Disney fährt wieder auf der Live-Action-Remake-Schiene. Diesmal im Visier: Pinocchio, der Animationsklassiker aus den 40ern. Wobei diese Version von Robert Zemeckis wohl keinen Klassiker-Status erreichen wird.
von Susanne Gottlieb
8. September 2022: Einst galten sie als garantierte Blockbuster. Doch seit Disney mit Tim Burtons Alice im Wunderland (2010) eine wahre Lawine an Live-Action-Remakes (oder Variationen des Stoffes) losgetreten hat, wurden die Einnahmen immer geringer. Die Qualität immer schlampiger, die Originalität immer spärlicher. Inzwischen ist ein Klassiker wie Pinocchio, dessen “When you wish upon a star” zur Disney-Titelmusik erhoben wurde, in seiner Adaption auch nur mehr auf Disney+ zu finden.
Die Marke Live-Action hat somit den inflationären Home-Video-Status der 2000er erreicht. Damals, als jeder Animationsfilm ein um Welten schlechteres Sequel fürs Heimkino erhielt. Oft von Leuten, die das Original und dessen besondere Sprache nie verstanden hatten. Doch warum fällt auch Pinocchio in diese Schublade? Wir verraten dir, warum du den Film, der ab heute 8. September auf Disney+ läuft, getrost überspringen kannst.
Um seine Einsamkeit nach dem Tod des Kindes zu überwinden, fertigt der Uhrmacher Geppetto (Tom Hanks) eines Abends eine Marionette aus Kiefern an, die er Pinocchio nennt. Beim abendlichen Gebet wünscht er sich nichts mehr, als dass Pinocchio ein richtiger Junge wird. Und er wird erhört. Zumindest zum Teil. Die blaue Fee (Cynthia Erivo) erweckt Pinocchio (Benjamin Evan Ainsworth) zum Leben, aber er ist immer noch eine Holzfigur. Um ein richtiger Junge zu werden, muss er lernen mutig zu sein, ehrlich und selbstlos.
Damit der wie frisch aus dem Ei geschlüpfte und weltnaive Pinocchio das schafft, ernennt die blaue Fee die Grille Jiminy Cricket (Joseph Gordon-Levitt) zu seinem Mentor und Gewissen. Zuerst lebt Pinocchio mit Geppetto, Jiminy, dem Kater Figaro und Cleo dem Goldfisch ein zufriedenes Leben. Doch um ein richtiger Junge zu sein, sollte er auch in die Schule gehen. In der weiten Welt lauern aber die Versuchungen, vor denen die blaue Fee gewarnt hat. Und bald treffen Pinocchio und Jiminy nicht nur auf die Betrüger Honest John (Keegan-Michael Key) und Gideon, sondern auch auf den aggressiven Puppenspieler Stromboli (Giuseppe Battiston), den düsteren Kutscher (Luke Evans), aber auch die freundliche Puppenspielerin Fabiana (Kyanne Lamya), sowie die hilfsbereite Möwe Sofia (Lorraine Bracco).
Irgendwie ist es mit den Live-Action Adaptionen inzwischen wirklich fad geworden. Haben die kreativen Kräfte hinter diesen Remakes zu Beginn wenigstens noch versucht, hier was Neues zu erzählen, ist die ganze Anglegenheit inzwischen nur mehr ein reines Abspulen und Kopieren der Vorlage. Mit dem Unterschied, dass zumindest ein Teil der Figuren echt ist. Geld scheint hier eine Rolle gespielt zu haben. Von der Zeit und der Mühe, bei einem historischen Setting auch mal ein wenig Geld zu investieren, ist hier nicht mehr viel übrig. Der ganze Film wirkt wie am Computer animiert, eine 3D-Simulation der Animationsvorlage, die einen keinen komischen Déja Vu Schauer beschert. Es ist zwar nicht so verstörend wie Der Polarexpress, aber das liegt wohl eher an den 20 Jahren CGI-Entwicklung.
