„Du hast ja ur die Muschikraft!“ Diese Worte entzündeten vor zwei Jahren Sophie Tschannetts Idee für ihr Unternehmen Muschikraft. Die 34-jährige Wienerin hat ein einzigartiges Bier auf den Markt gebracht, das nicht nur gut schmeckt, sondern auch enttabuisiert: auf dem Etikett sieht man eine Vulva. Über unsere Heldin des Monats und ihr berauschend feministisches Engagement.
von Verena Fink
„Das Bier soll alle mitdenken“. Ich treffe mich mit Sophie Tschannett im Zoom-Raum. Die 34-Jährige war Sozialarbeiterin, mittlerweile hat sie sich voll und ganz ihrem Unternehmen zugewandt: Muschikraft. “Ich find’s super, wenn typische Männer das Bier trinken, freue mich aber vor allem, wenn es Personen konsumieren, die sonst gesellschaftlich nicht so mitgedacht werden.“
Das gilt auch für ihre anderen Produkte. Sophie hat vor zwei Jahren angefangen, Sticker mit Vulven in Wien zu verteilen, mittlerweile gibt es auch ein eigenes Merch und weitere gemalte Kunst. Seit einem halben Jahr kann man sich an rund 40 Standorten in Wien ein intersektional-feministisches Muschicraft-Bier bestellen. Ein Teil des Erlöses (10 Cent pro Bier) wird an den Verein der Autonomen Frauenhäuser gespendet. Wie Sophie Muschikraft bzw. das Muschicraft Bier aufgebaut hat, warum eine Fahrt mit dem Tretboot den Grundstein für ihr Unternehmen legte und mit welchen weiteren Bieren von Sophie wir in Zukunft auf den Feminismus anstoßen können. Unsere Heldin des Monats im Interview.
Sophie: Meinen Instagram Account gibt es seit etwa seit zwei Jahren. Da bin ich auch gestartet mit Stickern. Vor zwei Jahren war ich mit einer sehr guten Freundin Tretbootfahren an der Donau und sie hat mir erzählt, dass ihre Chefs sie despektierlich behandelt haben. Weil sie eine Frau ist. Sie hat dann sehr cool gekontert und diese beiden Chefs wirklich an die Wand gespielt. Dann ist mir spontan über die Lippen gerutscht: „Ja, das ist weil du ur Muschikraft hast!“. Und so war dieses Wort da.
Das hat mich dann nicht mehr losgelassen. Ich habe mir gedacht, du bist es dir und dem Feminismus schuldig, dass du mit diesem Wort was machst. So habe ich das Wort dann sacken lassen und in der Zeit auch begonnen, mich mit dem Thema Femizide mehr auseinanderzusetzen. Ich wollte es dort einsetzen, um meine Kreativität auszudrücken, aber auch um auf Defizite im System hinzuweisen, mit denen Frauen zu kämpfen haben. Dann habe ich begonnen, Vulven-Sticker zu gestalten und den Erlös an Frauenhäuser gespendet. So war dann der erste Samen gesät. Die Sticker sind sehr gut angekommen und wurden auch über die Grenzen von Österreich hinweg bestellt.
Die Bier-Idee kam dann ein Jahr später. Ich hatte begonnen, Muschikraft Merch bzw. Bilder zu verkaufen. Immer mit dem Zusatz, dass Erlöse daraus an Frauenhäuser gespendet werden. Ich habe dann gemerkt, dass wird mir mit meinem Beruf als Sozialarbeiterin zu viel. Ich musste dann entscheiden, ob ich nun selbstständig werde mit Muschikraft oder nicht. Und mich dann für Muschikraft entschieden.
“Jedes Mal haben sie meinem Freund das Bier hingestellt, das ich bestellt hatte.”
Ich bin selbst sehr passionierte Biertrinkerin und habe beobachtet, dass es noch viele Leute gibt, die glauben, dass Frauen kein Bier trinken. Zum Beispiel wurde jedes Mal meinem Freund das Bier hingestellt, obwohl ich es bestellt hatte. Ich habe dann darüber nachgedacht und wollte die männliche Konnotation von Bier umdrehen. Und das nicht, weil ich Männer ausgrenzen will, sondern weil ich ein inklusiveres Bier wollte. Es ist kein Getränk für Frauen, sondern eine coole Alternative für Frauen und queere Menschen, die sich damit einfach besser abgeholt fühlen als mit dem klassischen Oberkörperfrei-Bier.
