Benedict Cumberbatch wird im Wilden Westen der 1920er Jahre zum Ekel und terrorisiert Kirsten Dunst. Regisseurin Jane Campion beweist mit der Buchadaption The Power of the Dog von Thomas Savage abermals, dass sie zu den besten des Fachs gehört. Details gibts zum Kinostart in unserer Review.
von Susanne Gottlieb
18. November 2021: Cowboys, die raue Landschaft Montanas, homosexuelle Gefühle – das kommt einem bekannt vor. Doch während Ang Lees Brokeback Mountain von verbotener Liebe und Zärtlichkeit handelte, ist Jane Campions brutales, wunderbares Epos eine Lektion in zerstörerischer Männlichkeit und der Macht des schieren Überlebensinstinkt. Basierend auf dem semi-autobiographischen Roman von Thomas Savage, der darin das Zusammenleben mit seinem Stiefonkel aufarbeitet, taucht Campion erneut in altbekannte Gefilde ein.
Ähnlich wie in ihrem Superhit von 1993 Das Piano hat die neuseeländische Regisseurin ein Auge dafür, Figuren zu finden, die zwischen Verlangen und Selbstverleumdung zirkulieren, zwischen Brillanz und Selbstzerstörung. Und in The Power of the Dog kitzelt sie diese Eigenschaften dermaßen aus ihren Darstellern heraus, dass man bereits den ersten Oscar Buzz für Cumberbatch und Dunst hört. Wir verraten euch hier, warum sich der Film auf alle Fälle lohnt. The Power of Dog ist gerade im Kino gestartet und läuft dann ab 1. Dezember auf Netflix.
Tipp! Eine großartige Übersicht, was der Kino- und Netflix-Monat sonst noch für Highlights bringt, findest du hier in unseren Kinotipps November und hier in unserem Netflix-Guide November.
Im Montana der 1920er Jahre betreiben die Brüder Phil (Cumberbatch) und George Burbank (Jesse Plemons) eine Rinderfarm. Während George ein einfühlsamer, angenehmer Zeitgenosse ist, ist Phil barsch, brutal und erfreut sich an der Demütigung seines Umfeldes. Nur George, mit dem er auch ein Zimmer teilt, begegnet er mit so etwas wie Respekt. Auch wenn er ihn gerne “fatso” ruft.
Bei einem Zwischenstopp beim Rindertreiben in der Kleinstadt Beech lernt George die Witwe und alleinerziehende Mutter Rose Gordon (Plemons reale Partnerin Kirsten Dunst) und ihren Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) kennen. Während Phil die Frau und ihren Papierblumen faltenden Sohn demütigt, beginnt George ihr den Hof zu machen. Sie heiraten und Rose zieht zu den beiden auf die Ranch. Grund genug für Phil, ihr das Leben zur Hölle zu machen, sie in die Alkoholsucht und nahe an den Suizid zu treiben. Dabei lässt er auch davon nicht ab, ihren (in seinen Augen schwächlichen) Sohn Peter zu instrumentalisieren. Dabei unterschätzt er aber dessen Beschützerinstinkt für die Mutter. Und das stellt sich schließlich als Fehler heraus.
Unterteilt in fünf Kapitel erzählt Campion die Geschichte der Emanzipation einer Figur und den unweigerlichen Fall einer anderen. Hochmut triumphiert nicht über die bedingungslose Liebe und Opferbereitschaft. “Was für ein Mann wäre ich, wenn ich sie nicht retten könnte”, reüssiert Peter rückblickend gleich zu Beginn des Films über seine Mutter. Die Idee einer starken, gebieterischen Männlichkeit schwingt in jeder Einstellung dieser Geschichte mit. Und doch wäre es vereinfacht zu sagen, dass Phil ein Posterboy für toxische Männlichkeit ist. Einerseits ist es das raue Umfeld, das ihn wenig mit seiner Menschlichkeit in Kontakt treten lässt, das Verlangen nach einem abgebrühten, allen Wettern und Bedrohungen trotzenden Cowboy.
