Life imitates Art. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war einst Comedian. Dem jetzigen Präsidentenamt ging die Diener des Volkes Serie zuvor – ein kleiner Lehrer wird unerwartet ins höchste Amt gewählt und will das Land umkrempeln. Ab jetzt gibt es die ersten drei Staffeln auf Netflix. Wir verraten euch, was sie sehenswert macht.
von Susanne Gottlieb
17.05.2022: Viel hat sich seit dem 24. Februar 2022 in der Welt getan. Russland marschierte in der Ukraine ein, Russland wurde von der Welt isoliert, der Rubel ist im Keller, eine Gas-und Teuerungskrise greift um sich, Schweden und Finnland stehen vor dem NATO Beitritt, am Samstag hat die Ukraine den Song Contest gewonnen. Ebenfalls eine Konsequenz des Krieges. Der ukrainische Präsident und einstige Komiker Wolodymyr Selenskyj ist bis über die Landesgrenzen hinaus berühmt geworden.
Ein Begriff wird er aufmerksamen Politbeobachtern schon vorher gewesen sein. Er war in den Ukraine Skandal rund um Donald Trump und Hunter Biden verwickelt. Trump hatte ihn gebeten, verwerfliches Material gegen Biden zu sammeln, was einen Antrag auf Amtsenthebung nach sich zog. Im Gegenzug hatte Trump gedroht, sonst die Hilfsgelder vorzuenthalten. Ein noch leichteres Fressen für Russland also, das schon lange nicht mit dem immer westlicher werdenden Land glücklich war.
Der Weg zum Präsidentenamt begann für Selenskyj über seine Tätigkeit als Comedian, und ganz besonders über die Serie Diener des Volkes, in der er ebenfalls einen kleinen Mann des Volkes spielt, der über Nacht zum Präsidenten wird. Mit seiner Partei “Sluha narodu”, der ukrainische Name für Diener des Volkes, trat er nach Ende der Serie tatsächlich zur Kanditatur an und gewann 2019. Mit dem Push Richtung Westen machte er sich im Osten Europas aber keine Freunde.
Nach der deutschsprachigen Premiere der ersten Staffel am 19. November 2021 in der ARTE Mediathek übernimmt Netflix nun ab dem 17. Mai alle drei Staffeln. Wir haben uns die erste angeschaut und verraten euch, warum ihr auf jeden Fall auch reinschauen solltet. Und hier gibts die weiteren Netflix-Starts im Mai.
Der Geschichtslehrer Wassyl Petrowitsch Holoborodko (Wolodymyr Selenskyj) hat in den letzten Monaten viel mitmachen müssen. Zum einen wäre da die Trennung von seiner Frau Olga (Olena Kravets), wegen der er wieder bei seinen Eltern Petr und Maria (Victor Saraykin und Natalya Sumska) einzieht. Zum anderen ist da aber auch die geringe Wertschätzung seines Fachs an der Schule. Die Präsidentschaftswahlen stehen bald an, und als die Schüler wieder mal aus dem “unwichtigsten Fach” für Nebendienst geholt werden, explodiert Wassyl wütend. Genau diese Ignoranz gegenüber der Geschichte sei der Grund, warum man bei der nächsten Wahl den nächsten Oligarchendiener ins Boot holen wird.
Wassyl merkt nicht, dass seine Schüler heimlich seinen Wutausbruch mitgefilmt und auf Youtube veröffentlicht haben. Wassyl wird zum Internetstar, das Schulgremium droht mit Ausschluss. Doch seine Schüler denken, er hätte das Zeug, wirklich ein guter Präsident zu werden, der weder den Oligarchen noch dem Osten hörig ist und starten ein Crowdfunding, um ihm die Kandidatur zu ermöglichen. Wassyl gewinnt – und muss nun mit noch größeren Herausforderungen kämpfen, als er sich bei seinem kleinen Lehrerpult gedacht hätte. Sein Premier Jurij Iwanowytsch Tschujko (Stanislaw Boklan) hält sehr wenig von dem Quereinsteiger. Wassyl wird mit neuen Benimm- und Arbeitsprotokollen seiner Vorgänger in den altbekannten Trott hineingepresst. Und auch seine Familie muss lernen, plötzlich mit den Privilegien und der Berühmtheit über Nacht umzugehen.