Ich braue das Bier nicht selbst. Ich kooperiere mit einer kleinen Brauerei, der Manufaktur Schalken in der Lobau. Das sind Roland und Anna, ein junges Pärchen, die offen und mutig genug waren, das Bier zu brauen. Wir haben auf eine bestehende Bierrezeptur von den Schalken zurückgegriffen und das Rezept verfeinert, indem wir eine andere Hopfen-Zusammenstellung gewählt haben. Es war gar nicht so einfach, eine Brauerei zu finden, die das macht und auch die Kriterien erfüllt, die für mich wichtig sind. Für mich war eine faire Kette Voraussetzung. Die Branche ist übrigens super männerlastig, was mich sehr überrascht hat. Ich wollte das aufmischen und mal schauen, was passiert.
Nein. Ich könnte so in der Form noch nicht davon leben. Das ist auch glaub ich für den Anfang, wenn man sich etwas aufbaut, nicht unbedingt untypisch. Ich habe Ausgaben für die Website, Vertrieb, Etiketten Design, so Geschichten. Mich kostet das Bier beim Einkauf einfach noch sehr viel. Bei solchen Dingen muss ich noch nachschärfen und schauen, dass der Vertrieb größer wird. Allerdings halte ich es für sehr realistisch, dass ich im nächsten Jahr davon leben kann.
Momentan bin ich daran, Muschicraft beliebter und bekannter zu machen, besonders der Aufbau von Muschicraft Berlin bzw. die Ausweitung in ganz Österreich zieht am meisten an meiner Kapazität. Für nächstes Jahr ist geplant, neben dem Pale Ale ein Helles zu machen. Also ein Märzen und ein alkoholfreies Bier. Das ist mein Wunsch für 2023 in Österreich. Ich würde den Vertrieb auch gerne auf ganz Östereich ausbauen. Interesse besteht von Seiten der Bundesländer bereits. Ich bin aber auch gerade Mama geworden und das ist insgesamt einfach so unglaublich viel, da muss ich schauen, dass ich mich nicht total übernehme.
Ich würde sagen, tendenziell hat das Positive zum Glück überwogen. Aber mir war schon klar, wenn ich mit einem Bier rausgehe, welches ich Muschicraft nenne und auf dem eine Muschi ist, packen das nicht alle Leute. Österreich ist ein sehr konservatives Land. Die ÖVP regiert. Es ist unglaublich katholisch. Da sind solche Reaktionen nicht überraschend. Ich finde Kritik an sich gut und wichtig, trotzdem gab es einfach sehr komische Argumente. Zum Beispiel hat eine Frau geschrieben, sie mache sich Sorgen, dass ich ihre pubertierenden Burschen mit der Vulva am Bier sexuell versaue.
“Eine Vulva auf dem Etikett ist wahrscheinlich das Harmloseste, was wir in der heutigen Zeit erleben.”
Das habe ich nicht verstanden. Das mit dem Versauen passiert ja sowieso. Eine Vulva auf dem Etikett ist wahrscheinlich das harmloseste, was wir in der heutigen Zeit erleben. Auch noch sehr unangenehm war für mich ein Anruf vom österreichischen Werberat, wo eine Beschwerde wegen Muschicraft eingegangen war. Da hatte sich eine Person anonym beschwert, weil sie sich im Alltag davon belästigt fühlte. Das finde ich einfach nicht verhältnismäßig. Ich hoffe, dass diese Person sich bei jeder Werbung und jedem Mal, wenn sie sexualisierte Werbung sieht, beschwert. Sexualisiert ist unsere Welt sowieso.