Zum anderen ist es Phils Geheimnis, das ihn in konstante Paranoia treibt. Und alles und jeden um ihn herum zu kontrollieren. Rose ist weniger ein Problem, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie ein Eindringling in seine perfekte Festung der Einsamkeit ist, die er nur mit seinem Bruder teilt. Er badet heimlich einmal im Monat in einem versteckten Teich und hält sich genüsslich die Leute mit seinem Gestank auf Distanz. Dort, wo der sensiblere, stets zurechtgemachte George ein Sinnbild der neueren Zeiten ist, hängt Phil einer Welt nach, die es großteils nur mehr in Erzählungen und Mythen gibt. Und dann gibt es da noch diese Faszination mit Bronco Henry, seinem verstorbenen alten Mentor. Eine Zuneigung, die er langsam auf Peter umzulegen scheint.
Cumberbatch, der auch sonst selten schauspielerisch enttäuscht, liefert hier ein Powerhouse von einer Performance. Eindringlich und auch furchterregend legt er Phil mit einer Intensität an, die den Zuschauer anzieht, aber auch verstört. Das sadistische Grinsen, mit dem er Dunsts Verfall als Rose beobachtet, legt die ganze Palette an ungezügelter emotionaler Brutalität offen, die Phil für sein Umfeld und seine Mitmenschen übrig hat. Seine intensiven Gefühle für den alten Mentor und deren Verheimlichung gehen Hand in Hand mit dessen Annahme, dass der Mensch nicht nur die weltliche, sondern auch die eigene Natur bezwingen muss.
Ebenso brillant ist Dunst als sensible, gebrochene Rose. Sie versteht es, Rose nicht als williges Opfer anzulegen, sondern gutmütige Seele, die an den niemals zu erreichenden Erwartungen und Demütigungen ihres brutalen Schwagers zerbricht. Die noch immer in Schande über den Selbstmord ihres ersten Mannes lebt und die Sohn Peter in seinen, von der Gesellschaft so gesehenen, eigenwilligen Hobbys unterstützt. Sie selbst kann sich nicht vor Phils eiskalter Demütigung retten. Und auch ihr sonst so liebevoller Ehemann George ist nutzlos gegen seinen Bruder.
Letztendlich ist es ihr Sohn Peter, der sich gegen diese zerstörerische Macht stellen muss. Doch im Gegensatz zu Phil ist er nicht gebrochen an dem, was er ist und was er sein sollte. Zunächst hat er wenig Anteil an dem Leben auf der Farm und seziert lieber Tiere in seinem Zimmer. Bald involviert er sich aber selber in die Geschehnisse vor Ort. Er ist das Alter Ego Savages, der selbst mit einem brutalen Stiefonkel aufwuchs. Während Savage offen homosexuell war und immer wieder homosexuell und genderfluide Figuren in seine Werke einbaute, sind diese literarisch-filmischen Suggestionen bei seinem Stiefonkel historisch nicht verifiziert.
Komplementiert wird das intensive, ausladende Spiel der Darsteller durch die atemberaubende Kameraarbeit von Ari Wegner. Auch wenn die südliche Insel Neuseelands keinewegs der grünen Hügellandschaft Montanas gleicht, verwandelt er sie in eine manchmal romantisch anmutende, aber auch unwirtliche Fantasie davon. Die sanften Wolkenformaturen, die sich über die Landschaft schieben. Die entsättigten Farben der Felder und Wiesen lassen den Film verfremdet und doch in seiner Erzählung vertraut wirken. Ein Schnittbrett zwischen alter und neuer Welt, in denen neben Cowboys auf Pferden schon fleißig die Eisenbahn und Autos durch die Steppe tuckern.
The Power of the Dog ist ein beißendes, intensiv umgesetztes Werk voller Scham, Brutalität und heroischer Liebe. Die Zelebrierung von innerer Stärke und Bekenntnis hin zum eigenen Verlangen. Brillant gefilmt und mit seinen hervorragenden Darstellern lässt einen der Film so schnell nicht mehr los.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.