abseits der drei Starter einige Neuerungen ausgedacht. Zum einen wären da die mystischen Wesen Koraidon in Karmesin und Miraidon in Purpur. Mit ihnen kann man die Map schneller durchqueren – das ist äußerst hilfreich, immerhin ist die Welt riesig. Es ist um einiges leichter geworden, den Pokedex, also die Datenbank aller Pokémon in Paldea, zu vervollständigen. Immerhin streunen die Wesen jetzt sichtbar in der Welt herum und können gezielt angesteuert werden. Zum anderen hat man sich diesmal die Tera-Kristallisierung ausgedacht, die die Poketmonster nicht nur glitzern lässt, sondern Attacken ihres Tera-Typs verstärkt.
Trotzdem behält das Spiel durch cleveres Größenmanagement und unterschiedliche Aggressionslevel der Monster eine gewisse Wahrscheinlichkeit bei, unfreiwillig in Kämpfe zu geraten. So wahrt es den Charme alter Zeiten, als man noch auf gut Glück durch das hohe Gras wandern musste, um überhaupt einem Pokémon zu begegnen.
Die Hardware der Nintendo Switch macht es Open-World nicht einfach, das beweisen Pokemon Karmesin und Purpur einmal mehr. Wo schon zum Launch von The Legend of Zelda: Breath of the Wild Framerate-Einbrüche sichtbar waren, gibt es fünf Jahre später logischerweise bei einem weiteren Open-World-Titel auf der Switch genauso Probleme.
Dass die Texturen von Pokémon Karmesin matschig sind – geschenkt. Das kann man als eigenwilligen Charme der Reihe abtun. Aber dauerndes Stottern und Nachladen der Kameraführung und von animierten Objekten in der Welt enttäuschen dann mit der Zeit dann doch. Darüber können auch verspielte kosmetische Details, wie liebevoll animierte Haare und Textilien, die im Wind flattern, nicht hinwegtrösten.
Pokemon Karmesin und Purpur sind eine Weiterentwicklung in Richtung eines modernen Franchise. Man merkt aber: Die Technik des RPGs hinkt hinter seinen durchaus kreativen Ideen hinterher. Dieser Mangel an Polish löst Unverständnis aus in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Pokemon um das wertvollste Medienfranchise überhaupt handelt. Abseits der technischen Mängel muss man aber sagen: Die Welt und die Abenteuer, in die Pokemon Karmesin und Purpur einen stürzen, verzaubern so wie jeder bisherige Teil.
Pokémon Karmesin und Purpur sind seit 18. November für Nintendo Switch erhältlich.
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Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.