Nein, das ist tatsächlich Zufall. Mit der Rezeptur habe ich eigentlich gar nicht so viel zu tun. Da muss man echt dem Brauer auf die Schultern klopfen. Ich war in der Brauerei und hab mich dort durchprobiert. Wir haben dann eben einfach ein bereits bestehendes Bier genommen, etwas am Hopfen verändert und dann zu meinem Bier gemacht.
Die Zutaten sind leider nicht Bio. Das wäre sonst nämlich absurd teuer. Es ist ja jetzt schon ein teures Bier. (Anmerkung: bei markta kostet eine 0,33L Flasche Muschicraft 3,99 Euro) Wenn du entscheidest, bei einer Kleinbrauerei zu brauen, das kostet. Ich musste da abwiegen, was passt für mich zu diesem Bier. Ich finds schön, eine kleine Brauerei supporten zu können und habe damals auch nicht damit gerechnet, dass das mit dem Bier so durch die Decke geht. Bis jetzt habe ich ungefähr 14 Tausend Biere verkauft. Wenn ich den österreichischen Markt komplett bespielen will, werd ich mir eine zweite Brauerei hinzunehmen müssen. Mir war aber wichtig, dass die Zutaten regional sind. Das Einzige, was wir aktuell aus Bayern beziehen, ist der Hopfen. Der Rest eben aus Österreich. Mir ist die Umwelt und der Mensch wichtig – ich gebe mein Bestes dafür, meine Produkte dementsprechend zu gestalten.
Bevor ich ein Baby hatte, hatte ich Freizeit. Mit Muschicraft bleibt momentan einfach ganz wenig Zeit für mich, das ist der Tribut, den ich momentan zahle. Aber grundsätzlich gehe ich unglaublich gerne spazieren und male sehr gerne. Kunst nimmt einen großen Raum ein. Ich liebe auch Musik – mein Freund ist sehr musikalisch. Ich gehe auch gerne Bier trinken mit Freund:innen bzw. habe ich das gerne vor dem Baby gemacht.
Es ist eher nicht ein Ziel sondern unterschiedliche Ziele auf mehreren Ebenen. Ein Ziel ist es, dass ich nächstes Jahr von Muschikraft voll leben kann. Die Umstellung vom Angestelltenverhältnis zum Selbstständigen-Verhältnis war auch hart. Es ist ungemein schwierig, wirklich Geld zu verlangen, für das, was man tut. Ich habe das Gefühl, dass es vor allem Frauen betrifft bzw. Menschen, die Diskriminierung häufig erleben. Das, was ich tue, hat einen finanziellen Wert und das muss ich auch ausdrücken. Ich muss einfach härter werden und sagen – das kostet etwas. Ich will da eine Sicherheit bekommen.
“Viele Frauen sind gewohnt, ehrenamtlich zu arbeiten (…) Man sollte sich nie unterm eigenen Wert verkaufen.”
Viele Frauen sind gewohnt, ehrenamtlich zu arbeiten. Bei der Care-Arbeit sind wir auch gezwungen, alles gratis zu machen. Dementsprechend ist der Schritt schwierig zu sagen, oida na, ich kann dir mein Bier jetzt nicht gratis geben. Ich muss auch meine Miete zahlen. Das ist ein persönliches Ziel von mir, da dann auch andere Personen zu motivieren. Man sollte sich nie unterm eigenen Wert verkaufen.
Jedes Monat stellen wir dir eine spannende Person vor, die mit ihrer Kreativität, ihrem sozialem Engagement oder aufgrund einer besonders ausgefallenen Tätigkeit glänzt. Unsere bisherigen Held:innen des Monats:
Helmuth Stöber von VOI fesch: “Geht um Talent, nicht um Behinderung”
Magdalena von Veganimals: “Wir essen hier niemanden!”
Andi Goldberger: “Jeder schreibt seine eigene Heldengeschichte!”
Street-Artist Rob Perez: “Jeder Charakter ist ein Teil meines Lebens”
Felix Hnat: „Früher habe ich mich über Vegetarier:innen lustig gemacht“
Andreas Onea: “Der Unfall war für mich ein Segen!”
Perrine Schober von Shades Tours: “Ein Sprungbrett für Obdachlose”
Comedian David Stockenreitner: “Pessimismus lässt mich oft im Stich”
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