Ghostwire: Tokyo ist nicht so gruselig, wie sich manche das vielleicht erwartet haben. Das schadet ihm aber gar nicht, wie wir im Test feststellen.
von Sophie Neu
Lange haben Fans von Tango Gameworks, Entwickler der beliebten The-Evil-Within-Reihe auf Ghostwire: Tokyo hingefiebert. Schon 2019 für die PS5 angekündigt, mussten die Freunde des gepflegten Horrors bis 2022 warten. Überrascht dürften einige dann gewesen sein, dass sie statt des in Trailern vermittelten Gruselspaßes eher ein atmosphärischer Mystery-Thriller in Spielform empfangen hat. Dabei ist die Story der wohl schwächste Part an Ghostwire: Tokyo. Die atmosphärische offene Welt, die Shibuya mitsamt allerhand faszinierender Yokai (japanische Fabelwesen) umfasst, zieht einen dafür umso mehr ins Spiel.
Seit 25. März ist das Spiel für PS5 und PC erhältlich. Wir sagen euch, warum es in der abgedrehten Story geht und für wenn sich der Kauf lohnt.
Nach einem Autounfall mitten in Tokio erwartet den jungen Akito eigentlich nur noch der Tod. Aber kurz bevor es mit ihm zu Ende geht, wird er von einem Geist besessen, der sich wenig später als Detektiv namens KK vorstellt. Kaum wiederauferstanden, erlebt Akito mit, wie sich alle Menschen um ihn herum in Luft auflösen und stattdessen Geisterwesen durch die Straßen des Tokioter Viertels Shibuya ziehen. Genau diesem Phänomen will KK auf den Grund gehen, denn er vermutet seinen alten Bekannten Hannya dahinter. Akito interessiert derweil mehr, was mit seiner Schwester passiert, die nur wenige Meter entfernt im Krankenhaus liegt. Als er sich schließlich zu ihrem Zimmer durchgekämpft hat, muss er mit ansehen, wie Hannya seine Schwester entführt. KK und er beschließen ihre Kräfte zu vereinen, um Akitos Schwester und alle Bewohner Shibuyas zu retten.
Schon relativ früh merkt man, dass es sich bei Ghostwire: Tokyo nicht wirklich um ein Horrorspiel handelt. Viel besser ist man mit einer Verortung im Mystery-Bereich bedient. Das Shibuya des Spiels zeigt sich vor allem mysteriös. Es ist gefüllt mit mehr oder weniger subtilen Hinweisen auf die japanische Mythologie. Vom im Wasser lebenden Kappa bis zum Kasa-Obake, einem lebendigen, einbeinigen Regenschirm begegnet man als Akito allerhand illustren Fabelwesen. Dadurch entwickelt Ghostwire: Tokyo eine ganz eigene Atmosphäre, die so mit keinem anderen Spiel vergleichbar ist. Stärker als die Hauptquest ziehen einen als Spieler entsprechend die Nebenquests an, in denen man eben solchen Figuren begegnet. Mal legt man eine Gurke aus, um damit ein Kappa zu fangen, mal entdeckt man zufällig, dass eine unscheinbare Satellitenschüssel mit flauschigem Schwanz in Wirklichkeit ein Tanuki, also ein Waschbären-Yokai, ist.
Es ist eine erfrischende Abkehr von den altbekannten Ausflügen der sonst so eurozentrischen Spiele in eine für Europäer und Amerikaner großteils unbekannte Welt der Folklore. Eine, der man gerne öfter in Spielen begegnen würde. Wenn über die Kreuzung vor dem Bahnhof Shibuya urplötzlich eine geisterhafte Yokai-Prozession marschiert, kann man nicht anders, als ihr staunend zuzuschauen. So fühlt man auch weniger Angst, als eine gewisse Art der Faszination für diese andersweltliche Wesen.
Ihren Reiz verlieren aber vor allem die Tengus, fliegende Raben-Menschen-Yokai, sehr schnell. Ihr lautstarkes Krähen zehrt mit der Zeit sehr an den Nerven. Und auch die mehr als hunderttausend verlorenen Menschenseelen, die als verworrene Knäuel in den Straßen Shibuyas schwirren, nerven mit ihrem Dauertuscheln. Anfangs ist es noch lustig, wenn sie auf Japanisch fragen, wo die nächste Toilette ist und sich beschweren, dass der Chef nervt. Doch spätestens nach dem fünfzigsten geretteten Seelenknäuel stellen sich gewisse Ermüdungserscheinungen ein.
Auch in Sachen Gameplay könnte sich bei manchen Spielern mit der Zeit eine gewisse Ermüdung einstellen. Das Seeleneinsammeln entpuppt sich mit der Zeit als genauso repetitiv und eintönig, wie das Bekämpfen der Gegner, die man mit mehreren unterschiedlichen Elementen angreift. Das Kampfsystem ist geradeheraus und wenig innovativ, aber gerade der Bogen fühlt sich besonders schwerfällig an.
Schwerfällig ist im übrigen auch die Hauptquest, zu der man sich manchmal fast schon zwingen muss, zurückzukehren. Zu lose fühlen sich die Fäden an, die hier geknüpft werden sollen, weder Akito noch KK ziehen in die Geschichte hinein. Da hilft auch die teils verwaschene Grafik nicht, und das obwohl die Reflektionen auf glänzenden Oberflächen dank Raytracing optisch definitiv etwas hermachen.
Trotzdem, Ghostwire: Tokyo hat einen sehr eigenen Charme, dem man leicht verfällt. Den Straßen in Shibuya wohnt eine Magie inne, die sie von anderen Open-World-Städten abhebt. Die Viertel, die man nach und nach erkunden kann, heben sich voneinander ab und haben allesamt ihre eigene Identität. Aus den Läden tönt Musik, immer wieder kommt man an mehr oder weniger bekannten Wahrzeichen der Stadt vorbei und in der Ferne sieht man den Tokyo Tower. Dazu kommen die zahlreichen Yokai-Bewohner, sowie Katzen und Hunde, die sich wundern, wo ihre Herrchen und Frauchen geblieben sind. Im Endeffekt lohnt sich das Spiel, allein schon wegen der von Tango Gameworks geschaffenen Welt.
Wer sich von diesem Spiel ein waschechtes Horrorspiel wie The Evil Within erhofft hatte, könnte von Ghostwire: Tokyo enttäuscht sein. Wer sich aber über die mittelmäßige Hauptquest hinwegsetzen kann und sich auf die Stimmung einlässt, erlebt ein hochatmosphärisches Spiel, das sich an ein im europäischen Raum recht frisches Setting heran wagt und damit ein spannendes Erlebnis bietet.
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Spielereleases im März 2022
Bilder: (c) Bethesda/Tango Gameworks
Für diesen Test wurde uns von Bethesda ein Rezensionsexemplar bereitgestellt.
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.