Nicholas Cage kann auch anders. Nach einer ganzen Reihe an überdrehten Hyperperformances schlägt er wieder leisere Töne an. In dem beeindruckenden Debütfilm Pig des Regisseurs Michael Sarnoski geht er als Einsiedler auf die Suche nach seinem gestohlenen Trüffelschwein.
von Susanne Gottlieb
6. Februar 2022: Nicholas Cage hat in seiner Karriere schon viele Charaktere gespielt – tiefsinnig, trashy, oder einfach auch schlecht. Mit Pig erinnert er die Kinogeher daran, dass er durchaus ein guter Schauspieler ist, der sogar zu Oscar Ehren gekommen ist. Die Charakterstudie über einen Einsiedler, die in den USA bereits im letzten Jahr in die Kinos kam, hat heute um 20:15 Uhr seine Österreich Premiere im Filmcasino und wird dort am 7. und 12. Februar wiederholt. Weitere Termine werden noch folgen. Für alle anderen ist der Film auf Apple TV und Chili verfügbar.
Wir verraten euch in dieser Review, warum der Film so gut ist und ihr ihn trotz seines Limited Release unbedingt sehen solltet. Was sonst für Kino- und Streaming-Höhepunkte im Februar anlaufen, liest du hier. Und falls es lieber Blockbuster-Kino sein darf: Hier unsere Kritik zu Moonfall.
Der Einsiedler Rob (Cage) lebt mit seinem Trüffelschwein einsam in einer Hütte in den Bergen Oregons. Sein einziger menschlicher Kontakt ist der aufstrebende Businessman Amir (Alex Wolff), der einmal die Woche aus Portland kommt, um seine Trüffel in Empfang zu nehmen. Dafür übergibt er Rob stets ein paar notwendige Einkäufe und Güter aus der Zivilisation. Eines Nachts brechen Unbekannte bei Rob ein und entwenden sein Schwein. Rob, der es versucht zu retten, wird niedergeschlagen. Um seine wichtigste Beziehung im Leben zurückzubekommen, bittet er Amir ihm bei der Suche zu helfen.
Die Spur führt zunächst zu den anderen Trüffelsuchern in der Region. Das drogenabhängige Trailerpärchen ist schnell als Entführer ausgemacht. Doch diese verraten, dass der Auftrag von höherer Stelle in der Stadt kam. Hier hat es jemand ganz spezifisch auf Robs Schwein abgesehen. Für Amir ist die Spur somit kalt, aber Rob weiß, an wen er sich in Portland wenden muss, um sein Schwein doch noch zu finden. Denn in Portland wartet auch Robs Vergangenheit auf ihn. Und die ist so viel anders als das, was Amir sich je erwartet hätte.
Auf den ersten Blick klingt das alles sehr nach einem neuen brutalen Rache-Porno im Stil von John Wick. Doch nichts könnte weiter entfernt davon sein. Pig ist, und das wird ziemlich bald klar, eine Geschichte, die sich mit dem Verlust einer geliebten Person auseinandersetzt. Mit der emotionalen Leere, die man danach durchlebt und wie man diese verarbeitet. Rob ist das eine Spektrum dieser Trauerarbeit, Amir und sein Vater Darius (Adam Arkin) das andere. Und auch die zahlreichen Personen aus Robs Vergangenheit, die bei der Suche seinen Weg kreuzen, haben ihre eigenen Opfer und Verluste zu beklagen. Auch wenn es dabei nicht immer um menschliche oder tierische Wesen geht.
In einer pointierten Szene in einem “haute couture” Restaurant, in der Rob eine Unterhaltung mit Chef Derek hat, offenbart sich dann auch in einem beeindruckenden Monolog die Motivation hinter Robs Weltansicht. Der Chef habe früher doch kein Schicki Micki Restaurant führen wollen. Er wollte einen altmodischen English Pub aufmachen. “Wir bekommen nicht viele Dinge im Leben, die uns wirklich wichtig sind,” erklärt Rob einem inzwischen schluchzenden Derek (David Knell) ruhig. Die Menschen wären zu oberflächlich, zu sehr auf die Meinung von jenen aus, denen sie egal sind. Amir, der vom Ziel getrieben war, seinen Vater zu beeindrucken, ist ebenfalls ergriffen. Es ist in diesen Momenten, dass er Rob weniger als einen heruntergekommenen Waldmenschen sieht, sondern dieser eine Art Ersatz-Vaterrolle übernimmt.
Doch nicht nur die ruhige Erzählweise, und die graduelle Entwirrung von Robs Vergangenheit und Motivation sind meisterhaft gemacht. Debüt-Regisseur Michael Sarnoski, der auch das Drehbuch geschrieben hat, versteht diese Erzählweise auch ins Bildliche zu übertragen. Seinem Kameramann Patrick Scola gelingt es, die wilde Ungezähmtheit der Oregon-Landschaft in weiten Einstellungen und in einem Wechselspiel von harten und weichen Lichtern einzufangen. Dann aber auch wieder die intimen Momente so zu präsentieren, dass sie die Leinwand emotional ausfüllen. Robs blutüberlaufenes Gesicht, das er sich bewusst den ganzen Film hindurch nicht wäscht, hebt ihn als den Außenseiter in einer Welt heraus, die damit beschäftigt ist, oberflächlichem Ruhm und Akzeptanz nachzurennen. Die bildliche Inszenierung von Rob und seiner Umwelt wandelt sich immer mehr, je mehr man über ihn erfährt. Sie offenbart, dass man als Zuschauer vielleicht ähnlich vorurteilhaft war wie Amir selbst.
Pig ist ein beeindruckendes Spielfilmdebüt und der Beweis, dass Nicholas Cage nach wie vor ein hervorragender Schauspieler ist. Der Film wird zwar nicht überall groß im Kino anlaufen, ist aber eine Sichtung absolut wert.
In unserem Seher-Bereich findest du noch mehr Reviews zu aktuellen Filmen und Serien:
Moonfall: Amüsant überdrehter Emmerich Blockbuster
Scream – Kritik: Spaßiger Abgesang auf Fankultur
Don’t Look Up Kritik – Pointierte aber zu fluffige Weltuntergangs-Satire
Matrix Resurrections Review – Zurück in die Simulation
Spider-Man: No Way Home – Amüsanter Spidey-Nostalgie-Trip
Fotos: (c) EF Neon
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.