Man muss nicht auf den Krieg blicken, um zu wissen, dass Selenskyj ein Patriot ist. Auch in der Serie Diener des Volkes mischt sich seine feine kritische Klinge gegenüber dem System mit einem liebevollen, hoffnungsvollen Optimismus, dass es einmal besser sein könnte. Die Push und Pull Mächte in dem Land, an der Schneide zwischen dem Westen und dem Einfluss Russlands, begleiten dessen Bevölkerung schon seit Jahrzehnten. Die Giftattacke in den 2000er Jahren auf den Kandidaten Wiktor Juschtschenko ist eine der bekannteren jüngeren Episoden im Kampf um eine eigenständige Ukraine, die Trump-Ukraine Affäre wurde bereits erwähnt. Ebenso wie in Russland mit den Oligarchen und in anderen Ländern mit den “self-made Billionaires” kämpft das Land mit Korruption und dem Einfluss der oberen 1 Prozent.
Die Oligarchen werden von Diener des Volkes auch passenderweise als anonyme Herrenrunde inszeniert, deren Gesichter man nie sieht, die sich aber durch die gesamte gehobene Kulinarik des Landes durchfuttern, während sie Spiele spielen, wer nun welchen Politiker kontrolliert. Dem gegenüber steht die liebevolle aber auch pointierte Kritik am Volk selber, dass über das Präsidentenamt schimpft, aber genauso ehrfürchtig den höchsten Ämtern im Land alles durchgehen lässt. Sei es nun antrainierter Respekt oder die Angst, welche persönliche Folgen Kritik haben könnte. So erwartet sich Wassyls Vater Petr, dass der Hausblock, in dem sie leben, endlich mal gestrichen wird, oder der arrogante Sohn eines VIPs endlich aufhört sein Auto zuzuparken. Zunächst erntet er nur Aggression oder Gelächter. Einem Tag nach dem Wahlergebnis stehen die Maler an der Wand.
Die etwas ernstere Gesellschaftskritik bedeutet aber nicht, dass Selenskyj nicht auch Spaß mit dem Inhalt hat. Da ist auch die leichte Disneyfication des Dargestellten, wenn auch weniger kitschig. So wie in Disney die ganzen Neo-Prinzessinen immer nur Make-Overs bekommen oder lernen müssen, richtig zu knicksen oder die richtige Gabel zu benutzen, statt Diplomatie, Staatswesen und Leadership zu büffeln, muss sein Wassyl Petrowitsch Holoborodko …. auch genau das. Der Unterschied ist, dass Diener des Volkes sich sehr wohl des Witzes bewusst ist, ihn auf die Spitze treibt. Und das stets in der Hinsicht, dass es nicht so weit hergeholt ist, dass ein Präsident ein ganzes Wellnessteam besitzt, während die Staatselite durchaus daran interessiert ist, dass er so wenig reale Politik wie möglich macht. Von wegen den Armen helfen, lieber nur eine adrett gekleidete Marionette der Reichen.
Dass Wassyl dann beschließt, das ganze System umzukrempeln, seine engsten Vertrauten wie Exfrau Olga in wichtige Positionen hievt und auch mit Aussagen gemäß “Ich habe noch keinen Plan. Ich muss das lernen” sein politisches Programm bewirbt, ist dann eher schon trumpistisch. Aber auf liberal-sympathisch getrimmt, was dem Ganzen fast eine Scheinheiligkeit verleiht. Doch über diese Klischees kann man getrost hinwegblicken. Denn Diener des Volkes will nicht ein rein utopisches Luftschloss sein, in dem Konflikte und verkrustete Strukturen durch ein goldenes Herz überwunden werden. Es will zeigen, was möglich wäre, wenn wir nur ein wenig unseren Blickwinkel ändern und uns für Demokratie stark machen wollen.
Diener des Volkes ist feinste Unterhaltung des jetzigen ukrainischen Präsidenten und sollte, vor allem um das Land politisch genauer zu verstehen, auf jeden Fall einmal geschaut werden.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.