Gleichzeitig versucht Regisseur Robert Zemeckis, aus welchem Grund auch immer, hier besonders originell im Humor zu sein. Dad Jokes oder kleine Seitenhiebe auf das Showbiz sollen das für ihn erledigen. Dass Pinocchio, der aus Kiefer (also “pine” im Englischen) besteht, doch den Künstlernamen “Chris Pine” wählen soll, ist nicht mehr als ein müdes Lächeln wert. Genauso ein Kommentar von Jiminy Cricket, dass Menschen nicht ehrlich sind, “vor allem wenn sie Agenten sind”. Vorgetragen wird das alles in kitschigen, falschen italienischen “It’s a meee, Mario” Akzenten, oder im breitesten Cockney Englisch. Fast so, als hätten die Darsteller gewürfelt.
Dass die Live Action Adaptionen inzwischen fast immer eine problematische Zeitgeist-Situation der Vorlage transportieren, ist inzwischen nichts Neues. Ob das nun Belles Emanzipation als Erfinderin ist, oder die ursprünglich mit rassistischen Vorurteilen aufgeladenen Raben in Dumbo. Pinocchio wird hierbei zum Vehikel für Identitätspolitik und Gleichberechtigung. “Ich bin nicht diejenige, die darüber urteilt was echt ist,” erklärt die blaue Fee auf die Frage, ob Pinocchio ein richtiger Junge werden kann. Auch später wird der hölzerne Bub daran erinnert: “Es geht nicht darum, woraus du gemacht bist, sondern was in deinem Herzen ist“. Das ist auch so weit okay, auch wenn man dadurch schon meilenweit vorausahnen kann, dass das Ende ein wenig anders ablaufen wird.
Der Rest ist wie bereits erwähnt eine eher uninspirierte 1:1-Kopie der Vorlage, in der selbst so bizarre Entscheidungen übernommen wurden wie Honest John und Gideon als einzige Figuren erneut zu Tieren zu machen. Auch die Haustiere, Kater Figaro und Goldfisch Celo, bekommen anthropomorphische Gesichter. Hier hat Disney kein Rezept gefunden, was real wirken soll und was animiert. Im Gegensatz zur optischen Kopie versteht Zemeckis aber nicht den düsteren Ton der Vorlage. In der Animation war die Verwandlung der Kinder in Esel traumatisierend. Hier wischt der Regisseur ohne Feingefühl für die Umsetzung drüber. Ebenso sind die Musicalszenen sehr karg gehalten, warum ein talentierter Sänger wie Luke Evans eine Nummer im Dunkeln darbieten muss, weiß wohl niemand.
Das ist sehr schade für Zemeckis, der in den letzten 20 Jahren Jahren einfach keinen respektablen Hit mehr auf die Beine gestellt hat. Die häufige Animation des Hintergrunds, verbunden mit großteils sehr nahen Einstellungen unddie absolute Geschliffenheit der Szenerie lassen das Ganze wie einen sehr kleinen Film wirken. Selbst mittelmäßige Adaptionen wie Die Schöne und das Biest wirken dagegen opulent in der Ausstattung. Allein Pleasure Island erlaubt eine Minute Wow-Effekte, wenn Pinocchio sich durch die Vergnügungshölle des Karnevals plagt.
Es ist fast nicht zu glauben, dass dies der Mann ist, der uns Klassiker wie Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten, Zurück in die Zukunft I-III, Falsches Spiel mit Roger Rabbit, Der Tod steht ihr gut, Forrest Gump, Contact und Cast Away beschert hat. Verschollen wie Hanks in Cast Away scheint seither auch seine Sensibilität für das Filmemachen zu sein. Da hilft es auch nicht, dass er wieder mit seinem langjährigen Partner Tom Hanks zusammenarbeitet.
Pinocchio ist fast beleidigend simpel, wie auf einem Schmierzettel hingepatzte Unterhaltung, die weder von Begeisterung noch Liebe zum Filmemachen zeugt. Als würde Disney im immer schnelleren Takt sich noch durch den Rest des Katalogs spulen wollen. Pinocchio mag nie einer der großen Disney-Filme gewesen sein. Immerhin wurde er als erstes in den 80ern aus dem hochheiligen Disney-Tresor den Massen als Home Video zugänglich gemacht. Aber selbst er hätte mehr verdient gehabt. Unser Tipp: Besser nochmal einen dieser 18 besten Disney-Klassiker auf dem Streaming-Dienst schauen.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.